Versöhnung wird verschoben
Die Vereinten Nationen haben seit 1991 kein wirkungsvolles Konzept zur Beendigung des Bürgerkrieges in Somalia entwickeln können
Von Knut Mellenthin *
Vier Monate nach dem Beginn der äthiopischen Militärintervention in Somalia ist die Lage dort auswegloser als zuvor. Was sonst erwartet man auch, wenn man den Bock zum Gärtner macht, d.h. die Streitkräfte eines seit Jahrzehnten verfeindeten Nachbarlandes zum Schiedsrichter in einem seit 1991 währenden Bürgerkrieg? Selbst der Spiegel, nicht gerade für kritische Betrachtung der US-amerikanischen Kriegsstrategie bekannt, stellte am 14. April fest: »Von Sicherheit und Ordnung ist das Land am Horn von Afrika so weit entfernt wie nie.« Ausländische Beobachter und Bewohner Mogadischus stimmen überein: Die Kämpfe in der somalischen Hauptstadt Ende März und Anfang April waren die schlimmsten seit 1991, als Siad Barré gestürzt wurde, der das nordostafrikanische Land 22 Jahre lang auf diktatorische Weise regiert hatte. Nach Schätzung der Vereinten Nationen sind seit Anfang Februar über 200000 Menschen aus Mogadischu geflüchtet, um den Kämpfen zu entgehen. Viele, die außerhalb der Stadt keine Verwandten und auch keine Klan-Beziehungen haben, leben unter freiem Himmel.
Somalia bräuchte statt militärischer Konfrontation einen breiten, alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte umfassenden Dialog und eine repräsentative Regierung auf dieser Grundlage. Diese Einsicht wird scheinbar sogar von den USA und der Europäischen Union geteilt. Am 16. April sollte eine nationale Versöhnungskonferenz beginnen, hatte die von den äthiopischen Streitkräften an die Macht geputschte somalische »Übergangsregierung« versprochen. 3000 Vertreter aus verschiedenen Bereichen sollten teilnehmen, mindestens einen Monat sollte debattiert und verhandelt werden. Aber vor zehn Tagen teilte die »Übergangsregierung« eher beiläufig durch ihren Außenminister Ismail Mohamed Hurre mit, daß die Konferenz wegen der problematischen Sicherheitslage verschoben worden sei. Vielleicht soll sie jetzt Mitte Juni stattfinden. Inschallah! – So Gott will! Es gibt jedoch keine Indizien für die Annahme, daß die Sicherheitslage in zwei Monat wesentlich anders sein wird. Sie zu verbessern, dafür sollte und müßte gerade eine Versöhnungskonferenz Voraussetzungen schaffen.
An dem Tag, an dem die Verschiebung der Konferenz offiziell bekanntgegeben wurde, hatte die »Übergangsregierung« hohen Besuch aus Washington: Jendayi Frazer, Unterstaatssekretärin für afrikanische Angelegenheiten im US-Außenministerium. Angeblich wollte sie ihre Gesprächspartner, darunter den Präsidenten Abdullah Yusuf Ahmed und den Ministerpräsidenten Ali Mohammed Gedi der »Übergangsregierung«, zum Gespräch mit ihren Gegnern auffordern. Sollte das wirklich ihre Absicht gewesen sein, so hat sie diese offenbar verfehlt. Allerdings hat die US-Regierung die Konferenzabsage nicht kritisiert, ebenso wenig wie die EU.
Versagen des UN-Sicherheitsrates
Eine wesentliche Mitverantwortung für die derzeitige Situation trägt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der der Militärintervention des äthiopischen Regimes, statt sie zu verurteilen, stillschweigend seinen Segen erteilt hat. Einstimmig, ohne erkennbaren Widerspruch Rußlands und Chinas. Der Kette fataler Fehlentscheidungen des höchsten UN-Gremiums gegenüber der islamischen Welt – in Sachen Afghanistan, Irak, Libanon und Iran – ist mit Somalia ein weiteres Glied hinzugefügt worden.
Am kommenden Freitag, den 20. April, will der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon dem Sicherheitsrat einen neuen Bericht zur Lage in Somalia vorlegen. Der Auftrag dazu ist Teil der Resolution 1744, die vom Rat am 20. Februar beschlossen wurde. Der Generalsekretär soll Empfehlungen abgeben, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen nach Somalia geschickt werden soll. Der erste und vorerst letzte Versuch dazu war 1995 nach katastrophalem Scheitern abgebrochen worden. Deutschland hatte sich an diesem von der US-Regierung geführten Unternehmen mit 1600 Soldaten beteiligt. Es war der erste große Auslandseinsatz der Bundeswehr, damals noch gegen die Opposition von SPD und Grünen, die wenige Jahre später zu begeisterten, keinen Widerspruch duldenden Vorkämpfern der Militarisierung der deutschen Außenpolitik wurden.
Gegenwärtig ist in Somalia eine ausschließlich afrikanische Friedenstruppe stationiert, der bisher nur ugandische Soldaten angehören. Sie läuft unter dem Namen African Union Mission to Somalia, AMISOM. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Aufstellung dieser Truppe durch die Afrikanische Union (AU), des Zusammenschlusses der afrikanischen Staaten, in seiner Resolution 1744 zwar ausdrücklich »begrüßt«, aber es handelt sich formal nicht um eine UN-Mission. Dementsprechend enthielt die Resolution nur einen unverbindlichen Appell an alle Mitgliedsstaaten, AMISOM finanziell und logistisch zu unterstützen. Konkret zugesagt haben die USA für die afrikanische Friedenstruppe 14 Millionen Dollar und die EU 15 Millionen Euro. Die Kosten von AMISOM würden sich aber, berechnet für ein Jahr, auf schätzungsweise 300 Millionen Dollar belaufen.
Die UNO hat sich mit der Resolution 1744 lediglich an einen Beschluß des Rates für Frieden und Sicherheit der AU angehängt, der am 19. Januar gefaßt worden war. Er sah die Aufstellung einer 8000 Mann starken Friedenstruppe vor, die das äthiopische Militär ablösen soll. Soldaten aus den Nachbarstaaten Somalias dürfen der AMISOM nicht angehören, um das Risiko einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes zu verringern. Die AU hat das Mandat der Truppe ausdrücklich auf sechs Monaten beschränkt, mit dem Zusatz, daß deren Aufgaben anschließend von einer zahlenmäßig stärkeren Friedenstruppe der Vereinten Nationen übernommen werden sollen. Man kann allenfalls unterschiedlicher Meinung sein, wann dieses Mandat endet, aber am Kern des Beschlusses ist nicht zu zweifeln – und er wird sich auch kaum noch ändern lassen. Es kommt hinzu, daß AMISOM bis heute nicht richtig angelaufen ist. Als bisher einziger Mitgliedsstaat der AU hat Uganda seit dem 6. März 1700 Soldaten nach Somalia geschickt, die ausschließlich in Mogadischu eingesetzt sind. Feste Zusagen gibt es außerdem von Burundi (1600 Mann) und Nigeria (850 Mann). Beide Staaten hatten angekündigt, im April mit der Stationierung zu beginnen. Ob dieser Zeitpunkt eingehalten wird, ist jedoch ungewiß. Die burundische Regierung spricht jetzt, ohne auf konkrete Details einzugehen, von finanziellen und logistischen Schwierigkeiten. Ebenfalls hatten zunächst Ghana (850 Mann) und Malawi (ohne Angabe) Kontingente in Aussicht gestellt, von denen aber schon lange nicht mehr gesprochen wird.
Ban Ki-moons Möglichkeiten
Die dramatische Verschlechterung der Lage in Somalia, und ganz besonders in der Hauptstadt, erschwert es zusätzlich, weitere afrikanische Staaten für die Entsendung von Truppen zu gewinnen oder wenigstens die gegebenen Zusagen zu realisieren. Es ist daher nicht absehbar, daß AMISOM die beschlossene Stärke von 8000 Soldaten erreichen wird. Und selbst diese Einsatzstärke wäre noch zu gering, um die Äthiopier ablösen zu können. UN-Kreise kritisieren in diesem Zusammenhang auch, daß keine einheitliche Führung und Einsatzplanung der AMISOM zu erkennen ist.
Zur Zeit fällt das nur deshalb nicht auf, weil sich ausschließlich Ugander in Somalia befinden. Die Regierung in Kampala hat öffentlich verkündet, daß ihre Soldaten sich darauf beschränken sollen, Armeeinheiten der »Übergangsregierung« auszubilden, aber daß sie sich in die Kämpfe auf keinen Fall einmischen sollen. Das stimmt nicht hundertprozentig, denn die ugandischen Soldaten bewachen in Mogadischu strategisch wichtige Punkte wie den Flughafen und die Umgebung des Präsidentenpalastes, die den Äthiopiern als Stützpunkte und Ausgangsbasis für ihre Angriffe dienen. Tatsache ist aber, daß sie sich bisher aus den Kämpfen herausgehalten und auch erst einen einzigen Mann (durch Artilleriebeschuß) verloren haben.
Ganz anders tritt die Regierung Burundis auf. Ein Armeesprecher verkündete Ende März, die burundischen Soldaten ließen sich durch die Kämpfe in Mogadischu nicht abschrecken und seien willens, es mit den »Aufständischen« aufzunehmen. Durch den Bürgerkrieg in Burundi – in dem es Hunderttausende Tote und entsetzliche Massaker gegen die Zivilbevölkerung gab – seien die Truppen bestens auf die Situation in Somalia vorbereitet. »Wir haben schlimmere Szenen als diese [in Mogadischu, K. M.] erlebt. Ich denke nicht, daß das unsere Soldaten im geringsten schrecken kann«, sagte Colonel Adolphe Manirakiza. Außerdem erhielten die Soldaten noch ein intensives Sondertraining.
Theoretisch könnte der UN-Generalsekretär dem Sicherheitsrat jetzt mehrere Empfehlungen vorlegen:
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Die Aufwertung der AMISOM zu einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen, ohne deren ausschließlich afrikanischen Charakter zu ändern. Das könnte sich als bequeme Übergangslösung anbieten, hätte aber keinerlei praktischen Wert, außer daß danach vielleicht die Frage der Finanzierung etwas verbindlicher angepackt werden könnte.
- Eröffnung der Diskussion über eine breiter getragene UN-Friedenstruppe. Diese könnte an Bedingungen geknüpft werden, wie etwa die tatsächliche Eröffnung eines umfassenden gesellschaftlichen Dialogs, der auch eine grundsätzliche Bereitschaft der »Übergangsregierung« zur Machtteilung beinhalten müßte.
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Strafmaßnahmen gegen »Friedensstörer«. Diese könnten sich nach Lage der Dinge nur gegen Eritrea richten, dem vorgeworfen wird, die Opposition gegen die »Übergangsregierung« und gegen die äthiopische Militärintervention zu unterstützen. Eine solche Entscheidung würde den seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea weiter anheizen. Nach aller bisherigen Erfahrung ist dem UN-Sicherheitsrat aber leider sogar eine so extrem dumme, inkompetente, verhängnisvolle Entscheidung zuzutrauen. Zumal dann, wenn es darum geht, angesichts fehlender Handlungsmöglichkeiten trotzdem irgendeine Form von Aktivität zu simulieren.
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Vertagung einer Entscheidung, etwa durch einen neuen Prüfungsauftrag an den UN-Generalsekretär. Das ist derzeit die wahrscheinlichste, weil bequemste Option. Immerhin deckt das AMISOM-Mandat formal noch ungefähr die nächsten drei oder sogar vier Monate. Und die schwierige öffentliche Diskussion über ein neues militärisches Somalia-Abenteuer hat bisher weder in den USA noch in Europa wirklich begonnen. Was läge also näher, als das heikle Thema noch ein Vierteljahr untätig vor sich her zu schieben?
UNO stärkt »Übergangsregierung«
Ausweichen läßt sich der Frage jedoch letztlich nicht. Aufrechterhaltung des Status quo bedeutet auf unabsehbare Zeit Verlängerung der Präsenz Tausender äthiopischer Besatzungssoldaten in Somalia, da von diesen vollständig das Überleben der »Übergangsregierung« abhängt. Es gibt aber überhaupt keine schlechtere Lösung als diese. Selbst US-amerikanische Soldaten wären vermutlich in Somalia etwas willkommener als die Äthiopier. AMISOM aber könnte, selbst wenn auf wunderbare Weise plötzlich doch noch die beschlossene Stärke von 8 000 Mann erreicht würde – die bisherigen Zusagen addieren sich nur auf 4000 –, keinesfalls die Äthiopier ersetzen. Nicht einmal, wenn die Dauer des Mandats noch einmal um sechs Monate verlängert würde. Und die jetzige Konstellation stellt für die schwache »Übergangsregierung«, die ohne das äthiopische Militär keine Woche überleben würde, auch überhaupt keinen Anreiz dar, sich mit ihren Gegnern zu verständigen und ihre Macht zu teilen.
Ein grundsätzlicher, wegen des bisherigen Verhaltens schwer zu behebender Fehler in der Positionierung des UN-Sicherheitsrats ist die einseitige Parteinahme für die »Übergangsregierung«. Diese ist ein reines Kunstprodukt, geschaffen im Oktober 2004 nach einer monatelangen Konferenz im Nachbarland Kenia. Ihr realer Wert läßt sich an der Tatsache ermessen, daß es sich immerhin um den vierzehnten Versuch seit 1991 handelt, dem Land wieder eine zentrale, allgemein oder wenigstens überwiegend anerkannte Regierung zu verschaffen.
Nach der international anerkannten Planung soll dieses seltsame Gebilde sich erst im Jahr 2009 erstmals freien Wahlen stellen müssen. Aber das reicht dem UN-Sicherheitsrat in seinem jetzigen desolaten und inkompetenten Zustand, das reicht auch Rußland und China, um nicht nur die »Legitimität« dieses Konstrukts unbedingt zu verteidigen, sondern um ihm auch das katastrophale Recht zuzubilligen, Tausende Soldaten aus einem feindlichen Nachbarstaat zur Hilfe gegen die eigene Bevölkerung ins Land zu holen. Die Vereinten Nationen scheinen wirklich an einem Tiefpunkt ihrer Entwicklung angekommen zu sein.
Auf dem Papier sollte die »Übergangsregierung« alle relevanten politischen und gesellschaftlichen Kräfte des Landes repräsentieren. Ein Ziel, das von vornherein nicht zu realisieren war. Weit schwerer wog, daß das Gebilde fast vom ersten Tag an nicht mehr einheitlich die Kräfte vertrat, die sich bei den monatelangen Verhandlungen in Kenia scheinbar geeinigt hatten. Schon die Frage des Regierungssitzes spaltete das Unterstützerspektrum. Die vorherrschende Fraktion der »Übergangsregierung« zog es vor, sich in der nahe zur äthiopischen Grenze gelegenen Provinzstadt Baidoa zu verschanzen, weil eine Übersiedlung in die Hauptstadt Mogadischu unvermeidlich mit einer Verschiebung des internen Kräfteverhältnisses einhergegangen wäre. Selbst den Umzug nach Baidoa wagte die »Übergangsregierung« erst Anfang 2006. Bis dahin hatte sie sich in Kenia sicherer gefühlt.
Islamische Union gewinnt Einfluß
Die Afrikanische Union hatte schon im März 2005 eine internationale Friedenstruppe vorgeschlagen, um die schwache »Übergangsregierung« abzusichern. Zum damaligen Zeitpunkt ignorierten die Großmächte und der UN-Sicherheitsrat diesen Hilferuf vollständig. Die US-Regierung unterstützte statt dessen spätestens seit Anfang 2006 in Mogadischu eine zwielichtige Koalition von Warlords, die mit dem schönen Namen »Allianz für die Wiederherstellung des Friedens und für die Bekämpfung des Terrorismus« um Sympathie und Hilfe der westlichen Welt warb. US-Medien berichteten, daß dieses Bündnis von der US-Regierung mit monatlich 100 000 bis 150 000 Dollar subventioniert und zudem direkt von der CIA angeleitet wurde.
In wochenlangen Kämpfen gelang es im Frühjahr 2006 dem Bündnis Union der Islamischen Gerichte (UIC), die Macht der Warlords in Mogadischu zu brechen. Anfang Juni 2006 flüchteten diese aus der Stadt. Es folgte eine Phase, die nach allgemeiner Darstellung sämtlicher Medien erstmals seit Beginn des Bürgerkrieges vor 15 Jahren wieder stabile, gesetzliche, für die Menschen einigermaßen sichere Verhältnisse in der Hauptstadt brachte. Der Hafen und der Flughafen, die viele Jahre geschlossen gewesen waren, konnten wieder in Betrieb genommen werden. Das erleichterte nicht nur den Handel, und damit endlich eine Wiederbelebung der somalischen Wirtschaft, sondern auch die internationalen Hilfslieferungen.
Bezeichnend für die damalige Situation ist, daß die »Übergangsregierung« der UIC zunächst betont herzlich zur Übernahme der Macht in Mogadischu gratulierte. Die folgenden Versuche, durch Diskussionen und Verhandlungen eine Einigung und Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten zu erreichen, schlugen allerdings fehl. Vermutlich nicht zuletzt aufgrund der ständigen massiven Einmischung der US-Regierung. Verhandlungshindernis war zunächst die irreale Forderung der »Übergangsregierung«, die UIC müsse vor jeder Einigung ihre Waffen abgeben. Mit der Verschiebung des Kräfteverhältnisses war es aber bald die UIC, die eine wesentliche Bedingung stellte: Abzug der äthiopischen Soldaten, von denen die »Übergangsregierung« seit Juli 2006 Tausende ins Land holte.
Das aber rief eine tiefgehende Krise unter den Kräften hervor, die sich zwei Jahre zuvor in Kenia auf dieses Bündnis geeinigt hatten. Anfang August 2006 überstand Ministerpräsident Gedi ein parlamentarisches Mißtrauensvotum nur knapp. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmten gegen ihn, aber die erforderlichen zwei Drittel wurden nicht erreicht. In den folgenden Tagen legten rund 50 Minister, Staatssekretäre und Stellvertreter der »Übergangsregierung« ihre Ämter nieder. Grund: Sie warfen den vorherrschenden Kräften vor, eine breite nationale Versöhnung zu sabotieren und statt dessen Somalia dem äthiopischen Regime auszuliefern. Die Folge war eine völlige Neubildung der »Übergangsregierung«.
Anfang Oktober 2006 übersiedelten rund 40 Abgeordnete nach Mogadischu und schlossen sich der UIC an. Parlamentssprecher Scharif Hassan Scheik Adan handelte mit der UIC eine weitgehende Einigung aus, die aber von der »Übergangsregierung« kategorisch abgelehnt wurde.
Inzwischen ist die Auflösung des hinter der »Übergangsregierung« stehenden Bündnisses weiter vorangeschritten. Adan wurde abgesetzt. Zahlreiche Abgeordnete des »Übergangsparlaments« halten sich im Ausland auf, weil sie bei einer Rückkehr nach Somalia ihre Verhaftung befürchten müßten. Wohl noch aussagekräftiger ist die Wandlung des ehemaligen Innenministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten Hussein Aidid. Er ist der Sohn des Warlords, der während der UN-Mission Anfang der neunziger Jahre der Hauptfeind der US-Truppen war. Aidid selbst ist aber in den USA aufgewachsen, hat bei den Marines gedient, galt bis vor kurzem als zuverlässigster Mann der Amerikaner und der Äthiopier. Jetzt trat er ausgerechnet in Eritrea mit dem Vorwurf auf, die äthiopischen Besatzungstruppen begingen Völkermord an der somalischen Bevölkerung.
Mag es Aidids Ärger über die Degradierung bei der Regierungsumbildung im Februar sein. Mag es seine Loyalität gegenüber dem Hawiye-Klan sein, der Mogadischu dominiert und derzeit der mächtigste Gegner der »Übergangsregierung« ist. Alle Anzeichen weisen jedenfalls darauf hin, daß dieses Kunstgebilde in der Sackgasse steckt und durch sein Bündnis mit dem äthiopischen Regime immer weiter an Einfluß verliert. Jede Politik, die trotzdem auch künftig einseitig auf dieses Gebilde setzt, statt ohne Parteinahme einen breiten, konstruktiven Dialog zu befördern, verschlimmert und verlängert die Leiden des somalischen Volkes.
* Aus: junge Welt, 17. April 2007
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