"Der Waffenstillstand ist tot"
Tamilische Befreiungstiger in Sri Lanka fordern eigenen Staat
Von Hilmar König, Delhi *
Mit verstärktem Artilleriefeuer im Gebiet um Batticaloa unterstrichen die tamilischen Befreiungstiger
(LTTE) am Dienstag die Rede ihres Chefs Velupillai Prabhakaran zum »Heldentag«. Er hatte die
Rückkehr der Rebellen zu ihrer alten Forderung angekündigt: ein Tamil Eelam genanntes
Heimatland für die Minderheit.
Während sich Sri Lankas Staatspräsident Mahinda Rajapakse in Indien aufhält und die Gastgeber
davon zu überzeugen versucht, die Seewege rund um den südasiatischen Inselstaat gemeinsam zu
kontrollieren, erwartete man zumindest in den tamilischen Gebieten des Nordens und Ostens mit
Spannung die traditionelle Ansprache Prabhakarans zum »Heldentag«. Der wird alljährlich vom 25.
bis 27. November begangen, um der »gefallenen Märtyrer« zu gedenken. Nach LTTE-Angaben sind
seit November 1982 über 18 700 Tamiltiger getötet worden, 820 allein in diesem Jahr.
Seit dem Aufflammen des Krieges im April kamen in Sri Lanka insgesamt 3400 Menschen ums
Leben. Der Guerillachef zeigte sich laut der Website TamilNet.com »extrem frustriert« und
behauptete, die LTTE habe den Krieg niemals einer friedlichen Lösung der tamilischen Frage
vorgezogen. Nach sechs Jahren ergebnislosen Bemühens um eine friedliche Lösung des ethnischen
Konflikts und nach acht Treffen zwischen Vertretern der Regierung und der Guerilla bestehe jetzt nur
noch die Option, »politische Unabhängigkeit und einen Staat für das Volk von Tamil Eelam« zu
erlangen. Die »kompromisslosen singhalesischen Chauvinisten« hätten den Weg zum Frieden
blockiert. Sie wollten mit ihrer Militärmaschinerie das Schicksal der Tamilen entscheiden.
Die mit Hilfe Norwegens im Jahre 2002 vereinbarte Waffenruhe sei »gestorben und effektiv
begraben«. Es sei nun glasklar, dass die singhalesische Führung niemals einer gerechten Lösung
der »tamilischen nationalen Frage« zustimmen würde. Deshalb sei die LTTE nicht länger bereit, an
das Unmögliche zu glauben und dem alten, nutzlosen Pfad zu folgen.
In diplomatischen Kreisen in Colombo wurde die Rede als »aggressiv« bewertet. Man müsse jetzt
mit einer weiteren Zuspitzung der ohnehin brisanten Lage rechnen. Sri Lankas Regierung hingegen
gab sich gelassen, was sich allein aus der Reise des Präsidenten nach Indien ablesen lässt. Minister
Keheliya Rambukwella erinnerte an Prabhakarans Rede vom Vorjahr, in der er Colombo ein
Ultimatum gestellt hatte: Wenn innerhalb eines Jahres das ethnische Problem nicht gelöst sei, werde
man eine »eigene Regierung in unserem Heimatland« etablieren. Innerhalb von zwei Wochen, so
Rambukwella, hätten die Tamiltiger jedoch wieder mit bewaffneten Aktionen begonnen – trotz der
Waffenruhe. »Reden machen uns nicht nervös«, erklärte der Minister und betonte zugleich, die
Türen für Friedensgespräche blieben offen.
* Aus: Neues Deutschland, 30. November 2006
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