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Sri Lanka: Waffenstillstandsabkommen wird immer weiter ausgehöhlt

Präsident Rajapakse bildet Kabinett um - 25 Überläufer erhalten Ministerposten

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel über die aktuelle Lage in Sri Lanka, die am 30. Januar 2007 erschienen sind.



Unruhe auf der Zimtinsel

Der ethnisch-soziale Konflikt beherrscht das Leben in Sri Lanka

Von Jochen Reinert, Colombo *

Sri Lankas Hauptstadt bietet in diesen Tagen ein widersprüchliches Bild. Die Regierungstruppen feiern die Eroberung von Vakarai von den tamilischen Rebellen und Präsident Mahinda Rajapakse versucht, eine Parlamentsmehrheit für seinen Kurs zur Lösung des Konflikts zusammenzuzimmern.

Am Marina Drive von Colombo flanieren zwischen Strand und Coca-Cola-Pavillons wie eh und je die Hauptstädter. Doch schon ein zweiter Blick trübt das friedliche Bild. Knapp hundert Meter landeinwärts erstreckt sich fast über die ganze Breite der Marina das von Wachtürmen und Sandsackstellungen gesicherte Hauptquartier der srilankischen Streitkräfte. Im Süden der Flaniermeile ragt ein Flakturm am Strand empor. Und im Norden wird das Viertel mit dem Amtssitz des Präsidenten hermetisch abgeriegelt. Während das Leben in der Hauptstadt im wesentlichen störungsfrei verläuft, hat sich die politische Atmosphäre deutlich aufgeheizt. Nach der Einnahme der 35 000 Einwohner zählenden Küstenstadt Vakarai nördlich von Batticaloa bereiten die Regierungstruppen weitere Attacken zur »Säuberung« der Ostprovinz von Einheiten der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) vor und träumen inzwischen bereits von der Eroberung der LTTE-Hochburgen im Norden. Doch kühle Köpfe in der Hauptstadt warnen vor einer Vakarai-Euphorie.

»Weder die Regierung noch das Volk können annehmen, dass dies der Anfang vom Ende der LTTE ist«, kommentiert die Colomboer Zeitung »The Island«. Nach wie vor unterhält die LTTE auch im Dschungel-Hinterland von Vakarai zahlreiche Stellungen. Allerdings gerät sie in der Ostregion immer mehr in die Defensive. Die Abspaltung der Karuna-Fraktion, deren marodierende und mit Kindersoldaten aufgefüllte Milizen inzwischen offen mit den Regierungstruppen zusammenwirken, hat ihre dortige Position nachhaltig geschwächt. Andererseits ist nach Ansicht von »The Island« die »terroristische Kapazität« der LTTE – ihr werden auch die beiden Bus-Anschläge Anfang Januar im Süden des Landes zugeschrieben – keineswegs erschöpft. Das führt zu zahlreichen Spekulationen über mögliche »Vergeltungsschläge« etwa auf Kraftwerke oder Öldepots.

In dieser Situation arbeitet Präsident Mahinda Rajapakse, Vorsitzender der regierenden Sri Lanka Freiheitspartei (SLFP), intensiv an der Sicherung einer parlamentarischen Mehrheit für seine Vorstellungen von der Lösung des ethnisch-sozialen Konflikts. Rajapakse war im November 2005 mit Unterstützung zweier extrem singhalesisch-nationalistischer Parteien gewählt worden, mit denen er, so »The Island«, übereingekommen war, »das Waffenstillstandsabkommen mit der LTTE von 2002 zu zerreißen und die norwegischen Vermittler loszuwerden«. Doch da ein solcher Kurs weder von der Mehrheit der Srilanker noch von der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird, schloss Rajapakse unmittelbar vor Beginn der – gescheiterten – Genfer Verhandlungsrunde mit der LTTE im vergangenen Spätherbst ein weitgreifendes Abkommen mit der moderaten konservativen Vereinigten Nationalpartei (UNP), das unter anderem das gemeinsame Streben nach einer Konfliktlösung vorsieht.

Doch dieses Abkommen ist inzwischen nicht mehr allzu viel wert. Seit Anfang des Jahres versucht Rajapakse (offensichtlich will die SLFP-Führung möglichst wenig Macht an die politische Konkurrenz abtreten), einzelne UNP-Abgeordnete mit dem Versprechen lukrativer Posten abzuwerben. Für den KP-Vorsitzenden Raja Collure, seine Partei ist Mitglied der Regierungskoalition und stellte einen Minister, sind diese Schritte »moralisch nicht korrekt«. Doch sie würden letztlich die Abhängigkeit der Regierung von der Volksbefreiungsfront JVP und der Mönchspartei, die er als »negativen Faktor« betrachtet, deutlich verringern. Generell habe die Kommunistische Partei von Anfang an eine militärische Lösung des Konflikts abgelehnt und auf eine »verhandelte politische Lösung« orientiert. Dafür wirkt der angesehene Jurist gegenwärtig auch als KP-Repräsentant in der von Rajapakse eingesetzten Allparteienkonferenz zur Konfliktlösung. Deren Experten haben bereits ein viel beachtetes Papier vorgelegt. In etwa zwei Wochen, hofft Collure, wird die Konferenz ihre Empfehlungen dem Präsidenten vorlegen.

All dies geschieht, während das Waffenstillstandsabkommen immer weiter ausgehöhlt wird. Inzwischen ist aus Regierungskreisen zu hören, dass das Abkommen mit seinen territorialen Festlegungen auf keinen Fall mehr als Basis für eine künftige Friedensregelung angesehen werden könne. Steuert die Regierung eine Art »Siegerfrieden« an, fragen sich Beobachter. Jedenfalls, so heißt es, wolle Präsident Rajapakse im April seinen großen Plan vorlegen.

Unterdessen versucht die im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens geschaffene nordeuropäische Sri-Lanka-Beobachtermisssion (SLMM) offenbar zu retten, was zu retten ist. Nachdem sie längere Zeit auch durch den von der LTTE erzwungenen Abzug der aus EU-Staaten stammenden Beobachter gehandicapt war – Brüssel hatte die LTTE zu einer »terroristischen Organisation« erklärt –, hat sie jetzt ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Mit Zustimmung der Regierung und der LTTE sind die 34 norwegischen und isländischen Beobachter, so teilte SLMM-Sprecher Thorfinn Omarsson mit, im Osten und Norden des Landes wieder voll im Einsatz. Sie kontrollieren ein Waffenstillstandsabkommen, das es praktisch nicht mehr gibt – das ist nur eine der vielen Absurditäten, die in diesen Tagen auf der Zimtinsel zu beobachten sind.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Januar 2007


"Jumbo"-Kabinett in Sri Lanka

Präsident Rajapakse belohnt 25 Überläufer mit Ministerposten

Von Hilmar König, Neu-Delhi **

Die politische Szene in Sri Lanka hat sich sozusagen über Nacht entscheidend verändert. Aus der oppositionellen rechten Vereinten Nationalpartei (UNP) liefen 19 und vom Muslimkongreß sechs Parlamentsabgeordnete zur regierenden Freiheitspartei Sri Lankas (SLFP) über. Staatspräsident Mahinda Rajapakse, seit November 2005 im Amt, honorierte diese Schritte am Sonntag mit der Vergabe von zehn Ministerposten und acht Staatsministerämtern. Zugleich zwang ihn das, sein Kabinett umzubilden. Er entließ den unliebsamen Außenminister Mangala Samaraweera, der allerdings seine Ressorts Hafenentwicklung und Luftfahrt behalten durfte.

Die UNP-Führung wertete die Abwerbung nicht nur als Verrat, sondern kündigte auch den im Oktober geschlossenen Pakt mit der SLFP. Er beinhaltete die parlamentarische Unterstützung der Oppositionspartei für die Lösung aller national bedeutsamen Probleme, darunter ausdrücklich genannt der blutige ethnisch-soziale Konflikt zwischen der tamilischen Minderheit und der singhalesischen Mehrheit. Diese Kooperation war wesentlich, da die Koalitionsregierung sich bis Sonntag in der Minderheit befand. Nun hat sie dank der Überläufer 113 von 225 Abgeordnetensitzen auf ihrer Seite. Zu mehr als einer knappen einfachen Mehrheit hat es dennoch nicht gereicht.

Auch wenn Informationsminister Anura Yapa vollmundig erklärte, daß »jetzt die ökonomischen Probleme gelöst und eine friedliche Regelung der nationalen Frage« gefunden werden könnten, glaubt das in Sri Lanka niemand ernsthaft. Der Bürgerkrieg, in dem sich die Armee gegenwärtig in der Offensive befindet, wird andauern, unabhängig davon, wie sich die Regierung zusammensetzt und wie aufgebläht sie auch ist. Sri Lankas Medien sprechen angesichts von 53 Ministern von einem »Jumbo-Kabinett«. Zudem hat die Überläufer ja nicht der Wille zur Lösung des Konflikts zu ihrem Wechsel ins andere Lager veranlaßt, sondern die Chance, eigenen Vorteil herauszuschlagen. Abgesehen davon, denkt das Militär momentan nicht im Traum an eine friedliche Regelung. Und es weiß, daß Präsident Rajapakse diese Auffassung teilt. Auch viele seiner Kabinettsmitglieder sprechen inzwischen davon, die rebellischen Tamiltiger (LTTE) eliminieren zu wollen, um auf diese Art den Konflikt zu beenden. In der Vergangenheit erwiesen sich solche Überlegungen freilich immer wieder als trügerisch.

Die maoistische Volksbefreiungsfront JVP, in der singhalesische Hardliner den Ton angeben, hat in der Koalition bislang, wenn auch unter Vorbehalten, mitgewirkt. Sie drohte damit, wenn Rajapakse die Überläufer akzeptiert, der Regierung die Kooperation ihrer 27 Abgeordneten zu entziehen. Offen bleibt zudem, wie die buddhistische Mönchspartei JHU, die die Regierung bis dato von außen unterstützte, die neue Lage bewertet und reagiert. So muß man abwarten, ob Rajapakses Schachzug außer der Stärkung seiner eigenen Position etwas Konstruktives bringt, oder ob der Schuß nach hinten losgeht.

** Aus: junge Welt, 30. Januar 2007


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