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Sri Lanka ohne Illusionen

Nach drei Jahren Schweigen treffen sich Regierung und Tamilrebellen in Genf. Thema: Einhaltung der Waffenruhe

Von Hilmar König*

Es ist Zufall, daß sich am Donnerstag [23.02.2006] zum vierten Mal der Tag der Unterzeichnung der Waffenruhe zwischen den Streitkräften und den tamilischen Befreiungstigern (LTTE) jährt und beide Seiten genau zu diesem Thema Gespräche in der Schweiz führen. Am heutigen Mittwoch beginnt das zweitägige Treffen in Genf. Illusionen über dessen Ausgang bestehen weder unter der Bevölkerung Sri Lankas noch unter den Teilnehmern, im Team der norwegischen Vermittler oder bei internationalen Beobachtern. Der Grundtenor der Meinungen ist, es werde voraussichtlich keine Einigung geben, sondern wenn alles günstig laufe, verständige man sich höchstens auf ein Datum für ein nächstes Treffen.

Hagrup Haukland, der Vorsitzende der Überwachungskommission der Waffenruhe (SLMM) äußerte, er sehe den Gesprächen zwar mit großem Interesse entgegen, wolle zugleich aber unterstreichen, daß »es sich keineswegs um Friedensverhandlungen handelt.« Auch LTTE-Chefunterhändler Anton Balasingham betonte, Ziel der Gespräche sei ausschließlich die volle Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens. Mit der gleichen Absicht traf die hochrangige Regierungsdelegation aus Colombo in Genf ein.

Das klingt nach Einmütigkeit in der Bewertung der brisanten Situation. Immerhin registrierte die SLMM über 3600 Verletzungen der Waffenruhe, was den Tod von mehr als 150 Zivilisten, Rebellen und Soldaten allein seit Dezember 2005 zur Folge hatte. Doch wie überhaupt zum ethnisch-sozialen Konflikt zwischen tamilischer Minderheit und singhalesischer Mehrheit bestehen auch zur Waffenruhe gegensätzliche Positionen. Die Rebellen halten das Abkommen für angemessen und pochen lediglich darauf, eine Schwachstelle zu beseitigen – das Treiben »paramilitärischer Banden«, die beim Abschluß des Abkommens nicht existierten. Gemeint sind die Überfälle der Kommandos von Oberst Karuna. Er trennte sich im März 2004 von der LTTE und handelt seitdem auf eigene Faust. Die Rebellen jedoch sind davon überzeugt, Karuna genieße den Segen und die Unterstützung Colombos. Sie fordern dessen Auslieferung, zumindest aber die Entwaffnung seiner Trupps. Der Abtrünnige ließ indes verlauten, Entwaffnung könne es erst dann geben, wenn auch die LTTE ihre Waffen streckt.

Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse hingegen bewertet das von der Vorgängerregierung unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen als nicht ausgewogen. Es bevorteile die Rebellen. Deshalb müsse es korrigiert werden. Rajapakses radikale Verbündete in der regierenden Koalition gehen noch einen Schritt weiter. Die singhalesische Volksbefreiungsfront (JVP) verlangt einen »völlig neuen Anfang und nicht die Fortsetzung des alten, gescheiterten Friedensdialogs.« Die Partei des Nationalen Erbes der buddhistischen Mönche will »bis zum bitteren Ende kämpfen«, wenn die Gespräche in Genf nichts bringen.

Die Auffassungen zum ethnisch-sozialen Konflikt klaffen weit auseinander. Im September 2002 begann dazu der sogenannte Friedensdialog. Doch nach sechs Gesprächsrunden brach er bereits im April 2003 zusammen. Seitdem haben sich die Fronten noch mehr verhärtet. Vor wenigen Tagen forderte Rajapakse, die LTTE müsse ihr »Konzept von zwei Nationen oder zwei Staaten aufgeben.« Es werde kein tamilisches Heimatland Tamil Eelam geben. Eine Übertragung von Machtbefugnissen sei nur unter einheitsstaatlichen Strukturen machbar. »Selbstherrschaft« für die Tamilen schloß er aus. Empört entgegnete die LTTE, »Heimatland, nationale Eigenständigkeit und Selbstherrschaft« seien drei Grundprinzipien ihres Kampfes. So schwelt die Lunte am Pulverfaß des Krieges weiter, unabhängig vom Resultat des Genfer Treffens.

* Aus: junge Welt, 22. Februar 2006


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