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Tamil-Tiger für Dialog

LTTE-Rebellen übergaben Sri Lankas Regierung Vorschläge für eine Interimsverwaltung

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der Tageszeitung "junge Welt".


Von Hilmar König

Mit ihren am vergangenen Wochenende veröffentlichten Vorschlägen für eine Interimsregierung versuchen die tamilischen Rebellen in Sri Lanka, ihre Herrschaft, die sie im Nordosten bereits praktisch ausüben, zu legalisieren. Für fünf Jahre soll demnach alle Macht einer sogenannten Übergangs-Selbstregierungs-Autorität (ISGA) übertragen werden.

Die ISGA regelt demnach die Wiederansiedlung und Rehabilitation von Flüchtlingen sowie den Wiederaufbau der von kriegerischen Auseinandersetzungen zerstörten Infrastruktur. Zudem ist sie für die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung verantwortlich, darf Steuern eintreiben, die Rechte über Grund und Boden wahrnehmen und die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen der Küsten und der See ausüben. Die ISGA soll separate Justizinstitutionen schaffen und »die Unabhängigkeit der Richter gewährleisten«, Anleihen aufnehmen, direkte Auslandshilfe erhalten sowie Binnen- und Außenhandel regeln dürfen. Sie soll auch eine »unabhängige Menschenrechtskommission ernennen«.

Die in einem achtseitigen Dokument aufgelisteten Vorschläge gehen von »unbeschränkten Vollmachten« der ISGA für die Verwaltung des Nordostens aus und lassen der Regierung Sri Lankas nur noch symbolische Handlungsmöglichkeiten. Diese darf einige Mitglieder der Nordost-Administration ernennen. Dieses Recht wird auch den in diesem Landesteil in der Minderheit befindlichen Muslimen und Singhalesen eingeräumt. Die absolute Mehrheit in der ISGA wird jedoch von den tamilischen Befreiungstigern (LTTE) gestellt. S.P. Thamilchelvan, der Chef der Politischen Abteilung der Guerilla, erklärte am Wochenende auf Fragen von Journalisten, ob die LTTE mit dem nun vorgelegten Konzept ihr seit nahezu 20 Jahren verfolgtes Ziel eines eigenen Staates aufgibt: Man sei für eine brauchbare Option, um grundlegende Freiheiten für die Tamilen zu bekommen, letztlich jedoch »entscheidet das Volk«.

Während die Regierungsseite durch ihren Chefunterhändler bei den Friedensverhandlungen Gamini Lakshman Peiris die LTTE-Pläne mit der Bemerkung kommentierte, die Differenzen seien offensichtlich, kam die Ablehnung der Opposition postwendend. Die Sihala Urumaya als Sammelbecken singhalesischer Nationalisten wies die Vorschläge empört zurück, und die maoistische Volksfront bezeichnete sie als »ersten Schritt zum Separatstaat«.

Staatspräsidentin Chandrika Kumaratunga und ihre Freiheitspartei hielten sich noch zurück, aber mit einer positiven Reaktion rechnet kaum jemand. Dennoch besteht verhaltener Optimismus, denn die Rebellen deuteten an, mit ihrem Angebot den Boykott des Friedensdialogs zu beenden. Sie baten die vermittelnden Norweger, noch in diesem Monat ein Treffen mit der Regierungsseite zu vereinbaren, auf dem Einzelheiten zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zu Beginn nächsten Jahres beraten werden. Diese Absicht hegt auch Colombo.

Die brisante Offerte der LTTE ist die Antwort auf ein vor Monaten unterbreitetes Konzept von Premier Ranil Wickremasinghe zur Etablierung einer zwischenzeitlichen Verwaltungsstruktur für den mehrheitlich von Tamilen besiedelten und in weiten Teilen von den Befreiungstigern kontrollierten Nordosten der Insel. Dieses Konzept hatten die Rebellen als unzureichend abgelehnt. Das Fehlen einer offiziell anerkannten Verwaltungsstruktur war von ihnen auch zum Anlaß genommen worden, im April den vor anderthalb Jahren begonnenen Friedensprozeß unter Respektierung der vereinbarten Waffenruhe zu unterbrechen. Dessen Wiederaufnahme ist jedoch die Voraussetzung dafür, daß die Geberländer die im Juni auf einem Treffen in Tokio zugesagte Hilfe in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar für das Land beginnen.

Aus: junge Welt, 4. November 2003


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