"Friedensprozess ohne Ende – Am Ende ohne Frieden?"
Zur Verhandlung des Bürgerkrieges auf Sri Lanka. Eine Studie von Mirjam Weiberg
Im Folgenden dokumentieren wir Zusammenfassung und Inhaltsverzeichnis einer Studie, die im Herbst 2003 erschien. Die genauen bibliografischen Angaben und die Bezugsadresse stehen unten. Ein Kapitel, das sich mit den politischen und gesellschaftlichgen Ursachen des Konflikts befasst, haben wir an anderer Stelle dokumentiert: "Friedensprozess ohne Ende ..."
Zusammenfassung
In Sri Lanka wurde 2001 mit der Aufnahme von Verhandlungen zur Beilegung des Bürgerkrieges
zwischen der tamilischen Guerilla der Tamil Tigers und der singhalesischen
Regierung ein neuer Akt in einer Folge bisher erfolgloser Gespräche eingeleitet. Alle früheren
Verhandlungen hatten nicht zu einer politischen Lösung, sondern im Gegenteil zur
fortschreitenden militärischen Eskalation geführt. Unter der Vermittlung Norwegens kam
es zur erneuten Aufnahme von Gesprächen zwischen den Parteien; diese wurden allgemein
als erfolgversprechendes window of opportunity gewertet. Wie realistisch diese Einschätzung
ist, soll durch den Vergleich mit vergangenen Verhandlungsinitiativen geprüft
werden. Vor dem Hintergrund laufender Friedensgespräche 2001-2003 scheint es gerade
jetzt notwendig festzustellen, woran die bisherigen Friedensinitiativen gescheitert sind
und welche Alternativen zu einer dauerhaften und friedlichen Regelung gewählt werden
können.
Die Analyse der bisherigen Friedensverhandlungen legt die Annahme eines Primates
des Militärischen nahe, das es erlaubt, weniger von Verhandlungen auszugehen, die die
Gewalt unterbrechen, als von militärischer Gewalt, die durch „Friedens“verhandlungen
gerahmt wird. In diesem Fall ließe sich dann von „toten“ Friedensverhandlungen oder
vom (kalkulierten) Stillstand sprechen. Die Verhandlungen schwankten bisher fast regelmäßig
und zyklisch in ihrer Aktivität: Sie entstanden zumeist aus einer tiefen Depression
(Gewalteskalation, wirtschaftlicher Niedergang, internationale Isolierung o.ä.) mit Hilfe
exogener und/oder endogener Impulse und führten zu einer gewissen Entspannung und
Erholung des unmittelbaren Konfliktgeschehens. Diesem Aufschwung der Beziehungen
folgte der Boom, der kurzfristige Höhepunkt der Gespräche, an dem eine Lösung möglich
oder sogar greifbar nahe erschien. Der Abschwung begann dann scheinbar harmlos mit
nichtigen Diskrepanzen über die zu verändernden Größen, die Beziehungsrelation oder
die zeitliche Abfolge der Friedenskonzepte. Diese Nichtigkeiten wurden für die Konfliktparteien
in der Folge zum Kristallisationspunkt vermeintlich unüberbrückbarer Differenzen.
Der Abstand zwischen den inhaltlichen Extrempunkten der Akteure wurde zu groß,
die Vorstellungen über den zeitlichen Verlauf waren antizyklisch, die Beziehung zwischen
den Verhandlungspartnern ungleich – die Übervorteilung der jeweils eigenen Seite schien
damit offenkundig. So bestätigte sich der Feind als Feind, seine Initiative als geplantes
Scheitern: Mit dem Ausbruch neuer Gewalt verschaffte sich diese Enttäuschung und Bestätigung
Platz, bis wiederum ein neuer Tiefstand erreicht wurde.
In den letzten Jahrzehnten fanden unterschiedliche Versuche der „Lösung“ des Konfliktes
statt: Versuche von Pakten zwischen den parlamentarischen Vertretern der Singhalesen
und Tamilen, Allparteienkonferenzen, schließlich Verhandlungen mit der immer
stärker werdenden Guerilla der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), Verhandlungen
mit einem Mediator oder Facilitator, ohne Einmischung anderer Staaten oder mit ihr. Die
Interventionen dritter Parteien in den Konflikt blieben dabei bis Anfang 2001 erfolglos
oder, wie die Intervention Indiens in den 1980er Jahren zeigte, kontraproduktiv. Der
Druck internationaler Akteure wie der EU und der USA wurde in Sri Lanka erst ab 2001
relevant.
Durch die Untersuchung der bisherigen Friedensinitiativen wird deutlich, dass die
Lösung des Konfliktes von mehreren Parametern abhängig ist: 1. den wechselnden Protagonisten
mit ihrer inter- und intraethnischen Stellung (tamilische und singhalesische Organisationen
und Parteien), 2. den Konfliktlogiken und kulturellen Deutungsmustern, die
dem Konflikt unterliegen (parlamentarische Option vs. militärisches Primat; singhalesischer
Einheitsstaat vs. Föderation/Eelam), 3. dem Einfluss und Eigeninteresse dritter Parteien
(internationale Staaten, Mediator) und 4. der „zyklischen Position“ des Konfliktes.
Seit Jahren folgte nämlich die Friedenspolitik der singhalesischen Regierung einem
stabilen Muster: Öffentlich wurde Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft demonstriert.
Dann traten nach einer gewissen Zeit der Verhandlungen Schwierigkeiten auf, die so
nicht geplant waren - leider verfügte man aber über keine Alternativpläne oder Kompromissmöglichkeiten,
da man der Meinung war, bereits den besten Plan ausgearbeitet zu
haben. Dass die Gegenseite diesem besten Plan widersprach, lag natürlich nicht an den
unzureichenden Plänen, sondern an der Unfähigkeit des Gegenübers zu erkennen, was
„Mother Lanka“ sich Wunderbares ausgedacht hatte. Um diese richtige Einsicht zu fördern,
waren nun aber nicht Gespräche und Verhandlungen das Mittel der Stunde, sondern
Druck in Form von Repressionen und Gewalt. Sollte das Gegenüber danach immer
noch nicht in der Lage sein, das Wohlwollen und die Gnade, die ihm von Seiten des Staates
widerfahren sollte, richtig einzuschätzen, waren Verhandlungen ohnehin sinnlos, denn
der andere wollte scheinbar gar nicht zu einer Lösung gelangen. Er hatte von Beginn an
geplant, sich zu verweigern und die Verhandlungen nur als eine Ruhepause genutzt, bevor
er zum Gegenschlag ausholte. Dementsprechend zeigten sich die bisherigen Vorschläge
der Regierung als Gnadenakt an die Minderheit und nicht als Verhandlungsergebnis zwischen
gleichberechtigten Partnern.
Aber auch auf Seite der Guerilla konnte man nicht von Kooperationsbereitschaft und
Kompromissfähigkeit sprechen. LTTE und Regierung folgten bisher ihrer ethnischen Ideologie
und militanten Konfliktlogik. Beide meinten, Verhandlungen nur aus einer Position
der Stärke führen zu können, welches ein Primat des Militärischen bedeutete; beide
glaubten, nicht von ihren Positionen abrücken zu können, um ihre (Wähler-)Basis nicht
zu erodieren und anderen politischen Kräften Raum zu eröffnen; beide verfügten über
ausreichend materielle und humane Ressourcen, um den Krieg am Leben zu erhalten;
beide waren sich der Unterstützung eines Teiles der internationalen Öffentlichkeit sicher,
um den Imageverlust und internationalen Druck in Grenzen zu halten. Beide Seiten waren
mit einer inneren Aufsplitterung der Akteure konfrontiert, die innerhalb der eigenen
Bevölkerungsgruppe um die Macht kämpften. Beide Parteien hatten bei den Gesprächen
und Kompromissen ihre Klientel und Wählerschaft zu berücksichtigen, deren Erwartungen
sie selbst in kaum zu realisierende Höhen geschraubt hatten. Beide verharrten auf
ihren Positionen, ohne bei der Durchsetzung der eigenen Forderungen auf die gegnerische
Seite Rücksicht zu nehmen.
Diese Positionen änderten sich erst mit der jüngsten Friedensinitiative unter Premier
Wickremasinghe, welche die „Krieg-für-den-Frieden-Strategie“ durchbrach und bereits
vor Beginn der Verhandlungen eine offizielle Waffenruhe mit der Guerilla vereinbarte.
Das wirkte sich mehrfach günstig auf den Friedensprozess aus: die LTTE sah ihren Status
quo gesichert, der Verzicht beider Parteien auf gewaltförmige Aktionen reduzierte das
Eskalationspotential der Verhandlungen, die Rückkehr der Parteien zu unfriedlichen
Mitteln des Konfliktaustrages wurde durch die offizielle Proklamation erschwert, und die
gesellschaftliche Akzeptanz der Verhandlungen stieg.
Die LTTE befand sich 2001 erstmals in der Position eines anerkannten, positiv konnotierten
Gesprächspartners, auf dessen Verhandlungswünsche inhaltlich und prozessual
Rücksicht genommen wurde. Gewünschte Verhandlungsergebnisse waren nicht von Beginn
an durch die Konfliktparteien fixiert, sondern entstanden innerhalb des Verhandlungsprozesses.
Alleingänge einer Partei oder Strategien, den anderen vor vollendete Tatsachen
zu stellen, wurden weitgehend aufgegeben. Eine Form des Ausgleiches wurde
denkbar, bei der beide Parteien gewinnen könnten. Durch den Einsatz eines unabhängigen
Mediators (Norwegen) fand die Loslösung der Konfliktparteien von starren Positionen
und die Berücksichtigung des Gegners als Verhandlungspartner, dessen Bedürfnisse
in die eigene Planung mit einbezogen werden müssen, wesentliche Unterstützung.
Festzustellen bleibt, dass die Aussichten auf Frieden insgesamt so gut sind wie lange
nicht mehr. Das heißt freilich nicht, dass es einen Frieden geben wird. Sichtbar wird unter
der Wickremasinghe-Initiative ein Wechsel der Verhandlungsführung auf beiden Seiten,
ein Wechsel, der sich vom positional bargaining und der Verweigerung der gegenseitigen
Anerkennung hin zu einem interest-based bargaining und gegenseitiger Akzeptanz vollzieht.
Neben dem Mediator wird die Kommunikation gestützt durch den Druck der internationalen
Gebergemeinschaft. Um einen Rückschritt zu vermeiden, sollte der Druck
allerdings nur so weit verstärkt werden, dass er nicht als Zwang, einseitige Parteinahme
und Erweiterung der Machtbasis einer Seite wahrgenommen wird. Beide Parteien berücksichtigen
neben den eigenen Wünschen jetzt auch die Interessen der anderen Seite
und zeigen die Bereitschaft, über Verfehlungen hinwegzusehen. Insbesondere die Regierungsseite
ist bisher um Ausgleich bemüht. Diese Strategie hat sich für beide Parteien
bezahlt gemacht: fundamentale Bedürfnisse wie weitgehende Sicherheit und Gewaltlosigkeit
auf beiden Seiten, Anerkennung der Selbstbestimmungsrechte und wirtschaftliche
Stabilisierung wurden zumindest kurz- bis mittelfristig erreicht. Wo bisher die Option
singhalesischer Einheitsstaat vs. Teilung und unabhängiges Eelam stand, kann jetzt über
eine föderale Ordnung verhandelt werden. Die anvisierte Föderation bleibt für die LTTE
dann anschlussfähig, wenn nicht nur der tamilischen Bevölkerung eigene Rechte garantiert
bekommt, sondern auch ihr Führungsanspruch durch die Aussicht auf Integration in
die neue Regierung befriedigt wird. Die singhalesische Regierung steht mit der geplanten
Umwandlung des Staates zu einer Föderation vor der Schwierigkeit, einen verfassungskonformen
modus vivendi zu finden oder mit der Opposition zu kooperieren, um eine
Verfassungsänderung durchzusetzen.
Bis aus diesem negativen Frieden eine dauerhaft friedliche Struktur entsteht, die den
Bedürfnissen der gesamten Bevölkerung gerecht wird, bedarf es allerdings noch erheblicher
Anstrengung auf beiden Seiten. Die Vorraussetzungen für eine Konfliktregelung sind
mit einem militärischen Patt, legitimierten Verhandlungsführern und einer möglich erscheinenden
Form des Ausgleichs gegeben. Für eine dauerhafte Konfliktlösung und die
Umsetzung der Verhandlungsergebnisse fehlt aber die Einbindung der politischen Opposition in die Friedensgespräche, die offizielle Einbeziehung der Wünsche der muslimischen
Bevölkerungsgruppe und die Hinwendung zu einer multikulturellen Gesellschaftsordnung
durch die Abkehr vom singhalesischen Vorherrschaftsdenken über die Insel.
Fraglich bleibt trotz aller Verhandlungen, ob die Akteure tatsächlich eine dauerhafte
Lösung des Konfliktes anstreben und ob eine Lösung bisher nur an den vermeintlichen
Unverhandelbar- bzw. Unvereinbarkeiten der Inhalte gescheitert ist. Generell sollte man
von der Annahme ausgehen, dass es die Zielperspektive von Verhandlungen ist, Konflikte
zu lösen. Dieser Ansatz übersieht leicht, dass der Konflikt ebenso „positive“ Effekte hat,
die eine Lösung deutlich unwahrscheinlich machen. Damit sind nicht nur die obligaten
Kriegsgewinnler gemeint, die ökonomisch vom Krieg profitieren, sondern soziale und
politische Dynamiken, die über den Konflikt mobilisiert werden. Dass Unverhandelbarkeiten
zumeist erst in Konflikten entstehen und nicht deren Ursache sind, zeigt sich auch
in Sri Lanka. Über den ethnischen Konflikt werden die Massen mobilisiert, soziale Konflikte
verdrängt, neue Machteliten geschaffen und die identitäre Einheit der Gruppe gestärkt.
Hier handelt es sich auch um einen einheitsstiftenden Konflikt, in dem sich religiöse
und kulturelle Symbolik mit einer politischen Agenda verbinden. Über den Konflikt
wird das majoritäre Ordnungsmuster des Staates legitimiert. Da der Konflikt in seinem
Verlauf das Postulat einer essentialistischen Feindschaft zwischen Singhalesen und Tamilen
erreicht hat, ist ein Ausbruch neuer Gewalt auch jederzeit wieder möglich.
Inhalt
1. Der Konflikt auf Sri Lanka (S. 1)
2. Rahmen des Konfliktes (S. 8)
2.1 Über die koloniale Transformation der Gesellschaft zum
gewaltförmigen Antagonismus der ethnischen Gruppen (S. 8)
2.2 Parlamentarische und militante Akteure: Elite, Masse
und Guerilla (S. 12)
2.3 Der ethnonationalistische Hegemonialanspruch der Singhalesen
und die tamilische Forderung nach Eigenstaatlichkeit (S. 16)
3. Die Verhandlungen der Konfliktparteien nach der
Eskalation zum offenen Bürgerkrieg (S. 19)
3.1 Lösung des Konfliktes durch indische Mediation? (S. 20)
3.2 Erneuter Versuch der De-Eskalation: die Thimpu Gespräche (S. 22)
3.3 Zentral gesteuerte Selbstständigkeit anstelle nationaler
Unabhängigkeit: Das Indo-Sri Lanka Abkommen 1987 (S. 26)
4. Aufstieg und Fall der Friedenspräsidentin: das Mandat der
Peoples Alliance 1994 – 2001 (S. 30)
4.1 Vom Dezentralisierungsplan der Regierung zum Scheitern der
tamilischen Hoffnung (S. 31)
4.2 Die „two-pronged-strategy“ der Konfliktparteien (S. 34)
4.3 Das Kosten-Nutzenkalkül der Konfliktparteien und die
Schwierigkeiten der Implementation 1997 – 1999 (S. 37)
5. Auf der Suche nach Frieden 2001 - ? (S. 41)
5.1 Positionen und Beziehungen der Akteure in den neuen
Friedensverhandlungen (S. 43)
5.2 Erfolgreicher Prozess durch veränderte Inhalte? (S. 45)
5.3 Innerethnische Konkurrenz und Monopolisierung der Macht (S. 49)
5.4 Prozess- vs. Ergebnisorientierung: Probleme und Ausblick
bis Mitte 2003 (S. 52)
6. Resumee (S. 56)
Glossar (S. 59)
Mirjam Weiberg: Friedensprozess ohne Ende – Am Ende ohne Frieden?
Zur Verhandlung des Bürgerkrieges auf Sri Lanka
HSFK-Report 8/2003 - Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
ISBN: 3-933293-81-2, Euro 6,–
Adresse der Autorin:
HSFK, Leimenrode 29, 60322 Frankfurt am Main
Telefon: (069) 95 91 04-0 . Fax: (069) 55 84 81
E-Mail: weiberg@hsfk.de
Internet: http://www.hsfk.de
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