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Bundeswehr auf Piratenjagd in Somalia

von Norman Paech *

Außenminister Steinmeier hat es bei der Sondersitzung des Bundestages am 4. November deutlich gesagt: "Das (OEF-Mandat, Anm. des Autors) beinhaltet noch nicht -…- den Kampf gegen Piraterie in der Region. Dazu wird die Bundesregierung ein gesondertes Mandat vorlegen, das die Beteiligung Deutschlands an einer geplanten EU-Mission regeln wird." Gemeint ist die geplante EU-Militärmission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), die am 10. November von den EU-Außenministern beschlossen wurde und noch dieses Jahr an das Horn von Afrika entsendet werden soll.

Aber nicht allein die geplante EU-Marine-Mission muss uns Sorgen machen, denn während in Brüssel noch über die Rahmenbedingungen der geplanten Militärmission gestritten wird, beteiligt sich die deutsche Marine bereits im Rahmen von OEF und der NATO an der Piratenjagd. Auch in die EU-Koordinierungsmission EU NAVCO ist Deutschland eingebunden. Dabei geht es ihr weniger um die Bekämpfung der Piraterie als um eine Ausweitung der militärischen Präsenz zum Schutz und für die Kontrolle wichtiger Handelswege.

SOMALIA

Somalia hat seit 1992 keine Regierung. Das Land ist das Paradebeispiel für einen zerfallenen Staat. Nachdem eine UN-Militärmission unter Führung der USA in den Jahren 1993-1995 gnadenlos an einer Stabilisierung der Lage gescheitert ist, wurde das Land sich selbst überlassen. Als sich die Union Islamischer Gerichte im Sommer 2006 gegen die anderen Konfliktparteien und die aus dem Ausland operierende Übergangsregierung durchsetzen konnte und die Macht übernahm, kamen die internationalen Akteure wieder auf den Plan. Äthiopisches Militär marschierte mit aktiver Unterstützung der USA in Somalia ein, vertrieb die UIC aus Mogadishu und setze sich selbst in der Hauptstadt fest. Seither hat sich die humanitäre Situation im Land dramatisch verschlechtert und die Kämpfe haben sich massiv ausgeweitet. Während in der kurzen Zeit unter der Kontrolle der UIC eine gewisse Stabilisierung zu beobachten war und die Piraterie weitgehend eingedämmt wurde, ist sie seit dem Einmarsch der Äthiopier wieder aufgeflammt.



Piraterie und Völkerrecht

Piraterie ist ein uraltes ständiges Phänomen und hat in der Regel strukturelle Ursachen:
  • Armut (der Fischer)
  • Verbreitung von Kleinwaffen
  • Verbindung mit anderen Bereichen von Kriminalität (Drogen, Schmuggel)
  • regional beschränkt, d.h. int. Handelsgesellschaften sind wenig betroffen
  • schwache staatliche Behörden
  • keine oder defizitäre Küstenwache
  • fehlende Hafenkontrollen und fehlende Strafverfolgung.
Es bestehen wohl kaum Zweifel darüber, dass sich die strukturellen Ursachen von Piraterie nicht militärisch beseitigen lassen. Dennoch ist dies der Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat. Neben den politischen Argumenten, die gegen eine militärische Bearbeitung des Piraterieproblems sprechen, stehen ihr auch verfassungs- und völkerrechtliche Hürden entgegen.

Das maßgebliche völkerrechtliche Dokument für den Umgang mit Piraterie ist das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen von 1982. Es trifft zu der Frage nach der rechtlichen Qualität der Piraterie eine eindeutige Aussage. Art. 100 ff stuft Piraterie als private, also nicht einem Staat zuzuordnende, kriminelle Handlung auf Hoher See oder anderen keiner staatlichen Hoheitsgewalt unterstehenden Orten ein. Bei der Bekämpfung von Piraterie geht es also nicht um eine Reaktion im Sinne der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung auf einen Angriff von außen oder einen Bruch oder eine Bedrohung des internationalen Friedens. Vielmehr geht es um Kriminalitätsbekämpfung, gegen die jeder Staat im Rahmen der völkerrechtlichen Regeln, hier insbesondere des SRÜ, vorgehen kann. Nach allgemeiner Rechtsauffassung ergibt sich aus Art. 98 und 100 SRÜ bei Fällen von Piraterie eine Pflicht der Staaten zur Nothilfe und zur Zusammenarbeit mit anderen Staaten.


Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 definiert Piraterie und regelt den Umgang mit ihr. Art. 101 definiert Piraterie als rechtswidrige (kriminelle) Gewalttat oder Freiheitsberaubung oder Plünderung durch die Besatzung eines privaten Schiffes zu privaten Zwecken. Das SRÜ sieht eine Pflicht zur Nothilfe (Art. 98) und zur Zusammenarbeit der Staaten (Art. 100) bei Fällen von Piraterie vor. Art. 105 erlaubt den Hilfe leistenden Schiffen, Piraten zu verfolgen (aufzubringen), die Piraten festzunehmen und vor die Gerichte des jeweiligen Flaggenstaates zu bringen. Berechtigt zum Aufbringen von Piratenschiffen sind lediglich Schiffe, die deutlich als im Staatsdienst stehend gekennzeichnet und als solche erkennbar und hierzu befugt sind.



Art. 107 SRÜ überlässt es jedoch den Staaten, mit welchen Instrumenten sie gegen Piraterie vorgehen. So hat ein Staat durchaus völkerrechtlich die Möglichkeit, sein Militär bei der Bekämpfung von Piraterie einzusetzen. Nach französischem und dänischem Recht ist es beispielsweise möglich und üblich, Militär für polizeiliche Zwecke einzusetzen.

Pirateriebekämpfung und Verfassungsrecht

In Deutschland ist der Einsatz von Militär für polizeiliche Zwecke verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Art. 87a GG sieht eine strikte Trennung von polizeilichen und militärischen Aufgaben vor. Während die Pirateriebekämpfung in den Zuständigkeitsbereich der Polizei fällt, darf die Bundeswehr nur im Verteidigungsfall eingesetzt werden.

Diese Trennung gilt, obwohl in Art. 87a GG nicht erwähnt, nach Sinn und Inhalt des Artikels auch außerhalb des deutschen Territoriums, also auch bei Auslandseinsätzen. Selbst die Bundesregierung sieht diese "Rechtsunsicherheit", die sie ggfls. mit einer Verfassungsänderung klären möchte. Gleichzeitig räumt die Bundesregierung ein, dass die Bundeswehr den Verpflichtungen aus dem SRÜ zur Nothilfe durchaus nachkommen kann. Sie bestätigt außerdem, dass das im Rahmen der OEF vor der Küste Somalias stationierte Kriegsschiff „Emden“ während seiner Einsatzzeit mehrfach Nothilfe bei Piratenüberfällen geleistet hat – wobei bis heute nicht abschließend geklärt ist, ob dabei das Mandat überschritten wurde.

Nach Auffassung der FDP ist Art. 87a GG für die Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Falle von Piraterie irrelevant, da Art. 24 und 25 GG auf den Vorrang des Völkerrechts vor dem Bundesrecht verweisen. Die UNO sei ein System kollektiver Sicherheit, innerhalb dessen nach Art. 24 Absatz 2 GG der Einsatz von deutschen Streitkräften möglich ist. Aus Art. 25 GG lässt sich ableiten, dass die Bestimmungen des SRÜ ebenfalls Vorrang haben. Dagegen spricht, dass Piraterie allein keine Bedrohung des Weltfriedens darstellt und keine Reaktion im Rahmen der kollektiven Sicherheit rechtfertigt. Zudem würde in der Konsequenz die für unser Verfassungssystem grundlegende Trennung von Polizei und Bundeswehr aufgehoben – was die Bundesregierung und viele Militärs seit langem planen.

Die bestehende Gesetzeslage ist für die Nothilfe bei Piraterie also ausreichend. Eine über die Nothilfe hinausgehende Piratenabwehr und -bekämpfung wäre demnach Aufgabe der Polizei, sei es für den Begleitschutz von Handelsschiffen oder für die Verfolgung und Verhaftung von Piraten.

Trotz dieser verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken ist die Bundeswehr längst aktiv: mit der NATO-Flotte, mit ihrer Beteiligung an der völkerrechtswidrigen Operation Enduring Freedom – und außerdem im Rahmen der EU-Koordinierungsmission EU NAVCO. Obwohl sie sich damit bereits außerhalb des geltenden Rechts bewegt, will die Bundesregierung nun auch noch ein Mandat für die EU-Militärmission erteilen.

EU NAVCO und die geplante EU-Militärmission

Aufgabe der am 19. September vom Rat der Europäischen Union beschlossenen „Militärischen Koordinierungsmaßnahme der Europäischen Union zur Unterstützung der Resolution 1816 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (EU NAVCO)“ ist die Koordinierung und Unterstützung von EU-Mitgliedstaaten, die sich am Kampf gegen Piraterie vor der Küste Somalias beteiligen. Die EU beruft sich in ihrem Beschluss auf die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1816 vom 2. Juni d.J., die die Staaten ermächtigt, Piraten auch innerhalb der somalischen Gewässer (also innerhalb der Zwölfmeilenzone) zu verfolgen und aktiv zu bekämpfen. Auffällig ist jedoch die Ausgestaltung der Mission:

Zeitlich unbegrenzt: Obwohl als Maßnahme zur Unterstützung der UN-Resolution 1816 präsentiert, ist EU NAVCO nicht an das Auslaufen ebendieser Resolution im Dezember 2008 gekoppelt. Es ist zu befürchten, dass EU NAVCO zu einer ständigen Institution wird, deren Hauptaufgabe es ist, eine auf Dauer angelegte militärische Präsenz der EU-Staaten am Horn von Afrika zu gewährleisten.

Militärischer Freibrief: Der Durchführungsplan von EU NAVCO kann jederzeit ohne weitere Befassung des Rates geändert werden. Damit ist der Koordinierungszelle ein Freibrief für weit reichende militärische Maßnahmen ausgestellt, die je nach vermeintlichen Erfordernissen vor Ort „angepasst“ werden können und jeglicher parlamentarischen Kontrolle entzogen sind.

Verquickung mit OEF: EU NAVCO soll auf operativer Ebene Ansprechpartner für die im Rahmen von OEF tätige „Combined Task Force 150“ sein. Was genau darunter zu verstehen ist, lässt der Beschluss offen. Fakt ist, dass jegliche Verquickung der EU-Mission mit der völkerrechtswidrigen OEF zwangsläufig zu einer Vermischung des Antiterror-Kampfes mit der Piratenjagd führen wird.


Resolution 1816 des UN-Sicherheitsrats vom 2. Juni 2008 war die Reaktion auf einen Piratenüberfall auf ein Schiff des World Food Program, das Hilfslieferungen für die somalische Bevölkerung an Bord hatte. Die Resolution autorisiert erstmals alle willigen Staaten, auch innerhalb der somalischen Gewässer Nothilfe bei Piraterie zu leisten und Piraten zu verfolgen. Damit reagierte der UN-Sicherheitsrat auf die Zunahme von Piratenüberfällen, die von Somalias Küsten ausgehen. Resolution 1816 verweist auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982, das den Umgang mit Piraterie regelt. Die Resolution betont darüber hinaus, dass sie eine Ausnahme darstellt und aus ihr kein Völkergewohnheitsrecht abgeleitet werden dürfe. Auch betont sie die territoriale Souveränität Somalias, die durch die Resolution nicht in Frage gestellt werden darf und verpflichtet die Staaten zur Zusammenarbeit mit der somalischen Übergangsregierung.

Resolution 1838 des UN-Sicherheitsrates vom 7. Oktober 2008 bekräftigt die vorangegangene Resolution. Sie verweist nochmals mehrfach auf das Seerechtsübereinkommen und die unbedingte Beachtung der Souveränität Somalias.



EU NAVCO ist jedoch nur der Anfang. Die Planungen für eine EU-Militärmission sind weitgehend abgeschlossen. Mindestens 5 Kriegsschiffe plus Hubschrauber sollen sich an dem Einsatz beteiligen. Dazu Sicherheitskräfte, die an Bord der zu schützenden Schiffe gehen sollen. Interessant ist, dass ihr Einsatzgebiet auf die an Somalia angrenzenden Länder, namentlich erwähnt wird Kenia, ausdehnt wird. Beide Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, sowohl 1816 als auch die neue Resolution 1838, beschränken sich ausdrücklich auf die Hohe See und somalische Gewässer. Von Kenia ist niemals die Rede.

Militärisches Vorgehen der NATO

Ein NATO-Flottenverband von sieben Schiffen ist seit Ende Oktober auf Piratenjagd vor Somalia. An dem „Ständigen Maritimen Einsatzverband 2“ beteiligt sich neben Italien, Großbritannien, der Türkei und den USA auch Deutschland mit der Fregatte „Karlsruhe“ und dem Versorgungsschiff „Rhön“. Offizieller Auftrag ist der Schutz von Schiffen mit Hilfslieferungen des World Food Program und nicht weiter spezifizierter Konvois von Schiffen, die entlang der Küste unterwegs sind. Noch zu Beginn des Einsatzes gab es keine klaren Einsatzregeln. Nimmt man Äußerungen aus US-Marinekreisen ernst, so soll die Piratenjagd nicht nur den Beschuss, sondern auch das Versenken der Mutterschiffe, von denen aus die Piraten in kleineren Booten ihre Überfälle durchführen, beinhalten. Dies wäre ein eklatanter Verstoß gegen das Seerechtsübereinkommen.

Die deutsche Rolle in diesem Verbund ist ebenso dubios wie die gesamte Mission. Laut Verteidigungsminister Franz Josef Jung sollen die deutschen Soldaten mangels Mandat nicht offensiv gegen die Piraten vorgehen, dem Verband aber zumindest im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten helfen. Wie diese Unterstützung genau aussehen soll, lässt er jedoch offen. In jedem Fall ist allein die Beteiligung deutscher Soldaten an einem solchen Auslandseinsatz verfassungswidrig.

Was folgt aus alledem? Offensichtlich gibt es dezidierte wirtschaftliche und militärische Interessen in der EU und der NATO, die sich der Pirateriebekämpfung als Legitimationsquelle bedienen. Für Deutschland geht es letztlich um eine Ausweitung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr, den Einsatz der Bundeswehr zum Schutz und zur Sicherung von wirtschaftlichen Interessen und damit nicht zuletzt um die Aufhebung der strikten Trennung polizeilicher und militärischer Aufgaben.

Alternative Strategien zur Bekämpfung von Piraterie

Während EU und NATO die Piraterie zum Vorwand für einen Ausbau ihrer militärischen Präsenz in den Weltmeeren nehmen, bleibt die Frage, wie man mit Piraterie umgehen soll. Will man Piraterie tatsächlich eindämmen, sind andere Methoden gefragt. Die Piraterie vor Somalia gehört seit Jahren zu den „Einnahmequellen“ unterschiedlicher Akteure. Waren es zunächst verarmte Fischer, denen durch die internationalen Fangflotten, die seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 auch somalische Gewässer leer fischen, die Existenzgrundlage entzogen wurde, bildete sich über die Jahre ein florierender Wirtschaftszweig, der auch internationale Kriminelle anzog. Piraterie vor der Küste Somalias „lohnt sich“, vor allem weil Somalia weder über eine funktionierende staatliche Kontrolle noch eine Küstenwache verfügt, die Piraten verfolgen und bestrafen könnte.

Vor diesem Hintergrund müssen Lösungen gefunden werden, die sowohl die Situation in Somalia stabilisieren und die Armut abbauen helfen, die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Hilfsgütern gewährleisten und dazu beitragen, dem Land eine Perspektive auf Frieden und Wideraufbau inklusiver funktionierender staatlicher Strukturen zu geben. Vor allem muss das Land vor internationalen militärischen Interventionen geschützt werden. Nur auf diesem Wege der Stärkung der staatlichen Autonomie und der Souveränität Somalias, wird man der Piraterie letztlich Herr werden. Die notwendigen Vorraussetzung hierfür sind:
  • der vollständige Rückzug der äthiopischen Truppen
  • die Unterbindung von Waffenlieferungen der Nachbarstaaten entsprechend dem UN-Waffenembargo von 1992
  • die Aufnahme von Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien mit dem Ziel
    • einen Waffenstillstand zu erwirken
    • ungehinderten Zugang zu den Flüchtlingen zu ermöglichen
    • unabhängige, demokratische Wahlen vorzubereiten
  • Rückzug der Internationalen Fischfangflotten aus den somalischen Gewässern
  • Reintegrationsangebote an die verarmten Fischer
  • Einrichtung einer temporären Küstenwache unter Beteiligung der Staaten der Region unter Führung der UNO oder der Afrikanischen Union.
10. November 2008

* Prof. Dr. Norman Paech ist Außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag

Quelle: Website von Norman Paech; www.norman-paech.de



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