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Die Ordnung der Ordnungslosigkeit

Die Anti-Terror-Allianz macht Somalia als Ziel aus. Von Jutta Bakonyi

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der entwicklungspolitischen Zeitschrift Iz3W, den uns die Herausgeber freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben. Informationen über Bezugsbedingungen gibt es hier: Homepage von Iz3w.

Sechs Jahre nach dem Scheitern der UN-Intervention (1992-95) steht Somalia erneut im Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit. Da die zentralstaatlichen Strukturen des Landes im Verlauf des seit 1988 andauernden Bürgerkrieges zusammengebrochen sind, gilt Somalia als eines jener "schwarzen Löcher der Ordnungslosigkeit" (Joschka Fischer), die als Brutstätte des internationalen Terrors vermutet werden. Doch wie kam es in diesem gebeutelten Land überhaupt zur Entstehung eines Gewaltmarktes?

Von Jutta Bakonyi


Laut Angaben von US-Behörden weisen zwei Spuren des internationalen Terrorismus nach Somalia. Zum einen soll das Finanzinstitut Al-Barakat, das in Somalia mehrere Zweigstellen unterhält, die Al-Qaida finanziell unterstützen. Die USA haben daher im November 2001 die internationalen Konten der Bank eingefroren sowie deren Satellitenverbindungen gekappt. In Somalia brach daraufhin das Kommunikationswesen zusammen. Rund 80% der Bevölkerung stehen nun vor Versorgungsproblemen, da sie von den über die Bank abgewickelten Finanztransfers ihrer Familienmitglieder aus dem Ausland abhängig sind.

Die zweite Spur führt zur Al-Ittihad-al-Islami, einer lokalen Kriegsfraktion, die für den Aufbau eines islamischen Staates kämpft und dabei angeblich durch Al-Qaida-Kämpfer unterstützt wird. Unwahrscheinlich ist diese Behauptung nicht, da die Al-Qaida längst als Teil eines transnationalen Gewaltmarktes agiert. Auf ihm werden ständig neue Kämpfer aus unterschiedlichsten Ländern ausgebildet und dann dort eingesetzt, wo muslimische Interessen vermutet werden. Allerdings ist die Al-Ittihad in Somalia nur eine unter vielen Kriegsfraktionen und ihre Ausbildungslager wurden bereits 1996 und 1997 durch äthiopische Militärs zerstört.(1) Gerüchten zufolge sollen auch die seit Mitte der 1990er Jahre an Bedeutung gewinnenden islamischen Gerichte und Koranschulen durch Al-Ittihad-Mitglieder geleitet werden. Schulen und Gerichte können aber kaum ohne größeren Legitimitätsverlust bombardiert werden, so dass Luftangriffe der Anti-Terror-Allianz auf Somalia eher unwahrscheinlich sind. Für die alternative Möglichkeit der Intervention durch militärische Spezialeinheiten müssten somalische Verbündete gefunden werden. Die im Somali Reconciliation and Restoration Council (SRRC) zusammengeschlossenen Kriegsfraktionen haben ebenso wie die abgespaltene Republik Somaliland bereits ihre Hilfe angeboten. Das Zögern der USA zeigt, dass sie aus den Fehlern ihrer Intervention 1992/93 zumindest gelernt haben, die Kriegssituation in Somalia nicht zu unterschätzen.(2)

Isolierte ethnische Konflikte?

Das Kriegsgeschehen in Somalia wird in Presse und Wissenschaft zumeist als Kampf verfeindeter Clangruppen beschrieben. Dem von den Kolonialmächten hinterlassenen Staatsapparat gelang es demnach nur für einen kurzen Zeitraum, eine zivilisierende Hülle über die durch das traditionelle Clanwesen zerklüftete Gesellschaft zu werfen. Diese Sichtweise entspricht der seit Ende des Ost-West-Konflikts vorherrschenden kulturalistischen Wahrnehmung des Weltgeschehens, das sich im Aufstieg des Paradigmas vom "ethnischen Krieg" niederschlug. Mit dem Erklärungsmuster der kulturellen Andersartigkeit wurden die destabilisierten Regionen aus dem weltgesellschaftlichen Zusammenhang isoliert. Die dort agierenden Gewaltakteure konnten ignoriert werden, zumal die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit ihnen bei Bedarf gut funktionierte.

Die Anschläge in New York und Washington haben jedoch deutlich vor Augen geführt, dass die Mauer zwischen der "zivilisierten" und dem Rest der Welt brüchig ist. Ob militärische Gegenschläge eine langfristige Lösung gegen das Übergreifen der Gewalt aus dem Süden bieten, muss bezweifelt werden. Der Anti-Terror-Allianz mag es gelingen, die Taliban, vielleicht auch die Al-Qaida und verbündete Gewaltorganisationen zu zerschlagen. Das ihnen zugrunde liegende gesellschaftliche Bedingungsgefüge wird durch militärische Einsätze jedoch nicht verändert. Es kann jederzeit neue, transnational agierende Gewaltakteure nach dem Muster der Al-Qaida hervorbringen.

Die Bürgerkriegs- und Staatszerfallszonen mögen dem Norden als weitab der zivilisierten Welt liegend erscheinen. Tatsächlich wurden mit der kapitalistischen Expansion längst alle Weltregionen zur Weltgesellschaft vereint. Entgegen der modernisierungstheoretischen Annahme wird diese jedoch nicht automatisch in einen globalen Raum bürgerlicher Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit transformiert. Gesellschaftlichkeit wird unter kapitalistischen Bedingungen über den Markt hergestellt und durch das Prinzip der Konkurrenz vermittelt. Seit dem Ende des Kalten Krieges entfaltet sich dieses Prinzip weltweit in ungebremster Geschwindigkeit. Die Staaten an der Peripherie der Weltgesellschaft können dem globalen Konkurrenzdruck längst nicht mehr unbeschadet standhalten. In dem Maße, wie sich ihre Volkswirtschaften der Erschöpfung nähern, wird auch die Funktionsfähigkeit der peripheren Staaten und ihre Fähigkeit zur politischen Regulierung des Konkurrenzkampfes brüchig. Die gescheiterten Modernisierungsbemühungen spiegeln sich im Zerfall des Staates; in den von Kriegsherren und Banden beherrschten Zonen zeigt sich der antagonistische Kampf um Profit in seiner politisch ungebändigten Reinform.

An der Peripherie

An der Entwicklung Somalias kann dies geradezu exemplarisch nachvollzogen werden. Mit der bereits im Kolonialismus begonnenen, im postkolonialen Staat jedoch beschleunigten Kommerzialisierung der Landwirtschaft wurden die letzten noch bestehenden Überbleibsel subsistenzorientierter Produktion zerstört. Sowohl die viehzüchtenden Nomaden in Zentral- und Nordsomalia als auch die Kleinbauern im fruchtbaren Süden wurden einer vom Weltmarkt diktierten Preisökonomie unterworfen, der sie aufgrund begrenzter Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung weitgehend hilflos ausgeliefert sind. Im Süden Somalias wurden landwirtschaftliche Exportplantagen aufgebaut, die Kleinbauern durch eine rigide Landgesetzgebung auf weniger fruchtbare Anbauflächen verdrängt und damit zur parallelen Lohnarbeit auf den Exportplantagen gezwungen.

Die aufsteigende neureiche Schicht städtischer Landbesitzer, Händler und Lieferanten erwarb das fruchtbare Weideland und verdrängte schließlich auch die Nomaden auf weniger ergiebige Weideflächen. Aufgrund sinkender Exporterlöse wurden diese zusätzlich zur Vergrößerung ihrer Viehherden gezwungen und bald entbrannte ein harter Konkurrenzkampf um Weideland und Wasser. Die Zerstörung ihrer Existenzgrundlage zwang viele Nomaden dazu, neue Reproduktionsmöglichkeiten zu suchen und in die Städte abzuwandern. Der Anstieg der Einwohnerzahl von Mogadischu von 50.000 1960 auf über eine Million bis Mitte 1980 gilt selbst für Afrika als einzigartig.

Die aus der gescheiterten wirtschaftlichen Modernisierung und der anhaltenden Landflucht resultierenden sozialen Verwerfungen konnten so lange eingedämmt werden, wie mit Hilfe der Unterstützung durch die Supermächte der Staatsapparat weiter ausgebaut und über die Anstellung beim Staat die materielle Reproduktion eines großen Teils der Bevölkerung sichergestellt werden konnte. Der seit 1969 an der Spitze des somalischen Staates stehende General Siad Barre etablierte durch die Einbeziehung der traditionalen Sozialstruktur in den Staatsapparat ein Netzwerk klientelistischer Beziehungen. Indem er möglichst Mitglieder aller Clanfamilien in den staatlichen Apparaten beschäftigte und damit staatliche Ressourcen breit verteilte, sicherte er sich einerseits seine Machtposition, stärkte andererseits aber das System verwandtschaftlicher Loyalitäten.

Weil die Außenunterstützung seit Ende der 70er Jahre schrittweise reduziert wurde, musste Barre die Klientelstrukturen auf einen immer kleiner werdenden Kreis verengen. Die Reichweite seiner Macht begann ebenso zu schwinden wie die Funktion des Staatsapparats als Umverteilungsinstanz geschwächt wurde. Die Beschneidung des Patronagesystems erfolgte über den Ausschluss einzelner Clanfamilien, und daher ist es kaum verwunderlich, dass sich auch der Widerstand gegen Barre in der Sprache verwandtschaftlicher Zugehörigkeiten artikulierte. Bereits Anfang der 80er Jahre formierten sich an den Rändern des somalischen Staates clanbasierte Aufstandsbewegungen, gegen die Barre mit zunehmend repressiven Mitteln vorging.

Die einsetzende Dynamik von Gewalt und Gegengewalt führte zum weiteren Legitimitätsverlust Barres. Bis 1988 verdichteten sich die Kämpfe der überall im Land gebildeten Aufstandsorganisationen zum offenen Bürgerkrieg. Barre konnte schließlich nicht einmal mehr seine Sicherheitsorganisationen bezahlen, deren Mitglieder sich entweder den Aufständischen anschlossen oder sich in Banden organisierten, die ihr Kriegsgerät für raubkriminelle Aktivitäten privatisierten. Im Dezember 1990 marschierte schließlich die zentralsomalische Widerstandsbewegung United Somali Congress (USC) in Mogadischu ein und beendete mit dem Sturz Barres die erste Phase des Krieges.

Privatisiertes Gewaltoligopol

Nach dem Sturz Barres wurde deutlich, dass sich hinter dem Krieg gegen seine repressive Herrschaft vor allem der Kampf um den Zugang zu staatlichen Ressourcen sowie zu den wenigen, an den Staat gebundenen, profitablen Produktionszweigen und Märkten verbarg. Unter den Führern der Aufstandsbewegungen entbrannte sofort der Kampf um Barres Nachfolge, der schließlich zum erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs führte. In dessen Verlauf wurde der Süden Somalias in Zonen unter der Kontrolle von Warlords und deren auf Clanbasis rekrutierten Milizen aufgeteilt. Die Warlords handeln jedoch nicht aus Verpflichtungen gegenüber ihrem Clan, sondern als rational kalkulierende, politische Unternehmer, die ohne den Schutz durch ein staatliches Gewaltmonopol ökonomische Vorteile nur mit Hilfe privater Gewaltanwendung realisieren können.

In dem augenscheinlich völlig zerstörten Wirtschaftsgefüge Somalias haben sich längst neue und profitable Gewinnchancen ergeben. Der Handel mit Waffen und Währungen floriert ebenso wie der Schmuggel von Drogen aus den Nachbarstaaten oder der Handel mit Gütern der Diaspora in Übersee. Vor allem aber ist die Organisation der internationalen Hilfe zu einem lukrativen Geschäftszweig geworden. Internationale Hilfsorganisationen werden zur Abgabe von Schutzgeldern gezwungen, humanitäre Hilfslieferungen regelmäßig geplündert oder umgeleitet, das Personal der Organisationen entführt, um Lösegeld zu erpressen. Die Fähigkeit zur Anwendung von Gewalt wurde dabei selbst zur ökonomischen Ressource, und die sich herausbildende gewaltdominierte soziale Formation entsteht und reproduziert sich vor dem Hintergrund der ökonomischen Interessen und materiellen Überlebenskämpfe. Ein großer Teil der Bevölkerung besitzt allerdings weder Zugang zu den abgeriegelten Gewaltmärkten, noch verfügt er - nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Plünderungen - über die Möglichkeit einer die Subsistenz deckenden Gebrauchsgüterproduktion. Für diese Menschen bricht nicht selten selbst die notdürftigste Versorgung zusammen. Das dürfte sich durch die zu erwartenden militärischen Operationen gegen den Terror kaum verbessern.

Anmerkungen
  1. Äthiopien macht die Al-Ittihad für Bombenanschläge in äthiopischen Städten verantwortlich, marschierte seit 1996 mehrfach in Somalia ein und hat nach eigenen Angaben deren Militärcamps zerstört.
  2. Damals hatte der UN-Sicherheitsrat faktisch die Regierungsgewalt in Somalia übernommen und vor Ort an die US-Militärs übertragen. Die zur Sicherung von Hilfslieferungen gestartete Intervention entwickelte sich zu einer Strafexpedition gegen die unbotmäßige Kriegsfraktion von Farah Aidid. Die "Verbrecher"-Jagd auf ihn blieb nicht nur erfolglos, sondern leitete mit dem Tod von 18 US-Soldaten den Rückzug der US-Armee und damit das Ende der ersten "humanitären" UN-Mission ein, die hunderte Somali das Leben kostete.

* Jutta Bakonyi ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft der Uni Hamburg.

Aus: Iz3W, Heft 260 (2002), S. 30-31


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