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Kein Weg zurück

Sri Lanka: Spaltung der Befreiungstiger offenbar unwiderruflich

Von Hilmar König*

Allmählich lichtet sich der Nebel über den Hintergründen der Spaltung der tamilischen Befreiungstiger (LTTE). Immer deutlicher wird, daß es wohl kein Zurück von diesem für die Unabhängigkeitsbewegung tragischen Schritt, keine einvernehmliche Regelung zwischen Oberst Karuna alias Vinayagamurthi Muralitharan alias "Karuna Amman" (Onkel) und dem Rebellenchef Velupillai Prabhakaran geben kann. Karuna selbst hat mit seinen Äußerungen gegenüber einer indischen Zeitung dazu beigetragen.

Offenbar spitzte sich der zwischen beiden charismatischen Persönlichkeiten schwelende Konflikt gleich nach Abschluß des Waffenstillstandsabkommens zwischen der LTTE und der Regierung in Colombo im Feburar 2002 zu. Die im Wanni, dem von der Guerilla kontrollierten Dschungelgebiet im Norden der Jaffna-Halbinsel, sitzende Führung hatte bis dahin Karuna, ihren "Spezialkommandeur für den Osten", konkret für Batticaloa und Amparai, ziemlich unbehelligt gelassen. Der Oberst schaltete in der Region nach Belieben und nutzte die Autonomie für manche Eskapade.

Nach dem Waffenstillstand bekam Prabhakaran aber die Hände frei, den Osten stärker an die Kandare zu nehmen. Er beschnitt den Einfluß des östlichen Commanders, dessen Kämpfertrupps ihm aus mancher Klemme geholfen hatten. Besonders hart traf den Obersten, daß Prabhakaran massenhaft Agenten des LTTE-Geheimdienstes (TOSIS) in die Region Batticaloa-Amparai einschleuste, die nicht nur Karunas Kreise störten und Operationen ausführten, die dem Ruf des "Herrn des Ostens" schadeten, sondern sich auch intensiv in dessen Privatangelegenheiten einmischten. So ist die Rede von einem Dossier, das angeblich Informationen über einen Mißbrauch von Fonds, eine außereheliche Affäre, den privaten Hausbau und dissidente Tendenzen von Karuna enthält. Als dem "Spezialkommandeur" dies zu Ohren kam, verstand er sofort, daß Prabhakaran ihn beseitigen wollte. Umgehend ging er daran, seine Einflußsphäre zu sichern, die TOSIS-Agenten festnehmen zu lassen, einen eigenen Geheimdienst aufzubauen und den LTTE-Chef zu attackieren. In einem Schreiben warf er ihm Hegemonialstreben und Vernachlässigung der Kader des Ostens vor. So verwies er darauf, daß auf keinem der 30 LTTE-Spitzenposten ein Vertreter aus der Region Batticaloa-Amparai sitzt.

Besonders ins Auge stach Karuna die Allmacht von TOSIS-Chef Pottu Amman, dessen Absetzung er verlangte. Als Prabhakaran auf alle Forderungen abschlägig reagierte, ließ es Karuna auf den Bruch ankommen, indem er die norwegischen Vermittler über die Situation informierte und um Weiterreichen seines Berichts an die Regierung in Colombo ersuchte. Das Hauptquartier im Wanni war entsetzt und enthob den "Verräter" am 6. März aller Funktionen. Bislang hatte das keine praktischen Auswirkungen, auch wenn einige der engsten Mitstreiter des Obersten zu Prabhakaran überliefen. Wie zuvor übt Karuna die Kontrolle über die Strukturen der Bewegung im Osten sowie über angeblich mehr als 7 000 Kämpfer aus. Sein "Reich" hat er vorerst militärisch gesichert. Natürlich will er das Eindringen von Kommandos verhindern, die ihn eliminieren wollen. Unter der tamilischen Bevölkerung genießt er weiterhin beträchtliches Ansehen.

In dem Interview für die Zeitung The Hindu äußerte Karuna Positionen, die so bislang von der LTTE nicht zu hören waren. Im Friedensdialog habe man beispielsweise mit Colombo nicht über die Schaffung eines Tamilen-Staates verhandelt, sondern lediglich "über die Möglichkeit eines föderalen Systems". Heute existiere eine andere Situation in der Welt, angesichts der "es unmöglich ist, einen separaten Staat zu etablieren". "Wenn wir das trotzdem versuchen, gibt es auf beiden Seiten nur noch mehr Zerstörung, aber keine Lösung. Wir werden keinen eigenen Staat bekommen. Ich bin überzeugt, wir können das (den ethnisch-sozialen Konflikt) nicht durch Krieg lösen", sagte Karuna, der 20 Jahre lang für die LTTE kämpfte. Nach dem Attentat auf Rajiv Gandhi im Mai 1991, dem "schwersten Fehler des Geheimdienstes der LTTE", sei der "Befreiungskampf ganz schlimm entartet". Er selbst sei ja in Indien zu einer Zeit ausgebildet worden, als man die Rebellen als Befreiungskämpfer behandelte. Über Prabhakaran sagte er, eigentlich sei dieser "ein guter Mensch gewesen, wurde aber von der ihn umgebenden Clique verdorben" und dulde keinen Ebenbürtigen neben sich.

Die Wanni-Führung charakterisiert der Abtrünnige als arrogant. Sie glaube, sie könne tun, was sie wolle, auch andere Gemeinschaften unterdrücken. Diese Bemerkung hat besonderes Gewicht vor dem Hintergrund, daß im Osten Sri Lankas die Bevölkerung zu etwa gleichen Teilen aus Tamilen, Singhalesen und Muslimen besteht. Ihr bietet sich Karuna nun indirekt als Führer an - und das drei Wochen vor den Parlamentswahlen. Die Stärke der LTTE lag bislang in ihrer Geschlossenheit und in der einhellig vertretenen und auch gegenüber Colombo durchgesetzten Auffassung, daß die Regionen des Ostens und des Nordens als Ganzes verwaltet werden müssen, egal, ob in einer föderalen Struktur oder in einem künftigen Tamilenstaat. Mit Karunas Kehrtwende zerbarst dieses Fundament. Sollte der Friedensdialog zwischen LTTE und einer eventuellen neuen Regierung nach den Wahlen wieder in Gang kommen, wird Colombo den neuen Tatsachen gewiß gern Rechnung tragen. Prabhakaran wurde empfindlich geschwächt. Deshalb wird er mit allen Mitteln versuchen, seinen Widersacher aus dem Weg zu räumen. So wie er es in der Vergangenheit stets mit Rivalen tat.

* Aus: junge Welt, 17. März 2004


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