Die alten Mönche zündeln weiter
Sri Lanka: Erstmals Aussichten auf eine Lösung
Von Walter Keller
Im Folgenden dokumentieren wir einen Hintergrundbericht über die Friedensaussichten im Bügerkriegsland Sri Lanka. Der Artikel aus der Schweizer Wochenzeitung WoZ vom 14. Februar 2002 wurde von uns leicht gekürzt.
... Der katholische Bischof Joseph Rayappu ist ein Mann des Friedens. Seine
Kirche spielt nur eine untergeordnete Rolle, gerade einmal sieben Prozent
der zwanzig Millionen EinwohnerInnen von Sri Lanka bekennen sich zum
christlichen Glauben. Darunter befinden sich SinghalesInnen wie
TamilInnen, auch wenn die singhalesische Bevölkerungsmehrheit
mehrheitlich buddhistisch und die tamilische Minderheit vorwiegend
hinduistisch ausgerichtet ist. Da die Bischöfe und Priester Angehörige der
beiden grossen Volksgruppen erreichen, nehmen sie nun im
Friedensprozess eine führende Rolle ein. Seinen Sitz hat Bischof Rayappu
im nordwestlichen Mannar, einer eher entlegenen Region am Rande des
Bürgerkriegsgebietes von Sri Lanka. Immer wieder hat der Sechzigjährige
während der vergangenen Jahre Strapazen auf sich genommen und ist in
die so genannten «uncleared areas» gereist, in jene Gebiete also, die von
der tamilischen Rebellenorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam
(LTTE) kontrolliert werden und wo hunderttausende tamilische Flüchtlinge
leben. Zu gerne würden diese Menschen in ihre Heimat auf der nördlichen
Halbinsel Jaffna zurückkehren. Doch die steht nach wie vor unter Kontrolle
der Regierungstruppen. Jetzt aber gibt es Hoffnung auf eine baldige
Rückkehr.
Immer wieder hat Joseph Rayappu während der letzten Jahre versucht,
zwischen der Regierung und den LTTE zu vermitteln. Anfeindungen, er sei
ein «Mann der LTTE», hat er dabei stets zurückgewiesen. «Diese Arbeit
zahlt sich jetzt aus», sagt er, «seit einigen Wochen passieren Dinge, von
denen wir bisher nicht einmal zu träumen gewagt haben.» Heute ist der
Bischof eigens nach Madhu gereist. Madhu war in Friedenszeiten ein
katholischer Wallfahrtsort, der momentan aber von den LTTE kontrolliert
wird. Er liegt auf halber Strecke zwischen Mannar und Vavuniya, entlang
der alten A30, ungefähr 250 Kilometer nördlich der Hauptstadt Colombo. In
Madhu gab es bislang den einzigen «Grenzübergang» zwischen den
LTTE-kontrollierten und regierungskontrollierten Landesteilen der Insel.
Anlass seiner Reise war eine Ankündigung der LTTE, die heute zehn ihrer
singhalesischen Kriegsgefangenen übergeben wollen.
Müde Kämpfer
Die Szene am Kontrollpunkt wirkt irreal. Hier ein Riesenaufgebot schwer
bewaffneter Regierungssoldaten, dort Vertreter des Internationalen Roten
Kreuzes (IKRK), die die Gefangenen der LTTE in Empfang nehmen, durch
einen Streifen Niemandsland fahren und sie schliesslich den sri-lankischen
Streitkräften übergeben. Auch Mitglieder verschiedener Friedensgruppen
sind angereist; Eltern vermisster Soldaten warten freudestrahlend oder
weinend auf ihre Söhne, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen haben.
Einer der freigelassenen Singhalesen ist der 27-jährige E. L. Attanayake.
Neun Jahre hatte er in Gefangenschaft der Tamil Tigers verbracht, die für
einen eigenen Tamilenstaat auf der Insel kämpfen. «Ich wurde 1993 bei
einem Gefecht schwer verletzt und von den LTTE gefangen genommen.
Was soll ich sagen? Immerhin haben wir meistens genug zu essen
bekommen, die haben uns auch ordentlich behandelt.» Attanayake sitzt
auf einem Stuhl inmitten einer Menschenmenge und saugt scheinbar
ungerührt an einem Strohhalm, der in einer Cola-Flasche steckt. Der
schmalgesichtige junge Mann im frisch gestärkten Hemd blickt mit müden
Augen starr geradeaus.
Seine Eltern, die in Colombo von seiner Freilassung erfahren haben, sind
die weite Strecke hierher gefahren. Sie waren noch nie zuvor in dieser
Gegend, waren überhaupt noch nie in vorwiegend von TamilInnen
besiedelten Landesteilen. Sie hatten ihren Sohn nie aufgegeben und immer
gehofft, dass er noch lebe - und das, obwohl beide Kriegsparteien (die
LTTE und die sri-lankischen Streitkräfte) kaum Gefangene nahmen,
sondern meist kurzen Prozess machten. ... Auch Brigadier de Alwis, seit 34 Jahren in der singhalesisch dominierten
Armee, kann kaum glauben, was sich da vor seinen Augen abspielt. ... «Seit vier Wochen fallen hier
keine Schüsse mehr», sagt der Offizier. Nach den Parlamentswahlen im
Dezember vergangenen Jahres war erstmals ein von beiden Seiten
akzeptierter Waffenstillstand möglich geworden. Die LTTE hatten ihn
zuerst angeboten, die neue Regierung unter Premierminister Ranil
Wickremasingha war darauf eingegangen. Daraufhin hat die von der United
National Party (UNP) gestellte Regierung Anfang dieses Jahres
weitgehende Erleichterungen vorgenommen. Sie hat nicht nur die
Wirtschaftsblockade gegenüber den von den LTTE kontrollierten
Landesteilen gelockert, sondern auch Reisebeschränkungen vom Norden
in den Süden weitgehend aufgehoben. Selbst die Hauptstadt Colombo, in
den letzten Jahren immer wieder Ziel von Selbstmordattentaten, ist kaum
mehr von anderen asiatischen Grossstädten zu unterscheiden. Die vielen
Kontrollen und die Sperrung ganzer Strassenzüge gehören für den Moment
jedenfalls der Vergangenheit an. Die Stadt befindet sich nicht mehr im
Belagerungszustand.
Alle an einem Strang?
Der derzeitige Optimismus darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die grössten Schwierigkeiten noch bevorstehen: Es muss eine
politische Lösung gefunden werden. Der seit zwanzig Jahren andauernde
Bürgerkrieg hat bis zu 100.000 Menschenleben gefordert und
hunderttausende zu Flüchtlingen gemacht, hat die Bevölkerung gespalten
und tiefe Gräben gerissen. Es muss ein Ausgleich erzielt werden zwischen
den Forderungen der LTTE nach einem eigenständigen Tamilenstaat und
dem, was die Mehrheit der singhalesischen Bevölkerung der tamilischen
Minderheit zugestehen will. Seit mehreren Wochen versucht die
singhalesisch-radikale Janatha Vimukti Peramuna (JVP) - sie verfügt im
neuen Parlament über 16 von insgesamt 225 Sitzen - alle
Annäherungsversuche zwischen Regierung und LTTE zu hintertreiben.
Dass ein militärischer Sieg über die LTTE jedoch in absehbarer Zeit kaum
möglich erscheint, hat die neue Regierung eingesehen (...).
Und so besteht derzeit eine Chance auf eine Lösung des Konflikts.
Erstmals in der jüngeren Geschichte Sri Lankas ziehen Regierung und
Opposition am selben Strang. Bei der Parlamentswahl Anfang Dezember
hatte die UNP die seit siebzehn Jahren regierende Volksallianz von
Präsidentin Chandrika Kumaratunga mit dem Versprechen schlagen
können, nach einem Wahlsieg Friedensgespräche aufzunehmen. Mit
demselben Versprechen war einst auch Kumaratunga angetreten. Zur
Lösung will auch die Kirche beitragen. Die rund tausend katholischen
Priester könnten in diesem Prozess eine wichtige Rolle übernehmen. Doch
die Aktivitäten eines Bischofs Joseph Rayappu allein reichen nicht aus in
einem Land, das von einem mächtigen buddhistischen Klerus geprägt ist.
Die rund 20.000 buddhistischen Mönche sind ein Machtfaktor, den jede
Regierung des Landes berücksichtigen muss. Vor allem die älteren
Mönche vertreten singhalesisch-nationalistische Positionen und sehen in
der tamilischen Minderheit eher Eindringlinge - Resultat einer
Geschichtsschreibung, die vor allem auf Mythen vom Kampf der
Singhalesen gegen Tamilen beruht. Viele jüngere Mönche beteiligen sich
hingegen an interreligiösen Arbeitsgruppen. So hat beispielsweise der
buddhistische Mönch Pandit Madampagama - sein Tempel liegt inmitten
tamilischer und muslimischer Siedlungsgebiete der Hauptstadt - kürzlich
gesagt: «Um Frieden zu schaffen, reisen wir durch das ganze Land, wir
gehen von Haus zu Haus und verhandeln mit allen Menschen, damit der
Friedensprozess voranschreitet.» Seinen Weg wollen nun auch die
sri-lankische Präsidentin Chandrika Kumaratunga und der neue
Premierminister Ranil Wickremasingha beschreiten. Anlässlich des 54.
Unabhängigkeitstages am 4. Februar sprachen sie von einer historischen
Friedenschance, die nicht ungenutzt verstreichen dürfe.
Aus: WoZ, 14. Februar 2002
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