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Baschir lässt die Muskeln spielen

Besetzung in Südsudan ist Faustpfand für Aufteilung der Einnahmen

Von Kristin Palitza, Kapstadt *

Wenige Wochen vor der für den 9. Juli geplanten Unabhängigkeitserklärung Südsudans trifft heute (15. Juni) Bundesaußenminister Guido Westerwelle in Khartum ein. Im Januar hatte Sudans Präsident Omar Hassan Al-Baschir der Welt noch versprochen, die Trennung werde friedlich geschehen. Doch nun erreicht der Nord-Süd-Konflikt einen neuen Höhepunkt. Es geht um die Aufteilung der Öleinnahmen.

USA-Außenministerin Hillary Clinton hat sich am Montag (13. Juni) für die Entsendung von UN-Friedenstruppen in die umkämpfte sudanesische Region Abyei ausgesprochen. Sie würde es begrüßen, wenn die verfeindeten Seiten gemeinsam nach äthiopischen Blauhelmen fragen würden. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Südsudan haben wieder Konjunktur. Im Mai war es die zwischen Nord- und Südsudan umstrittene Provinz Abyei, die von der Armee des Nordens besetzt wurde. Inzwischen kam es auch im ölreichen Bundesstaat Süd-Kordofan zu Zusammenstößen, und zuletzt bombardierte der Norden ein Gebiet im südlichen Bundesstaat Al-Wahda (Einheit), wie ein Sprecher der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) klagte.

Beobachter bezweifeln jedoch, dass Al-Baschir einen neuen Bürgerkrieg heraufbeschwören will. Erdölanlagen werden bei Anschlägen bewusst geschont. Die Besetzung der Grenzregion ist demnach sein Unterpfand für wirtschaftliche Verhandlungen im Rahmen der Teilung. Khartum will sich die Aufgabe der Ölfelder reichlich vergüten lassen.

In Sudan wurden bereits in den späten 70er Jahren Ölvorkommen entdeckt. Doch anhaltende Konflikte zwischen Sudanesen arabischer Abstammung im Norden und Christen sowie Anhängern von Naturreligionen im Süden machten es anfangs nahezu unmöglich, die Ölindustrie zu entwickeln. Die Regierung des Nordens heuerte schließlich ethnische Milizen im Süden an, um die Ölfelder in Beschlag zu nehmen. 1999 begann der Norden, das schwarze Gold zu exportieren.

Zwar geht es in den Verhandlungen um mehr als Geld. Aber die Wirtschaft beider Teile Sudans basiert fast vollständig auf Ölgewinnung. Und beide sind stark voneinander abhängig. Denn obwohl sich der Großteil der Ölreserven im Süden befindet, besitzt der Norden alle Leitungen und Raffinerien. Daher wird trotz politischer Abspaltung wirtschaftliche Zusammenarbeit unumgänglich sein.

Idealerweise soll es noch vor dem 9. Juli ein Abkommen geben. Beide Seiten wollen vermeiden, dass die Ölgewinnung auch nur kurzfristig zum Stillstand kommt. Hunderte Millionen Dollar könnten im Sand versickern. Sudan fördert täglich rund eine halbe Million Fässer Rohöl.

Unlängst hatte Südsudans Regierung erwogen, sich von der überwältigenden Macht des Nordens auch wirtschaftlich unabhängig zu machen. Eine neue Ölleitung sollte aus dem Süden des Landes direkt an die kenianische Küste führen. Doch als man sich bewusst wurde, dass die Bauarbeiten mindestens drei Jahre dauern würden, wurde der Plan verworfen. Südsudan ist so groß wie Frankreich, hat aber weniger als 100 Kilometer asphaltierte Straßen. Man kann sich nicht leisten, für drei Jahre auf dem Trockenen zu sitzen. Stattdessen will Südsudan mit Khartum eine Transitgebühr aushandeln. Dass al-Baschir sich allein mit einer solchen zufriedengibt, ist allerdings höchst unwahrscheinlich.

Mit jedem Tag der Besetzung der Grenzregion fühlt sich Südsudan mehr unter Druck gesetzt. Die Südsudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM), die frühere Rebellengruppe, die offiziell die Führung des halbautonomen Südsudan übernahm, bat daher vor Wochenfrist um sofortige Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Die Übernahme Abyeis verstößt eindeutig gegen das Friedensabkommen von 2005, das Sudans 22-jährigen Bürgerkrieg beendete. Es legt fest, dass die Armeen des Nordens und des Südens gemeinsam die Bundesstaaten Süd-Kordofan und Blue Nile sowie die Region um Abyei kontrollieren. Doch al-Baschir ignoriert den Aufruf des UN-Sicherheitsrats, seine Truppen abzuziehen.

Wie er gehofft hatte, befindet sich der Süden nun in der Zwickmühle. Einerseits will er sich gegen die Invasion des Nordens wehren. Andererseits wird er von der internationalen Gemeinschaft gedrängt, Zurückhaltung zu üben, um Frieden zu wahren. Auf keinen Fall will Südsudan seine lang erwartete Unabhängigkeit durch einen neuen Bürgerkrieg riskieren.

Schon jetzt müssen die Einwohner der Grenzregion bitterlich für den Kampf ums Öl zahlen. Laut UNO campieren mehr als 50 000 Sudanesen, die aus Sicherheitsgründen aus Städten und Dörfern fliehen mussten, trotz Beginn der Regenzeit auf der Straße.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2011


Westerwelle spaltet

Sudan-Reise des Ministers im Zeichen der bevorstehenden Unabhängigkeit des Südens **

Kaum ist Bundesaußenminister Guido Westerwelle aus Bengasi zurückgekehrt, reist er am heutigen Mittwoch bereits weiter in den Sudan. Zwar werden Westerwelle und seine Delegation in der sudanesischen Hauptstadt Khartum untergebracht sein, die wichtigsten Gespräche werden jedoch in El Fasher, Darfur und Juba, der künftigen Hauptstadt des Südsudan, stattfinden. Ein Gespräch mit dem im vergangenen Jahr durch landesweite Wahlen bestätigten Präsidenten des Gesamtsudan, Omar Al-Baschir, ist nicht geplant, dafür aber mit dem Staatschef des zukünftigen Südsudan, Salva Kiir. Weiter stehen Treffen mit deutschen Soldaten und Polizisten, UN-Vertretern und dem Zusammenschluß christlicher Kirchen im Sudan auf dem Programm, so ein Besuch bei dem von Nonnen betriebenen Radio Bakhita.

Während Al-Baschir und Kiir noch in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba über die im Januar bei einem Referendum im Südsudan beschlossene Teilung verhandelten, werden längst Fakten geschaffen. Der Norden hat die umstrittene rohstoffreiche Region Abyei militärisch besetzt, nachdem er dort von Truppen des Südens angegriffen wurde. Auch in den Nuba-Bergen, die beim Norden verbleiben sollen, und dem Unity-State, der zum Süden gehören soll, drohen die Kämpfe zu eskalieren. Verhandlungen dürfte es nach westlicher Lesart hingegen eigentlich gar nicht geben, denn seit EU und USA 2009 einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Al-Baschir durchsetzten, sind alle Staaten aufgefordert, diesen festzunehmen, sobald er ihr Territorium betritt. Die Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) haben jedoch erklärt, diesen Haftbefehl nicht zu vollstrecken, da er eine friedliche Lösung der Konflikte im Sudan blockiere.

Auch die Sprecherin für internationale Beziehungen der Bundestagsfraktion Die Linke, Sevim Dagdelen, bezweifelt, daß Deutschland, die EU und die USA an einer friedlichen Lösung der Konflikte im Sudan interessiert sind. Die Abgeordnete, die Westerwelle auf der Reise in den Sudan begleitet, kritisierte gegenüber jW: »Vermittlungsbemühungen der AU wurden wie auch gegenüber der Elfenbeinküste und Libyen von den westlichen Akteuren und der UN unterwandert. Statt dessen wurde auf die Unterstützung von Separatisten gesetzt. Der ohnehin fragile Vielvölkerstaat wird durch die Abspaltung des ölreichen Südsudan massiv geschwächt, die internationale Unterstützung hierfür befeuert die Sezessionsbestrebungen in andern Landesteilen.« Insofern sei der Besuch Westerwelles in Darfur ein fatales Signal. Die ganze westliche Politik sei bislang dazu geeignet gewesen, den Sudan in einen weiteren Bürgerkrieg zu stürzen und ähnlich dem ehemaligen Jugoslawien in ethnisch definierte und von außen kontrollierbare Kleinstaaten zerfallen zu lassen.

»Damit ist einer der rohstoffreichsten und größten Staaten Afrikas, der sich eher nach China als gen Westen orientierte, dauerhaft geschwächt und in Zukunft höchstwahrscheinlich Geschichte«, so Dagdelen, die auch Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages ist. Dem Westen erleichtere dies nicht nur den Zugriff auf die Ölreserven des Sudan, sondern auch auf die angrenzenden Großregionen Sahara und Ostafrika. Schaue man sich die Karte Afrikas genauer an, könne man dahinter fast eine Strategie vermuten. So hätten sich sowohl am Kongo als auch an der Elfenbeinküste die vom Westen bevorzugten Machthaber mit dessen militärischer Hilfe durchgesetzt, und ähnliches drohe auch in Libyen. »Offensichtlich lassen sich Rohstoffe unter diesen Umständen besonders günstig ausbeuten«, so die linke Außenpolitikerin. (jW)

** Aus: junge Welt, 15. Juni 2011


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