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Sri Lanka: Frieden oder Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln

Von John P. Neelsen *

Anfang Februar 2009 überflogen zwei mit Bomben beladene Kamikaze-Flugzeuge der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) die Hauptstadt Sri Lankas und belegten damit erneut die Entschlossenheit dieser weltweit ersten mit Luftwaffe und Marine ausgerüsteten Guerilla. Doch die Flieger wurden abgefangen und erreichten weder ihre militärischen Ziele, das Hauptquartier der Luftwaffe und eine Luftwaffenbasis am internationalen Flughafen, noch gar eine Wende im seit 1983 währenden Bürgerkrieg.

Erneut gelang es nicht, die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf die Hintergründe dieses Konflikts -- mit seinen über 70 000 Toten, 800 000 intern Vertriebenen und 750 000 Flüchtlingen in der Diaspora -- zu lenken. Selbst die 250 000 von medizinischer Hilfe und Nahrungsmittellieferungen abgeschnittenen Menschen im nur noch 70 Quadratkilometer großen LTTE-Territorium veranlassten die UNO und die USA lediglich zu Appellen zu einem -- von Colombo umgehend zurückgewiesenen -- "humanitären Waffenstillstand". Die EU forderte die LTTE sogar zu Kapitulation und Selbstentwaffnung auf.

Dabei schien noch vor kurzem, im Jahre 2002, die Zukunft Sri Lankas und der tamilischen Minderheit Anlass für Optimismus zu bieten: Colombo hatte sich unter dem Eindruck schwerer militärischer Niederlagen, zehntausender Deserteure, der schrumpfenden Wirtschaft und einer kriegsmüden Bevölkerung zu einem Waffenstillstand und anschließenden Friedensverhandlungen bereit erklärt. Die Initiative für Verhandlungen war von der LTTE ausgegangen, die ihre großen Geländegewinne im Nordosten des Landes, dem traditionellen Siedlungsgebiet der srilankanischen Tamilen, in einem Proto-Staat mit eigenen Verwaltungs-, Gerichts- und Sicherheitsbehörden konsolidiert hatte. Die Einschaltung des Auslandes (Norwegen, USA, EU und Japan) und dessen Versprechen, Verhandlungsfortschritte mit umfangreichen Finanzhilfen zu honorieren, steigerten die Erwartungen.

Doch spätestens ab 2004 kamen die Gespräche zum Erliegen, Anfang 2008 wurde der Waffenstillstand von der Regierung in Colombo aufgekündigt. Seitdem setzt man erneut auf die militärische Karte. Worin aber liegen die Ursachen des Scheiterns? Ist mit dem erwarteten Sieg über die LTTE tatsächlich der Frieden gewonnen?

Hintergründe des Konflikts

Nach 450 Jahren europäischer Kolonialherrschaft wurde Ceylon 1948 unabhängig. Heute hat die Insel, die seit 1972 offiziell Sri Lanka heißt, 20 Millionen Einwohner mit einem jährlichen Durchschnittseinkommen von 1540 US-Dollar.

Die Briten hatten im 19. Jahrhundert die Grundlage einer peripher-kapitalistischen Ökonomie gelegt und die sprachlich, religiös-kulturell und politisch getrennten Gesellschaften von hinduistisch, drawidischen Tamilen im Norden und Osten und buddhistischen, indo-germanischen Singhalesen im Westen und Süden des Landes einer einheitlichen Verwaltung unterstellt.

Hier liegt der Kern des durch die heutige Mehrparteiendemokratie noch verschärften Konflikts zwischen diesen beiden Nationen: Die singhalesische Bevölkerung nutzte ihre Mehrheit (73 Prozent), um Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu ihren Gunsten zu instrumentalisieren -- gegebenenfalls und immer wieder auf Kosten des tamilischen Volkes (15 Prozent) sowie der beiden ebenfalls Tamil sprechenden Minderheiten der Muslime (8 Prozent) und der Nachfahren der nach 1830 als Plantagenarbeiter eingewanderten indischen Tamilen (4 Prozent).

Nach der Unabhängigkeit erklärte die singhalesisch dominierte Regierung zunächst die indischen Tamilen zu Staatenlosen. Seit den 50er Jahren errichtete man dann im Namen der "kulturellen und sozial-ökonomischen Entkolonialisierung" einen exkludierenden singhalesischen Staat: Die Staatssymbole wurden singhalisiert, Sinhala zur Nationalsprache erklärt, Minderheitenschutzrechte aus der Verfassung gestrichen, die Singhalesen durch Quotierung im höheren Ausbildungssystem sowie bevorzugte Rekrutierung bei den Staatsangestellten (bei den Sicherheitskräften bis zu 99 Prozent) begünstigt. Schließlich wurde ein Kolonisierungsprogramm für singhalesische Bauern in traditionell tamilischen Gebieten durchgeführt, das auch vor staatlicher Gewalt nicht zurückschreckte.

Die Tamilen, die sich derart strukturell in der Position einer ohnmächtigen und diskriminierten Minderheit sahen, wehrten sich zunächst mit friedlichen Mitteln im Rahmen der demokratischen Ordnung. Angesichts der Erfolglosigkeit dieser Bemühungen und mehrerer von Regierungsseite gebrochener Zusagen radikalisierte sich jedoch die Bewegung. Die Erfahrung, dass die eigenen Interessen im Machtkampf der beiden singhalesischen Hauptparteien immer wieder geopfert wurden, führte 1976 schließlich zu einem breiten Bündnis der wichtigsten tamilischen Parteien. Kernpunkt der Forderungen war nunmehr die Bildung eines eigenen, unabhängigen tamilischen Staates.

Der bei den anschließenden Wahlen erzielte Sieg in der tamilischen Wählerschaft galt fortan als demokratische Legitimation des Strebens nach Selbstbestimmung. Diese erschien nicht nur als Schutz gegen kollektive Diskriminierung, sondern zunehmend als einzige Garantie physischer Sicherheit. Denn mochten die Anti-Tamil-Pogrome von 1956 und 1958, ja selbst von 1977 noch als unkontrollierte Gewaltausbrüche des Mobs gelten -- beim Pogrom von 1983 war die Regierungspartei selbst an den Vorbereitungen beteiligt. Dies war zugleich der Anlass dafür, dass sich noch im selben Jahr mehrere Tamilenorganisationen, darunter die LTTE, mit Waffengewalt für ein unabhängiges Tamil Eelam erhoben. Bis zu den jüngsten Wahlen 2004, bei denen die Tamilische Nationale Allianz, die sich ausdrücklich als Repräsentantin der LTTE proklamierte, unter den Tamilen siegte, war die Unterstützung des Befreiungskampfes in der Bevölkerung ungebrochen.

Die Rolle der internationalen Gemeinschaft

Unabhängig von strategischen Fehlern der LTTE bleibt festzuhalten, dass der internationale Kontext für ihr Streben nach Unabhängigkeit ungünstig war.

Erstens wurde das in der UN-Charta verbriefte Recht auf externe Selbstbestimmung auf die ehemaligen (vor allem europäischen) Kolonien in Übersee beschränkt (zuletzt Osttimor). Das Völkerrecht erkennt internen Kolonialismus nicht als Grund für Sezession an. Völkerrechtlich bleibt den Tamilen also nur die interne Selbstbestimmung. Fragen der inneren Autonomie fallen aber in den Kompetenzbereich der Staaten und unterliegen dem Souveränitätsgebot. Der LTTE wurde die daraus resultierende strukturelle Ungleichheit zwischen staatlichem und nicht-staatlichem Akteur letztlich zum Verhängnis. Ihre auf dem Schlachtfeld errungenen Siege hatten der LTTE formal die Legitimation eines gleichberechtigten Verhandlungspartners beschert. Doch mit dem Waffenstillstand wurde allein die Regierung in Colombo Adressat und Repräsentant Sri Lankas auf der internationale Bühne, allein legitimiert, die Landesgrenzen zu sichern, Waffen einzuführen, Hilfsgelder in Empfang zu nehmen, ausländischen Diplomaten Besuche zu verweigern. So wurde der Waffenstillstand durch den staatlichen Akteur zur Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln genutzt: Verweigerung von Konzessionen am Verhandlungstisch bei gleichzeitiger Aufrüstung.

Zweitens fällt Indien als regionaler Ordnungsmacht Südasiens eine zentrale Rolle zu. Aber nachdem die militanten Organisationen auch im indischen Bundesstaat Tamil Nadu breite Unterstützung fanden, fürchtete die Zentralregierung des Vielvölkerstaats das Vorbild einer erfolgreichen Sezession. Den Wendepunkt der indischen Politik markierte der 1990 erfolgte schmähliche Rückzug der Indian Peace Keeping Force, die drei Jahre zuvor im Rahmen eines Abkommens nach Sri Lanka entsandt und ursprünglich von den Tamilen als Befreier begrüßt, dann aber im Konflikt um die Entwaffnung der Guerilla bekämpft worden war. Die Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Radschiv Gandhi durch die LTTE im folgenden Jahr und deren anschließende Proskription als terroristische Vereinigung zementierten diese Entwicklung.

Die Regierungsbeteiligung tamilischer Parteien zwang Neu-Delhi in der Folge zwar zur Zurückhaltung im srilankanischen Bürgerkrieg. Gleichzeitig bedrohte diese Zurückhaltung aber die indische Position als regionaler Hegemon: So wurde Indien zwar über den Waffenstillstand 2001/02 und die folgenden Gespräche informiert, die Vermittlerrolle aber übernahm Norwegen, und die Sri Lanka Monitoring Mission rekrutierte sich allein aus Skandinaviern. Selbst unter den "Co-Chairs" sucht man Indien vergeblich. Die zunehmende militärische Unterstützung Colombos durch Pakistan und China, die in Indien die alte Furcht vor seinen traditionellen Rivalen weckte, verstärkte dann erneut die indische Unterstützung Colombos. So kam es schließlich gar zu gemeinsamen Seepatrouillen und zur geheimdienstlichen Kooperation zur Niederschlagung des Aufstands.

Drittens zeigte sich alsbald, dass das Ausland nicht als neutraler Vermittler zwischen den Kontrahenten auftrat. Formal behandelten dessen Vertreter die LTTE zunächst als international anerkannten Partner, luden sie zum Studium der eigenen föderalen Politikmodelle ein, organisierten Verhandlungen in Tokio, Berlin und andernorts und versprachen materielle Hilfe. Doch im Konfliktfall übten die Repräsentanten einseitig Druck auf die LTTE aus, anstatt das reiche Arsenal nicht-militärischer Sanktionen auch dafür zu nutzen, Colombo zu einer föderalen Reform seines zentralistischen, autoritären Präsidialsystems zu bringen und damit das Angebot der Guerilla, die Möglichkeiten interner Autonomie auszuloten, auf den Prüfstand zu stellen. Im Gegenteil, unter Aussetzung der WTO-Regeln wurde dem wirtschaftlich bedrängten und hoch verschuldeten Land sogar ein privilegierter Zugang zum EU-Markt gewährt.

Gleichzeitig wurde die LTTE, auch von der EU, als terroristische Vereinigung gebrandmarkt, selbst ihr nahe stehende Hilfsorganisationen der Diaspora kriminalisiert, um deren, für den Befreiungskampf wichtigen materiellen Ressourcentransfer auszutrocknen. So regredierte die Position der internationalen Gemeinschaft schrittweise von formaler Neutralität über einseitige Begünstigung der staatlichen Täter zur Niederwerfung der Opfer.

Krieg oder Frieden

Auch wenn die LTTE militärisch besiegt werden sollte - und dies scheint derzeit wahrscheinlich - wird es doch keinen dauerhaften Frieden für das Land geben. Grund hierfür ist die anhaltende institutionalisierte Diskriminierung der Tamilen. Die Regierung wie auch die singhalesische Bevölkerung scheinen nicht zur konstitutionellen Reform und Machtteilung bereit zu sein. Insbesondere fehlt der Wille, einen massiven Ressourcentransfer zugunsten der Tamilen im Nordosten einzuleiten, der für den Wiederaufbau der Region nach 25 Jahren Krieg unabdingbar ist.

Sollte Colombo militärisch Erfolg haben, steht zu befürchten, dass auch die ethnische Schichtung des Arbeitsmarktes größer werden und sich der soziale Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen verschärfen wird. Zugleich dürfte die Diskriminierung der Tamilen weiter zunehmen. Bereits jetzt zirkulieren Pläne, die der Kooperation mit der LTTE verdächtigen Menschen aus den eroberten Gebieten in eigens konstruierten Dörfern unterzubringen und einer mehrjährigen Umerziehung zu unterwerfen. Ferner könnte es erneut zu einer verstärkten Ansiedlung von Singhalesen im Nordosten kommen. Umgekehrt ist man von einem ethnisch gleichberechtigten Zugang zu Streitkräften und Regierungsapparaten sowie einer wirklichen Gleichberechtigung der tamilischen Sprache weit entfernt.

Die Zukunft des Landes wird sich deshalb auch im Falle eines Kriegsendes konfliktreich gestalten. Soziale Ungleichheit, mangelnde Berufschancen und schlechte wirtschaftliche Aussichten dürften zudem die Gewaltbereitschaft insbesondere der Zehntausende mit ihren Waffen geflohenen Deserteure erhöhen. Darüber hinaus liegen eine Rückkehr zum Rechtsstaat nach Jahren des Ausnahmezustands, die Auflösung der regierungsnahen bewaffneten Milizen und die Ahndung der massiven Menschenrechtsverletzungen (z.B. seit 1980 allein von der UN registrierte 12297 "Verschwundene") nach wie vor in weiter Ferne.

Weitaus wahrscheinlicher ist, dass Sri Lanka ein weiteres Abgleiten in Anomie und Staatversagen bevorsteht - die Insel gilt bereits jetzt als ein potentieller failed state. Hierfür allerdings trägt aufgrund der einseitigen und letztlich vollständig gescheiterten Verhandlungsführung auch die internationale Gemeinschaft ein gehöriges Maß Mitverantwortung.

* Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Sri Lanka: Der endlose Krieg" in der April-Ausgabe 2009 der "Blätter". Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor.


Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 4/2009, S. 27-30

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