Sri Lanka: Rettungsanker für die Präsidentin
Marxisten wollen Regierung tolerieren. Mißtrauensantrag abgewendet
Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der jungen welt zur jüngsten Entwicklung in Sri Lanka.
Sri Lankas Regierung scheint es noch einmal geschafft zu haben. Faktisch fünf Minuten
vor zwölf gelang es ihr, die marxistisch-nationalistische Volksbefreiungsfront (JVP) zu
einer Übereinkunft zu überreden. Wird diese von allen Beteiligten abgesegnet, garantiert
die JVP, die mit zehn Sitzen drittstärkste Fraktion im Parlament ist, der Regierung ein
Jahr lang eine Tolerierung. Der Opposition würden damit die notwendigen Stimmen für
einen erfolgreichen Mißtrauensantrag fehlen.
Dieser schien nahezu unabwendbar, da am heutigen Freitag nach zweimonatiger
Suspendierung durch Präsidentin Chandrika Kumaratunga das Parlament wieder
zusammentreten sollte. Die Regierung ist seit Juli ohne Mehrheit. Damals hatte der
SLMC, die größte Muslimpartei des Landes, ihr die Gefolgschaft aufgekündigt. Seither
kämpfen Präsidentin und ihr Premier Ratnasiri Wickremanayake von der Volksallianz
(PA) mit allen möglichen Winkelzügen ums Überleben. Die Suspendierung der 225
Abgeordneten sollte Raum schaffen für eine Vereinbarung mit der Opposition. Doch die
Gespräche mit deren Hauptvertreter, der mit 89 Sitzen im Parlament vertretenen
konservativen Vereinigten Nationalpartei (UNP), scheiterten. Die UNP, geführt von
Kumaratungas Erzrivalen Ranil Wickremasinghe, wollte sich auf einen Deal der
beschränkten Machtteilhabe nicht einlassen. Auch mit der JVP sah es nach der ersten
Runde der Konsultationen kaum besser aus.
In einer überraschenden Kehrtwende ihrer Politik hatte die Präsidentin daraufhin den
Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) eine Waffenruhe angeboten. Die Rebellen
führen seit 1983 einen blutigen Kampf um einen eigenen Tamilenstaat im Norden der
Inselrepublik. Doch entgegen den Erwartungen ließ die LTTE sich nicht einmal
ansatzweise darauf ein. In geradezu harschem Tonfall wies ihr Sprecher Anton
Balasingham das Angebot zurück. Dies verwundert nicht, denn die Präsidentin hatte
ihrerseits zu Beginn des Jahres eine viermonatige einseitige Waffenruhe der Rebellen erst
gar nicht und dann mit einer neuen Offensive der Regierungssoldaten beantwortet.
Für die Regierenden in Colombo schien damit die wohl letzte Rettungschance vertan.
Wären die Rebellen wenigstens teilweise auf den Vorschlag einer Waffenruhe
eingegangen, hätte das der Regierung nach eigener Rechnung die Stimmen zumindest
einer oder zwei der moderaten tamilischen Parteien im Parlament gebracht. Die TULF
(Vereinigte Befreiungsfront von Tamil), älteste der Tamilenparteien, wie auch die
anderen Gruppen hätten die Aussicht auf erneute Verhandlungen kaum zunichte machen
wollen.
Daß die JVP jetzt der Präsidentin aus der Patsche hilft, ist eher ein taktischer Zug denn
politische Nächstenliebe. Die JVP, jahrelang selbst im Untergrund, hat für die
konservative UNP eigentlich noch weniger übrig als für die sozialliberale PA und war
bisher einen Schlingerkurs gefahren. Scharfe Kritik an der Regierung ja, gemeinsame
Sache mit der machthungrigen UNP nein. Allerdings ist die singhalesisch-nationalistische
JVP auch gegen zu große Zugeständnisse an die Tamilen und eine Friedensvereinbarung
mit der LTTE. Ohne Gegenleistung wird ihr Stillhalten nicht zu haben sein, und
möglicherweise ist der Preis, weiter hart gegenüber den Rebellen zu bleiben.
Thomas Berger
Aus: junge welt, 7. September 2001
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