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Politische Hexenjagd

Sri Lanka: Präsident stärkt seine Macht durch Amtsenthebung der Chefrichterin

Von Hilmar König *

Es geht alles seinen Gang in Sri Lanka – jedenfall für den mächtigen Clan der Gebrüder Rajapakse. Der hatte es seit Monaten auf Shirani Bandaranayke abgesehen, die erste Chefrichterin in der Geschichte der Inselrepublik. Am Freitag stimmte das Parlament, in dem die Rajapakse-Koalition eine klare Mehrheit hat, für die Amtsenthebung der Vorsitzenden des höchsten Gerichts. 155 der 225 Abgeordneten votierten dafür, 49 dagegen. Am Wochenende entließ Staatspräsident Mahinda Rajapakse die 54jährige. Noch in dieser Woche soll ein Nachfolger gekürt werden.

Die Chefrichterin war bei den Mächtigen in Ungnade gefallen. Besonders scharfe Kritik mußte sie einstecken, nachdem sie es gewagt hatte, einen Gesetzentwurf als verfassungswidrig einzustufen. Dieser sollte dem Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Basil Rajapakse, einem Bruder des Staatsoberhauptes, mehr Machtbefugnisse zuschanzen. Bruder Chamal lenkt die Geschicke des Parlaments und Bruder Gotabhaya die des Verteidigungsministeriums. Ein Sohn des Präsidenten sitzt im Parlament. Somit hat die Familie alle Fäden in der Hand.

Eine »Begründung« für die Amtsenthebung war schnell gefunden. Ein extra dafür gebildetes parlamentarisches Sonderkomitee warf ihr unter anderem vor, sie habe ihre Erklärung der jährlichen Einkünfte nicht korrekt ausgefüllt. Sie habe in einem Verfahren gegen eine Grundstücksfirma den Vorsitz geführt, von der sie selbst Besitz gekauft hatte. Und sie habe in einem Korruptionsfall, in den ihr Gatte verwickelt war, parteiisch gehandelt. Das alles zusammen entspreche Amtsmißbrauch, und es seien Gründe, sie in die Wüste zu schicken. Dem Gremium gehörten anfangs sieben Abgeordnete der Regierungskoalition und vier Vertreter der Opposition an. Damit stand bereits fest, welches Urteil es fällen wird. Angesichts der Farce kündigten erst die Chefrichterin, die alle Anschuldigungen zurückwies, und kurz danach die Oppositionsvertreter ihre Mitarbeit. Der höchste Gerichtshof bewertete die Arbeit des Sonderkomitees als verfassungswidrig, es habe gar keine gesetzliche Autorität gehabt, die Vorwürfe gegen Bandaranayke zu untersuchen. Ein Appellationsgericht erklärte die Schlußfolgerungen und Empfehlungen des Sonderkomitees für null und nichtig. Und das Rechtsanwaltskollegium Sri Lankas, dem die meisten der 11000 Juristen angehören, beschloß, einen vom Rajapakse-Clan eingesetzten Amtsnachfolger nicht anzuerkennen.

Der frühere Außenminister Mangala Samaraweera bewertete die Amtsenthebung als »Todesstoß für die Demokratie« Sri Lankas. »Heute ist der Tag, an dem die Unabhängigkeit des Gerichtswesens gekreuzigt wurde. Wir wollten die Chefrichterin nicht beschützen, sondern nur eine faire Untersuchung«, sagte der Abgeordnete der oppositionellen Vereinten Nationalpartei, John Amaratunga.

Und Sam Zarifi, Asien-Pazifik-Direktor der Internationalen Juristenkommission in Genf, sieht eine »gesetzliche und Verfassungskrise beispielloser Dimension«.

Für die Opposition, aber auch für Richter und Rechtsanwälte, Teile des buddhistischen Klerus, katholische Priester, Gewerkschaftsverbände und Bürgerrechtler bestanden nie Zweifel, daß es sich bei der Amtsenthebung um ein politisches Manöver der Gebrüder Rajapakse handelt, das die Unabhängigkeit des Gerichtswesens in Sri Lanka unterminiert. Sie sprachen offen von politischer Hexenjagd und argumentierten, daß die Exekutive – also der Rajapakse-Clan – nach diesem Präzedenzfall entscheiden würde, was legal und was ungesetzlich ist. Die Gerichtsbarkeit würde zum bloßen Erfüllungsgehilfen der vier Brüder degradiert werden. Die Asiatische Menschenrechtskommission urteilte, es handele sich nicht nur um eine Attacke gegen eine Person, sondern gegen den Obersten Gerichtshof als Institution, ja gegen das System der Gewaltenteilung.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 15. Januar 2013


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