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Sri Lanka erneut am Rand des Krieges

40.000 Menschen wieder auf der Flucht

Von Hilmar König, Delhi*

Nach den jüngsten massiven Militäroperationen gegen die tamilischen Befreiungstiger ist Sri Lanka erneut vom Krieg bedroht.

Ulf Henricsson, der Chef der internationalen Sri-Lanka-Mission (SLMM), die die Waffenruhe zwischen den tamilischen Befreiungstigern (LTTE) und den Streitkräften überwacht, konstatierte am Mittwoch, dass keine Seite das entsprechende Abkommen gekündigt hat. Doch die SLMM habe schwere Verstöße registrieren müssen. In einer Vergeltungsaktion bombardierte die Luftwaffe Stellungen der Rebellen im Nordosten. Auch Artillerie und Marine beteiligten sich an den Attacken. Dabei wurden mindestens zwölf Menschen getötet. Nach Angaben der LTTE befinden sich 40 000 Menschen auf der Flucht, weil sie das Ende der Waffenruhe befürchten.

Die Streitkräfte reagierten auf ein vermutlich von der LTTE eingefädeltes Selbstmord-Attentat vom Dienstag. Eine als Schwangere Verkleidete verschaffte sich mit gefälschten Papieren unter dem Vorwand, sich im Hospital lassen zu wollen, Einlass ins Militärhauptquartier in Colombo. Dort zündete sie den am Leib versteckten Sprengsatz. Dadurch wurde Armeechef Generalleutnant Sarath Fonseka schwer verletzt, und zehn Menschen riss die Attentäterin mit sich in den Tod. Kurz danach soll die LTTE ein Schiff der Marine in der Nähe der Hafenstadt Trincomalee angegriffen haben.

Ähnliche Provokationen hatte Sri Lankas Militär in den vergangenen vier Jahren stets mit Zurückhaltung beantwortet. Selbst die Ermordung des damaligen Außenministers löste keinen Militärschlag aus. Diesmal jedoch ließ die neue Regierung unter Premier Mahinda Rajapakse mit voller Wucht zurückschlagen.

Auch wenn am Donnerstag die Gefechte abflauten, steht die Drohung beider Seiten weiter im Raum, auf jede Operation des Gegners sofort massiv zu reagieren. Noch rätselt man über die Ursachen der Eskalation der Gewalt. Ist es auf Seiten der LTTE nur der Ärger über die Aktivitäten des abtrünnigen Oberst Karuna? Angeblich wird er vom Militär behütet.

LTTE-Chefunterhändler Anton Balasingham beschuldigte Colombo deshalb eines »Schattenkrieges«. Gemäss der im März beim ersten Treffen in Genf zwischen LTTE und Rajapakse-Repräsentanten getroffenen Vereinbarung sollte Karuna und seinen Kommandos das Handwerk gelegt werden. Das aber geschah nicht, und dies gilt als Hauptgrund für das Hinauszögern einer zweiten Verhandlungsrunde, die eigentlich im April über die Bühne gehen sollte. S.P. Thamilselvan, Leiter der politischen Abteilung der Rebellen, äußerte dazu, an ein weiteres Meeting in Genf sei erst zu denken, wenn »alle Hürden« beseitigt und eine »geeignete Atmosphäre« geschaffen seien.

Davon kann derzeit gar keine Rede sein. Balasingham »nimmt mit Sicherheit an, dass die Regierung die militärische Option nicht aufgegeben hat«. Und Gleiches glaubt Colombo von den Rebellen. So bleiben nur Hoffnungen wie die von der EU geäußerte, die jüngste Entwicklung dürfe die Friedensperspektive nicht gefährden.

* Aus: Neues Deutschland, 28. April 2006


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