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Zwei Krisenstaaten

Vor einem Jahr erklärte der Südsudan seine Unabhängigkeit vom Sudan. In beiden Ländern verschärfen sich seither ökonomische Krise und soziale Konflikte

Von Simon Loidl *

Die Erwartungen waren so groß, daß sie nur enttäuscht werden konnten. Nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges glaubten die Menschen im Südsudan, am Ziel zu sein – oder vielmehr am Beginn einer neuen Ära des Friedens und der Prosperität zu stehen. Die Bilanz nach einem Jahr sieht jedoch düster aus. Gewalt, Korruption und ökonomische Krise prägten die ersten zwölf Monate ebenso wie die neuerlich eskalierenden Auseinandersetzungen mit dem Norden. Eine Lösung der vielfältigen Konflikte ist nicht in Sicht, und der Südsudan zählt zu den ärmsten Ländern der Welt.

Die Abspaltung war das Ergebnis eines mit Unterbrechungen seit 1955 andauernden Bürgerkrieges im Sudan. Die dem Konflikt zugrunde liegenden Differenzen zwischen Norden und Süden lassen sich bis in die vorkoloniale Zeit zurückverfolgen. Im Verlauf der Islamisierung weiter Teile der Region ab dem 7. Jahrhundert bildete das Gebiet des heutigen Südsudan die Grenze, bis zu der sich die neue Religion fast vollständig durchsetzte. Vom Norden aus organisierte Sklavenjagden im 19. Jahrhundert und der Fokus der zwischen 1899 und 1956 das Land regierenden britischen Kolonialverwaltung auf die Entwicklung des nördlichen Teil des Landes verfestigten die historische Spaltung.

In den Jahren vor der Unabhängigkeit von Großbritannien wurden unterschiedliche Varianten des künftigen Status des Sudan diskutiert. Bereits damals stand die Möglichkeit einer Zweistaatenlösung im Raum, bevor schließlich auf der Juba-Konferenz im Juni 1947 die Weichen für den Erhalt der Einheit des Landes nach der Entkolonisierung gestellt wurden. Die Entscheidung wurde von Vertretern des Nordens und der Kolonialverwaltung getroffen – der Süden war nicht auf der Konferenz vertreten. Aus einer Meuterei einheimischer Kolonialtruppen im Süden entstand der erste Sezessionskrieg, der im Jahr 1972 nach langen Verhandlungen mit einer Autonomielösung endete. Im darauffolgenden Jahrzehnt entwickelte die Zentralregierung nach der Entdeckung der Ölfelder im Süden ein stärkeres Interesse an der Region und verletzte die Autonomierechte immer massiver. 1983 läuteten eine abermalige Armeemeuterei und die Gründung des Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) und ihres bewaffneten Arms (SPLA) durch Joseph Oduho und John Garang den zweiten Bürgerkrieg ein. Mehr als zwei Millionen Menschen sollen in den folgenden 20 Jahren durch die Kampfhandlungen oder die unmittelbaren Folgen des Krieges getötet worden sein.

Die 2003 begonnenen Friedensverhandlungen beendeten den Krieg schließlich mit der Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement (CPA) zwei Jahre später. Teil dieses Abkommens war die Durchführung einer Volksabstimmung im Süden des Landes über die Unabhängigkeit. Dieses Referendum fand schließlich im Januar 2011 statt: 98,83 Prozent sprachen sich offiziellen Angaben zufolge für die Abspaltung der Region aus.

Ernüchterung

Am 9. Juli 2011 trennte sich der Süden vom Norden, ein neuer Staat entstand. An der Zeremonie zur Gründung des Südsudan nahm auch der sudanesische Präsident Omar Al-Baschir teil und signalisierte damit seinen Willen zu einer konstruktiven Beziehung zwischen den beiden neuen Nachbarn. Die Stimmung in der Bevölkerung des Südens war euphorisch, der frischgebackene Präsident Salva Kiir wurde als Held gefeiert. Politiker und Medien weltweit begrüßten die Sezession als Neubeginn für beide Länder und die gesamte Region.

Von der Hochstimmung ist ein Jahr nach dem Ereignis wenig übriggeblieben. Bald zeigte sich, was besonnenere Beobachter schon lange vorher zu bedenken gaben: Bei dem Konstrukt »Südsudan« handelt es sich keineswegs um einen homogenen Staat. Während der vergangenen Monate flammten Konflikte zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sowie zwischen Rebellenorganisationen und der neuen Regierung in teils unerwarteter Heftigkeit auf. Diese waren durch den gemeinsamen Kampf gegen Khartum in den vergangenen Jahren in den Hintergrund getreten. In den meisten Medien als »Stammeskonflikte« dargestellt, handelt es sich dabei um Macht- und Ressourcenkämpfe in einem Land, dessen Verwaltungsstrukturen entweder nicht vorhanden sind oder völlig neu organisiert werden. In diesem Machtvakuum agieren zahlreiche Gruppen, die während des Bürgerkrieges aufgerüstet wurden.

Die Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen der Murle und der Lou Nuer, die auch in hiesigen Medien Beachtung fanden, sind ebenfalls keine plötzlich aufgetretenen »Stammeskämpfe«; diese jahrzehntealten Konflikte reichen bis in die Zeit des britischen Kolonialismus zurück, als lokale Bevölkerungsgruppen in unterschiedlicher Weise für die Interessen der Kolonial­macht intstrumentalisiert und gegeneinander in Stellung gebracht wurden. Vor allem aber handelt es sich bei diesen lokalen Konfliktparteien um keine »Stammeskrieger« mit Speeren, Pfeil und Bogen, wie häufig suggeriert wird, sondern um gut ausgerüstete Milizen.

Aber auch auf den höheren politischen Ebenen sind die Probleme des jungen Staates zahlreich. In den wenigen Jahren der Autonomie haben sich die einstigen Protagonisten der Befreiungsbewegung in korrupte Abräumer verwandelt. Während der vergangenen Wochen und Monate berichteten afrikanische und europäische Medien immer wieder von systematischem Betrug und Unterschlagung auf höchster Staatsebene. Anfang Mai veröffentlichte die südsudanesische Regierung einen von Salva Kiir unterzeichneten Bericht, demzufolge mehr als 75 Funktionäre der Regierung etwa vier Milliarden Dollar aus Öleinnahmen in die eigene Tasche abgezweigt hätten. Obwohl die Namen der mutmaßlichen Täter offenbar bekannt sind, wurden gegen diese keine Untersuchungen eingeleitet, sondern lediglich um Rücküberweisung der gestohlenen Summen gebeten. Gleichzeitig wurde den betreffenden Personen Anonymität garantiert. Die Nachrichtenagentur Reuters schätzte, daß anhand der Summe, deren Rückgabe Kiir erwartete, davon auszugehen sei, daß jedes dritte seit 2005 exportierte Barrel Öl gestohlen wurde.

Kampf ums Öl

Die Ernüchterung im Südsudan erfolgte aber nicht allein aufgrund der anhaltenden oder neu aufbrechenden Gewalt. Die Ökonomie liegt darnieder, Infrastruktur ist in weiten Teilen des Landes schlicht inexistent, es gibt nicht einmal 100 Kilometer an asphaltierten Straßen im Südsudan, dessen Fläche beinahe doppelt so groß ist wie die der BRD. Die reichen Ölvorkommen führten zunächst nicht zu den erhofften Einnahmen, sondern zu einem neuerlichen Konflikt mit Khartum. Nach der Spaltung des Landes war die paradoxe Situation entstanden, daß ein Großteil der Ölvorkommen im Süden liegen, während sich die Infrastruktur zur Weiterverarbeitung und zum Transport im Sudan befinden. Die Pipeline zum Abtransport führt durch den Norden zum Port Sudan, Südsudan selbst ist ein Binnenstaat.

Im Rahmen des kenianischen Lamu-Port-Projekts, das den Bau von Raffinerien, Pipelines, Straßen, Flughäfen und Eisenbahnverbindungen nach Äthiopien und Südsudan vorsieht, ist zwar auch eine Pipeline zu den dortigen Ölfeldern geplant. Allerdings stehen die Bauarbeiten an dem Megaprojekt erst am Beginn. Im März 2012 wurde mit der Konstruktion der Hafenanlagen in Lamu begonnen, ein Ende des auf mehrere Jahrzehnte angelegten Projekts ist nicht abzusehen und die Finanzierung der Pipeline bislang noch völlig unklar.

Im Januar eskalierte der Streit um die Öltransporte. Der Südsudan warf Khartum vor, zu hohe Gebühren für die Benutzung der Pipeline zum Roten Meer zu verrechnen und stellte die Zahlungen ein. Daraufhin beschlagnahmten die sudanesischen Behörden kurzerhand einige Lieferungen, was den Süden dazu veranlaßte, die Förderung vorübergehend ganz einzustellen. Dies führte innerhalb kürzester Zeit zu einem Einbruch der gesamten Wirtschaftsleistung des Südsudan. Anfang Mai warnte die Weltbank vor einem unmittelbar bevorstehenden ökonomischen Kollaps des Landes, laut einem BBC-Bericht stieg die Inflation in dem Monat auf über 80 Prozent. Nach der Einstellung der Ölförderung nahm die Regierung zahlreiche Budgetkürzungen vor, welche die ohnehin kaum vorhandene Infrastruktur weiter beeinträchtigen.

Eine Schlüsselrolle in der Auseinandersetzung ums Öl spielt China als wichtigster Partner beider Staaten, größter Investor im Bereich der Förderung und größter Abnehmer des (süd)sudanesischen Öls. Peking beobachtete den neuerlichen Konflikt mit Sorge. Als Kiir im April seinen Staatsbesuch in China vorzeitig abbrach, wurde dies offiziell mit den Kämpfen in der Region um Heglig begründet und in den meisten Medien auch so dargestellt. Der eigentliche Hintergrund dürfte aber ein Disput über die Kenia-Pipeline gewesen sei. Juba will dieses Projekt trotz fehlender Investoren forcieren. Dieses würde einen endgültigen Bruch mit Khartum bedeuten und wäre gleichzeitig ein herber Rückschlag für die chinesischen Investoren. Deshalb appellierte Peking an beide Länder, die Kämpfe einzustellen und entsandte einen Vermittler. Seitens des chinesischen Außenministeriums hieß es nach der Abreise Kiirs aus Peking, daß chinesische Ölfirmen und deren Partner an großen Projekten in beiden Ländern beteiligt seien. Er rief die Verantwortlichen auf beiden Seiten dazu auf, diese Investitionen zu schützen.

Der im Friedensabkommen für einige Gebiete nicht exakt festgelegte Grenzverlauf führte rasch zu neuen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Khartum und Juba um die Region Abyei. Vorschläge für ein eigenes Referendum über die staatliche Zugehörigkeit dieses ölreichen Gebietes scheiterten bislang an der Frage, wer sich an diesem beteiligen dürfe – nomadisierende Gruppen etwa wohnen nicht ständig in dem Gebiet, sind aber von Grenzziehungen und Kämpfen am meisten betroffen.

Während der Status von Abyei also tatsächlich ungeregelt ist, verhält es sich entgegen der medialen Darstellung bei dem Konflikt um Heglig anders. Die Region um das kleine Dorf an der Grenze zum Südsudan liegt allen Abkommen gemäß auf dem Gebiet des Nordens, die Besetzung Hegligs durch südsudanesische Truppen Ende März 2012 war somit eine Aggression, auf die Khartum mit der Bombardierungen von Zielen im Süden antwortete. Nach internationaler Kritik zog Juba seine Truppen aus der Region zurück, Ende Mai kündigte auch Sudan seinen Rückzug an, was den Weg zu einer neuen von der Afrikanischen Union (AU) vermittelten Verhandlungsrunde frei machte. Ende Juni endeten die Gespräche in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ohne substantielle Ergebnisse. Am 5. Juli begann eine neue Runde, bis Anfang August sollen nach dem Willen von AU und UN die Grenz- und Ölstreitigkeiten sowie Sicherheitsfragen geklärt sein – auf welcher Grundlage es nun zu einer Einigung kommen könnte, ist aber völlig unklar.

Repression im Norden

Während der vergangenen zwölf Monate verschlechterte sich aber auch im Sudan die Lage für oppositionelle Kräfte. Repressionsmaßnahmen gegen Kritiker des Baschir-Regimes wurden nach der Niederlage, welche die Spaltung des Landes bedeutete, verschärft. Dazu trug auch der ökonomische Einbruch bei. Durch den Stop der Ölförderung entgehen Khartum derzeit bedeutende Einnahmen, hinzu kommt, daß außer den Ölfeldern auch ein großer Teil der Landwirtschaft nunmehr im Südsudan liegt. Das White-Nile-Tal ist eines der fruchtbarsten Gebiete der Region, der Zugriff darauf ist Khartum nunmehr entzogen. Im Juni verkündete Baschir weitreichende Kürzungen, worauf es zu anhaltenden Protesten in Khartum und anderen Städten des Sudan kam. Das Regime reagierte mit Repression, Demonstrationen wurden von den Sicherheitskräften angegriffen, es gab zahlreiche Festnahmen. Zensurmaßnahmen gegen unabhängige Zeitungen wurden ebenfalls verschärft, immer wieder beschlagnahmten die Behörden bereits gedruckte Auflagen.

Schon lange vor diesem jüngsten Aufbegehren, das von Beobachtern in Anlehnung an die Aufstände in Tunesien und Ägypten vor anderthalb Jahren als »sudanesischer Sommer« bezeichnet wurde, wiesen Oppositionskräfte wiederholt darauf hin, daß das Baschir-Regime nicht nur für die große Resonanz der Spaltungsidee in der Bevölkerung des Südsuan, sondern auch für die krisenhafte Entwicklung im Sudan nach dem Wegfall des Südens die Verantwortung trage. Die Kommunistische Partei des Sudan (CPS) bekräftigte in einer Stellungnahme vom April 2012 ihre langjährige Position, die regierende National Congress Party (NCP) Baschirs habe »nicht nur dabei versagt diese tiefe Krise zu lösen, sondern ist selbst Teil der Krise geworden«. Die fast ausschließlich repressiven bzw. militärischen Lösungsansätze würden zeigen, daß die Führung des Landes »die Lektion, daß Krieg kein erfolgversprechendes Mittel ist, um Probleme zu lösen«, noch immer nicht gelernt hat.

Dies bezieht sich nicht nur auf die Proteste, sondern vor allem auf die diversen bewaffneten Konflikte im Land. Nach der Abspaltung des Südsudan wurde deutlich, daß die Auseinandersetzungen zwischen der Zentralregierung in Khartum und den zahlreichen religiös oder ethnisch definierten Gruppen nicht auf einen religiös begründeten »Nord-Süd-Konflikt« reduziert werden können. Die Kämpfe zwischen sudanesischer Regierung und Rebellengruppen in Darfur gehen ebenso weiter wie die Auseinandersetzungen in den Bundesstaaten Südkordofan und Blue Nile, wo die SPLM eine wichtige Rolle spielt. Der Sudan befindet sich faktisch nach wie vor im Bürgerkrieg, wenn auch nicht mehr mit dem Süden.

Die neuen kriegerischen Auseinandersetzungen im Sudan und zwischen diesem und dem Süden haben neue Flüchtlingsbewegungen ausgelöst. Zehntausende sind während der letzten Monate vor der Gewalt geflohen, dazu kommen noch einmal so viele, die sich als Südsudanesen sehen und nun aus dem Sudan emigrieren. Der Bürgerkrieg hat die traditionellen Dorfstrukturen soweit zerstört oder verändert, daß die meisten Menschen, nachdem sie viele Jahre im Norden gelebt haben, nicht einfach in ihre ursprünglichen Herkunftsstätten zurückkehren können.

Rolle des Westens

Die Haltung der europäischen Mächte und der USA gegenüber dem Sudankonflikt läßt sich nicht auf eine Unterstützung des Südens gegen den Norden reduzieren. In den 1980er Jahren waren die USA wichtigster Verbündeter Khartums, während die SPLA/M von der Sowjetunion unterstützt wurde. Nachdem sich Baschir 1989 an die Macht geputscht hatte, kühlten die Beziehungen zwischen Washington und Sudan ab. Gleichzeitig gerieten die Rebellen des Südens nach dem Zerfall der Sowjetunion stärker unter US-Einfluß. Ab diesem Zeitpunkt kristallisierte sich erstmals die zuvor von den führenden Persönlichkeiten des Südsudan nicht angestrebte völkerrechtliche Sezession als zentrales Ziel des Kampfes heraus. Bis dahin forderte die SPLM zwar eine grundlegende Neuordnung des Staates, trat aber auch für den Erhalt der Einheit des Landes ein.

Der Abspaltungsprozeß wurde immer wieder als eine Art Stellvertreterkonflikt zwischen China und den USA dargestellt, was aber eine stark verkürzte Sicht der Dinge ist. Peking hat auch zum neuen Staat relativ gute Beziehungen. Die westliche Unterstützung für die Abspaltung ist eher als Versuch seitens der USA und der EU zu sehen, den wachsenden Einfluß Chinas in der gesamten Region zu stören und selbst stärker in Zentral- und Ostafrika Fuß zu fassen. Während der letzten Jahrzehnte wurde dieser Teil der Welt vom Westen stark vernachlässigt, Afrika spielte nur eine untergeordnete Rolle in den längerfristigen ökonomischen und geostrategischen Plänen der USA und europäischer Staaten. Dies änderte sich während der vergangenen Jahre und der Westen versucht nun mit allen Mitteln, China seine Rolle als Hauptinvestor und -handelspartner in der Region streitig zu machen. Die Zerschlagung des Sudan mit den daraus folgenden negativen Auswirkungen auf die chinesischen Investitionen liegen genau auf der Linie dieser Bemühungen.

Clooneys Satellit

Ein wichtiger Katalysator der weltweiten Begeisterung für das Auseinanderbrechen des vormals größten afrikanischen Staates waren die Medien­berichte über die bürgerkriegsartige Situation in mehreren Teilen des nördlichen Sudan. Die Region Darfur wurde dabei zu einem Symbol für die Grausamkeit des seit 2009 per internationalem Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gesuchten Omar Al-Baschir.

Bezeichnend für die von Hollywood-Prominenz forcierten Kampagnen war und ist, daß in diesen jene oppositionellen Kräfte, die innerhalb des Sudan gegen Baschir und für die Einheit des Landes gleichermaßen kämpften, keine Rolle spielten. Die zahlreichen und vielschichtigen Konflikte wurden jeweils so stark simplifiziert, daß die einzelnen Schauplätze in der medialen Darstellung nicht in Berührung miteinander kamen. So konnte die Abspaltung des Südsudan international als Beginn einer neuen Ära gefeiert werden, obwohl klar war, daß sich die Auseinandersetzungen im Rest-Sudan nach dem Wegbrechen des Südens weiter verschärfen und die Position von Oppositionellen in Khartum wie der Rebellen in Darfur oder anderen Teilen des Landes nicht gerade verbessern würde.

In einem offenen Brief wandten sich Aktivisten der Organisation »Sudan Change Now« vor einigen Monaten direkt an den Schauspieler George Clooney, der sich seit Jahren PR-wirksam vor allem des Darfur-Konflikts annimmt. In dem Brief baten die Aktivisten Clooney, ihren Kampf durch ein »umfassenderes Bild« der Situation im Sudan zu unterstützen: »Die vereinfachte Darstellung der regionalen Konflikte im Land als ein Krieg zwischen Arabern und Afrikanern bereitet uns Sorge«, so die Organisation, die sich auch an den derzeitigen Protesten gegen die Kürzungspolitik beteiligt. Die historischen und politischen Aspekte der Auseinandersetzungen würden in den PR-Kampagnen nicht erfaßt. Daß die Regierung nicht die Meinung der Mehrheit der sudanesischen Bevölkerung vertritt, würde dabei ebenso übersehen wie die Tatsache, daß die regionalen Konflikte politische Konflikte sind, deren Ursachen in der Ökonomie, vor allem im Kampf um Öl und andere Ressourcen zu suchen seien.

Projekte wie das von George Clooney mitinitiierte »Satellite Sentinel Project«, das vorgibt, als Frühwarnsystem für humanitäre Katastrophen zu fungieren und Beweise für Kriegsverbrechen in Darfur vom Weltall aus zu sammeln, dienen ausschließlich der medialen Vorbereitung westlicher Interventionen für eigene Interessen. Die Forderungen nach einem verstärkten Eingreifen sind angesichts der bereits existierenden UN-Missionen in Sudan und Südsudan völlig ungeeignet zur Entschärfung der Konflikte in beiden Ländern. Die Missionen selbst – UNAMID in Darfur und UNMIS bzw. UNMISS im Südsudan – haben bislang nichts zur Lösung, eher zur weiteren Militarisierung der Auseinandersetzungen beigetragen.

Signalwirkung

Die Abspaltung des Südsudan hat aber auch eine längerfristige politische Dimension, die den ganzen Kontinent betrifft. Seit die afrikanischen Staaten in den 1960er Jahren die direkte Kontrolle durch Europa beendeten, galt die Regel, daß die von den Kolonialherren gezogenen Grenzen nicht verändert werden – obwohl diese völlig willkürlich waren und in der Regel traditionellen oder geographischen Abgrenzungen zwischen Regionen und Ländern zuwiderliefen. Damit sollte vermieden werden, daß die afrikanischen Staaten nach Erlangung ihrer politischen Souveränität in immer kleinere ethnisch oder politisch begründete Subeinheiten zerfallen würden. Die im Laufe des Kolonialismus etablierten Nationalstaaten sollten den Rahmen für eine eigenständige ökonomische Entwicklung abgeben. Eine Auflösung der kolonialen Grenzen, so die nicht unberechtigte Befürchtung, würde alten und neuen Kolonialherren eine »Teile-und-Herrsche«-Politik erleichtern.

Bisher wurde dieses Prinzip einmal gebrochen – mit der Unabhängigkeitserklärung Eritreas von Äthiopien 1993; allerdings handelte es sich dabei um einen Staat der – im Gegensatz zum Südsudan – bereits in der Vergangenheit existiert hatte.

Die Aufrechterhaltung der kolonialen Grenzen kann natürlich kein sakrosanktes Prinzip sein; das Beispiel Südsudan zeigt aber, daß die Bereitschaft internationaler Anerkennung eines neuen Landes nicht den Prinzipien des Selbstbestimmungsrechtes folgt, sondern ausschließlich imperialistischen Eigeninteressen. Daß sich nach Erlangung nationaler Souveränität ohne grundlegende Veränderungen der Eigentumsstrukturen die sozialen Bedingungen für die Bevölkerung kaum verbessern – davon wiederum gibt es seit der Entkolonialisierung genügend Beispiele.

* Aus: Junge Welt, Montag, 9. Juli 2012


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