In Sri Lanka stirbt letzte Friedenshoffnung
Angriff auf ein Waisenhaus lässt den Konflikt zwischen Befreiungstigern und Regierung eskalieren
Von Stefan Mentschel, Delhi *
Nach einem verheerenden Angriff der Luftwaffe auf ein Waisenhaus im von den Befreiungstigern
gehaltenen Teil Sri Lankas scheinen Friedensgespräche vorerst ausgeschlossen.
In Sri Lanka schwinden die letzten Hoffnungen auf ein schnelles Ende der Gewalt. Nach Angaben
der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) sollen bei einem Luftangriff auf ein Waisenhaus nahe
der Stadt Mullaittivu 61 Schülerinnen ums Leben gekommen sein. 130 seien verletzt worden. Die
Luftwaffe habe das Gelände bombardiert, als die Mädchen dort an einem Erste-Hilfe-Kurs
teilnahmen, hieß es. Kampfflugzeuge warfen insgesamt 16 Bomben ab.
Während ein LTTE-Sprecher die mutmaßliche Attacke der srilankischen Armee als »grausamen Akt
des Terrors« bezeichnete, nannte ein Vertreter des Verteidigungsministeriums die Anschuldigungen
gegenüber der Presse ein »Lügenmärchen«. Allerdings wurde aus Militärkreisen bestätigt, dass es
Luftangriffe im Rebellengebiet gegeben habe. Einzelheiten zu Zielen waren zunächst nicht bekannt
geworden. Wenig später sagte jedoch ein General der Luftwaffe der Nachrichtenagentur AP, dass
es sich bei »diesem Ort« um ein Lager der LTTE gehandelt habe.
Die skandinavische Beobachtermission, die für die Überwachung des vor vier Jahren zwischen
Regierung und LTTE geschlossenen Waffenstillstands zuständig ist, kündigte an, eine
Untersuchungskommission nach Mullaittivu zu entsenden. »Wir können erst etwas zu diesem Vorfall
sagen, wenn unser Team den Ort des Geschehens erreicht und Ermittlungen eingeleitet hat«,
erklärte der Sprecher der Mission, Thorfinnur Omarsson.
Auch in der Hauptstadt Colombo waren am Montag Menschenleben zu beklagen. Bei einer
Bombenexplosion sollen mindestens sieben Personen getötet und 17 weitere verletzt worden sein.
Der Anschlag, der sich unweit der Residenz von Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapkase
ereignete, war jedoch, wie sich bald herausstellte, gegen einen Konvoi des pakistanischen
Botschafters gerichtet. Zu Hintergründen und Drahtziehern gab es zunächst keine Angaben.
Mit der Bombardierung des Waisenhauses hat der Konflikt zwischen Regierung und LTTE einen
neuen traurigen Höhepunkt erreicht. Vor 20 Jahren begannen die tamilischen Rebellen ihren
bewaffneten Kampf zunächst für einen eigenen Staat, später für Autonomie im Norden und Osten
Sri Lankas. Eine im Februar 2002 unter norwegischer Vermittlung vereinbarte Waffenruhe sollte den
Bürgerkrieg eigentlich beenden. Offiziell gilt sie noch immer, doch in der Realität ist davon nichts
mehr zu spüren. Seit Dezember erlebt Sri Lanka ein Wiederaufflammen der Gewalt. Wiederholt und
massiv haben beide Seiten gegen das Osloer Abkommen verstoßen. Eskaliert war die Situation
dann vor drei Wochen, als die LTTE im Distrikt Trinconmalee die Schleusentore eines wichtigen
Bewässerungssystems geschlossen hatte, worauf die Armee eine massive Gegenoffensive startete.
Die Folge: Gefechte und Anschläge haben in den vergangenen Monaten mehr als 1000 Tote
gefordert. Zudem sind im Norden und Osten des Landes fast 100 000 Menschen auf der Flucht. Das
erhöht die Zahl derjenigen, die in den letzten Jahren aufgrund des Konflikts zum Verlassen ihrer
Heimat gezwungen wurden, auf über 350 000.
Trotz massiver Kämpfe gab es zwischenzeitlich immer wieder Hoffnung. Doch alle Anläufe zu
Friedensgesprächen scheiterten. Erst am Sonntag hatte der Chef des staatlichen
Friedenssekretariats, Palitha Kohona, bekanntgegeben, die Rebellen hätten der Regierung ein
neues Verhandlungsangebot unterbreitet. Ein ranghoher LTTE-Vertreter dementierte die Nachricht
jedoch wenig später. Die Kämpfe auf der nördlichen Halbinsel Jaffna machten Verhandlungen zum
jetzigen Zeitpunkt unmöglich, hieß es. Dabei waren am Wochenende mindestens 200 LTTEKämpfer
und 27 Regierungssoldaten ums Leben gekommen. Auch gestern hielten die
Auseinandersetzungen an. Angesichts der verhärteten Fronten fordern Experten wie der
Friedensforscher Jehan Perera seit Wochen vehement eine neue Friedensinitiative der
Weltgemeinschaft.
Deren Fokus liegt derzeit allerdings auf dem Nahen Osten. Doch ohne internationalen Druck ist zu
befürchten, dass das tägliche Blutvergießen in Sri Lanka anhält.
* Aus: Neues Deutschland, 15. August 2006
Offerte der Rebellen in Sri lanka
Trotz weiterer Kämpfe sind Befreiungstiger offenbar gesprächsbereit
Von Stefan Mentschel, Delhi **
Obwohl sich Tamilische Befreiungstiger und Regierungstruppen Sri Lankas auch am Wochenende
heftige Auseinandersetzungen lieferten, soll in Colombo ein Verhandlungsangebot der Rebellen
eingegangen sein.
Die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) wollen zurück an den Verhandlungstisch. Das
zumindest erklärte der Chef des staatlichen Friedenssekretariats von Sri Lanka, Palitha Kohona, am
Sonntag in einem Interview. Ein entsprechendes Angebot der Rebellen hätten ihm skandinavische
Waffenstillstandsbeobachter übermittelt. »Wir begrüßen diesen Schritt«, so Kohona, dessen
Einrichtung die 2002 geschlossene Waffenruhe zwischen Regierung und LTTE umsetzen soll. »Und
wir sind bereit, die Verhandlungen so bald wie möglich wieder aufzunehmen.« Eine offizielle
Reaktion der LTTE-Führung gab es bislang nicht.
Nur wenige Stunden zuvor war Kohonas Stellvertreter Kethesh Loganathan vor seinem Haus in
Colombo erschossen worden. Der 54-jährige Tamile saß bis Mitte der 90er Jahre für die linke
Revolutionäre Volksbefreiungsfront von Eelam im Parlament und hatte sich vom bewaffneten Kampf
der LTTE losgesagt. Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse machte die Befreiungstiger für die Tat
verantwortlich. Deren Nachrichtenportal sprach von »unbekannten Tätern«.
Derweil haben die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der für einen unabhängigen
Tamilen-Staat kämpfenden LTTE und der srilankischen Armee an Schärfe zugenommen. Allein auf
der Halbinsel Jaffna im Norden des Landes sollen am Wochenende mehr als 200 Rebellen und 27
Regierungssoldaten getötet worden sein. Zehntausende Zivilisten sind auf der Flucht. Die Halbinsel
wird mehrheitlich von Tamilen bewohnt. Mitte der 80er Jahre – kurz nach Beginn des Bürgerkriegs –
war sie von der LTTE unter ihre Kontrolle gebracht worden. 1995 hatte die Armee Jaffna
zurückerobert. Allerdings kontrollieren die Befreiungstiger weiterhin die Verbindung zum Festland.
Am Sonnabend nun begann die LTTE eine Offensive, um Teile Jaffnas wieder unter ihre Herrschaft
zu bringen. Von den Regierungstruppen wurde sie mit Artilleriefeuer und Angriffen der Luftwaffe
zurückgeschlagen. Beobachtern zufolge waren es die heftigsten Kämpfe seit vier Jahren. Auch in
Batticaloa und Trinconmalee im Osten des Landes wurde gekämpft.
Im Distrikt Trinconmalee hatte die jüngste Gewaltwelle vor drei Wochen ihren Ausgang genommen.
Nachdem die LTTE die Schleusentore eines Kanalsystems geschlossen hatte, griff die Armee
Stellungen der Rebellen an. Unterschiedlichen Angaben zufolge sollen dabei zwischen 150 und 500
Menschen ums Leben gekommen sein, darunter 17 Mitarbeiten einer französischen
Hilfsorganisation. Beobachter sprechen zudem von 50 000 Flüchtlingen.
Angesichts anhaltender Kämpfe und neuer Flüchtlingsströme rief nun auch die internationale Sri
Lanka-Geberkonferenz, bestehend aus Norwegen, EU, Japan und USA, die Konfliktpartei zu einer
sofortigen Waffenruhe auf. In einer in Brüssel veröffentlichten Erklärung zeigte man sich vor allem
aufgrund der zahlreichen zivilen Opfer »zutiefst besorgt« und forderte Regierung und Rebellen auf,
an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Und wenn beide Seiten ihre jüngsten
Gesprächsangebote tatsächlich ernst gemeint haben, sollte dem eigentlich nichts im Wege stehen.
** Aus: Neues Deutschland, 14. August 2006
***
Leere Hände
Ebenso wie manch anderer norwegischer Experte auf dem internationalen Parkett entstammt der
Sondergesandte für Sri Lanka, Jon Hanssen-Bauer, nicht den Zirkeln der Karrierediplomaten. Nach
seinem Studium der Sozialen Anthropologie, Geschichte und französischen Sprache an der
Universität Oslo arbeitete er zunächst am Arbeitsforschungsinstitut der norwegischen Hauptstadt.
1993 wurde er Forschungsdirektor des Osloer Fafo-Instituts für angewandte internationale
Beziehungen, das die Gewerkschaften Anfang der 80er Jahre gegründet hatten. 1997 ging er für ein
Jahr als regionaler Fafo-Repräsentant in den Nahen Osten. 1998 avancierte er zum Institutsdirektor.
Parallel dazu wirkte er zehn Jahre lang (bis 2003) als Chef des israelisch-palästinensischen Peopleto-
People-Programms.
Hanssen-Bauer, der Norwegens Außenministerium schon in Sachen Nahost beraten hatte, wurde ab
1.August 2005 für ein Jahr an das Ministerium »ausgeliehen«, um dort Forschungsstrategien für
Friedens- und Versöhnungsarbeit zu entwickeln. Doch dann kam am 17. März 2006 überraschend
die Ernennung zum Sondergesandten für Sri Lanka, der – so heißt es offiziell – »für das
Tagesgeschäft der norwegischen Vermittlung im Friedensprozess verantwortlich« ist. Sein
unmittelbarer Vorgänger Erik Solheim, der voriges Jahr zum Entwicklungsminister aufstieg, bleibt
indes Chef der Mission. Solheim, der in Kreisen der Regierung in Colombo als zu LTTE-freundlich
gilt, ist über die Entlastung froh: »Hanssen-Bauers akademische und praktische Erfahrung beweist,
dass er höchst qualifiziert für die Aufgabe ist. Er war an Friedens- und Versöhnungsarbeit in vielen
Staaten beteiligt.«
Bei seinem jüngsten Sri-Lanka-Trip konnte Hanssen-Bauer trotz aller Erfahrung allerdings keine
substanziellen Fortschritte verbuchen: Die LTTE, so wurde ihm bedeutet, duldet weiterhin keine
Mitglieder der Beobachtermission aus EU-Ländern (die dänischen und finnischen Beobachter
mussten abgezogen werden), weil die EU plötzlich die LTTE zur »terroristischen Vereinigung«
erklärte. Hanssen-Bauer, der verheiratet ist und ein Kind hat, wird angesichts der gespannten
Situation auf der Zimtinsel wohl noch öfter mit leeren Händen nach Oslo düsen.
Jochen Reinert
Aus: Neues Deutschland, 11. August 2006
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