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Die Präsidentin putscht

Abwesenheit des Premiers genutzt - Ausnahmezustand verhängt - Befreiungstiger im Visier

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus dewr Tageszeitung "junge Welt".


Von Thomas Berger

Die Hoffnung auf Frieden in Sri Lanka, noch am vergangenen Wochenende befördert durch ein Positionspapier der Befreiungsfront von Tamil Eelam (LTTE), wurde während der vergangenen zwei Tage zerstört. Derweil sich Premierminister Ranil Wickremasinghe in den USA zu einem Staatsbesuch aufhielt, verhängte seine langjährige Erzrivalin, Sri Lankas Präsidentin Chandrika Kumaratunga, am Mittwoch den Ausnahmezustand über das Land. Am Dienstag hatte Kumaratunga eine Staatskrise ausgelöst, indem sie das Parlament in Colombo für zunächst zwei Wochen für aufgelöst erklärte und den Verteidigungs-, den Innen- sowie den Informationsminister entließ und deren Funktionen persönlich übernahm. Auf ihren Befehl wurden Soldaten an wichtigen Einrichtungen in der Hauptstadt postiert. Streitkräfte und Polizei hätten weitreichende Vollmachten bei der Festnahme und Inhaftierung von Verdächtigen erhalten, teilte ein Präsidentschaftsvertreter in Colombo mit. Nach offiziellen Angaben soll der Ausnahmezustand zehn Tage gelten, das ist die Höchstdauer, für die eine Zustimmung des Parlaments nicht nötig ist.

Bei den drei entlassenen Ministern handelt es sich um die wichtigsten Verhandler mit den tamilischen Befreiungstigern der LTTE. Trotzdem versuchte die Präsidentin zunächst, die Wogen zu glätten. Sie ließ durch einen Berater erklären, daß der Machtkampf in der Regierung kein Wiederaufflammen des Bürgerkrieges mit den tamilischen Rebellen zur Folge haben solle. »Ich bin ausdrücklich von der Präsidentin ermächtigt zu erklären, daß der Waffenstillstand gilt und gelten wird«, sagte ihr Berater Lakshman Kadrigama vor Journalisten in Colombo. »Die Präsidentin hat absolut keine Absicht, die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen.« Auf einer Website der tamilischen Rebellen, TamilNet, hieß es dagegen, die Chancen für ein Ende des Konfliktes hätten sich verschlechtert.

Der Staatsstreich löste in der Hauptstadt Colombo und anderen Städten starke Proteste aus und nährte Spekulationen, daß es erneut zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte. Zwar war die Lage in der Hauptstadt am Mittwoch weitgehend ruhig. Soldaten bewachten wichtige öffentliche Gebäude, darunter die staatliche Rundfunkstation. Im 300 Kilometer nördlich gelegenen Jaffna hingegen deckten sich die Bewohner aus Angst vor Unruhen mit Lebensmittel- und Benzinvorräten ein. Viele Eltern schickten ihre Kinder nicht zu Schule.

Präsidentin Kumaratunga unterstehen als Staatsoberhaupt laut Verfassung die Streitkräfte. Zudem gibt ihr nun das Amt der provisorischen Verteidigungsministerin freie Hand, das Militär nach Gutdünken einzusetzen – im Zweifelsfall auch zu einer neuen Offensive gegen die LTTE. Das dürfte, so wurde vermutet, zumindest in den nächsten Tagen nicht passieren, weil Chandrika Kumaratunga sich in einem Statement grundlegend zum eingeschlagenen Verhandlungsweg mit den Rebellen bekannt hatte. Sie habe zur »akuten Gefahrenabwehr« handeln müssen, begründete die Präsidentin ihre Maßnahmen. Der Premierminister und seine Vereinigte Nationalpartei (UNP) wären der LTTE beim bisherigen Dialog zu weit entgegengekommen und hätten die Sicherheit des Landes in Frage gestellt. Das jüngste Positionspapier der Befreiungstiger, das deren führender Vertreter Thamilchelvan am Wochenende vorgestellt hatte (jW vom 4. November) und das den Vorschlag zu einer weitgehenden Selbstverwaltung der mehrheitlich von Tamilen besiedelten Nordostregion der Insel vorsieht, sei ein Schritt hin zu einem womöglich doch eigenständigen Staat unter LTTE-Führung, meinte die Staatschefin. Die Vorschläge zur Einrichtung einer Übergangs-Selbstverwaltung (ISGA) würden gegen die Verfassung verstoßen.

Ministerpräsident Wickremasinghe mahnte inzwischen von den USA aus die Bürger und vor allem seine Getreuen zu Ruhe und Besonnenheit. Trotzdem wächst die Gefahr, daß der Dialogprozeß schnell in eine militärische Konfrontation umschlägt. Nach der Auflösung des Parlaments werden auch Neuwahlen nicht ausgeschlossen. Es wäre der dritte nationale Urnengang in nur vier Jahren.

Der Ausgang des Machtkampfes ist offen. Fest steht aber, daß sich die Lage nach ganz kurzer Entspannung wieder erheblich verkompliziert hat. Momentan können nicht einmal die bisher zwischen Regierung und LTTE vermittelnden Norweger viel bewirken, denn Kumaratunga hatte den unabhängigen Überwachern des Waffenstillstandes mehr als einmal überdeutlich Parteilichkeit zugunsten der LTTE vorgeworfen und auch den bisherigen Chefvermittler brüskiert.

Die Befreiungstiger kämpfen seit 1983 für eine Unabhängigkeit des Tamilengebiets. Im vergangenen Jahr unterzeichneten die Rebellen ein Waffenstillstandsabkommen, zogen sich allerdings von den Friedensgesprächen zurück. Als Bedingung für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch verlangen sie eine erweiterte Autonomie für das Tamilengebiet.

Aus: junge Welt, 6. November 2003


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