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Blauhelme nach Abyei

Einigung im Konflikt über die Region im Sudan. Verteidigungsminister wirft Rebellen in Südkordofan vor, ein "zweites Bengasi" zu schaffen

Von Simon Loidl *

Vertreter der sudanesische Regierung und der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM haben am Montag in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ein Abkommen über eine Demilitarisierung der Region Abyei unterzeichnet. Sudanesische Truppen und Einheiten der südsudanesischen Befreiungsarmee SPLA sollen sich demnach aus der Region zurückziehen. Die Umsetzung des Planes soll von äthiopischen UN-Soldaten überwacht werden, die nach dem Abzug nord- und südsudanesischer Truppen in Abyei einrücken und die bereits bestehende UN-Mission (UNMIS) unterstützen sollen. Die Gespräche zwischen Norden und Süden waren vom ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki vermittelt worden.

Die Region Abyei steht im Zentrum der Auseinandersetzungen um den noch nicht festgelegten Grenzverlauf zwischen dem Norden des Landes und dem Süden, der sich am 9. Juli als eigener Staat etablieren will. Der Ölreichtum der Region bildet den Kern des Konflikts und sorgt für das starke Interesse westlicher Mächte und Chinas an den Entwicklungen im Sudan. Während der letzten Wochen war es wiederholt zu Kampfhandlungen gekommen. Mitte Mai wurde ein Truppentransport des Nordens angegriffen, woraufhin die sudanesische Armee die Stadt Abyei besetzte. Der künftige Status der gesamten Region war damit wieder völlig offen.

Das jetzt unterzeichnete Abkommen regelt nicht nur den Truppenabzug, sondern auch die politische Besetzung der Verwaltung von Abyei. Vorgesehen ist eine Aufteilung der Verwaltungsposten unter Angehörigen der sudanesischen Regierungspartei NCP und der SPLM. Auch eine von Vertretern des Nordens und Südens gemeinsam geleitete Polizeieinheit für Abyei soll geschaffen werden. Damit deutet derzeit alles darauf hin, daß die Region längerfristig einen von Blauhelmsoldaten überwachten Sonderstatus einer von Norden und Süden gemeinsam durchgeführten Verwaltung bekommen wird. Der genaue Verlauf der künftigen Grenze bleibt weiterhin offen. Im Dokument von Addis Abeba ist explizit festgelegt, daß die Aufteilung noch geändert werden könne.

Dennoch wurde die Einigung von vielen Seiten begrüßt. Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen Susan Rice forderte, daß die Stationierung der Blauhelmsoldaten möglichst rasch erfolgen müsse. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich erfreut über das Abkommen, mahnte aber, daß auch die Kämpfe in der Region Kordofan eingestellt werden müssen.

In dieser nördlich von Abyei gelegenen Region kam es in den letzten Tagen wieder zu Auseinandersetzungen. UNMIS-Mitarbeiter berichteten, daß bereits Zehntausende Flüchtlinge aus Südkordofan geflohen seien. Viele Bewohner des künftig zum Norden gehörenden Kordofan hatten während des Bürgerkrieges auf seiten des Südens gekämpft. Nach Angaben von lokalen Beobachtern ist es zu zahlreichen Verhaftungen von Menschen gekommen, denen vorgeworfen wurde, mit dem Süden zu sympathisieren. Der sudanesische Verteidigungsminister Abdel Rahim Mohammed Hussein wiederum sprach am Montag mit Bezug auf die libysche Rebellenhochburg davon, daß regierungsfeindliche Kräfte in Südkordofan versuchen würden, ein »zweites Bengasi« zu schaffen.

Beobachter des Konfliktes gehen davon aus, daß Khartum trotz der jüngsten Eskalationen kein Interesse an einem neuen Bürgerkrieg hat, sondern den noch nicht festgelegten Grenzverlauf zugunsten des Nordens beeinflussen will. Die sudanesische Ökonomie ist fast vollständig von den in den 1970er Jahren entdeckten Ölvorkommen abhängig. Während die meisten Ölfelder im künftigen Südsudan liegen werden, befindet sich ein Großteil der Infrastruktur zur Weiterverarbeitung des Rohstoffes im nördlichen Teil. Auch die Pipeline zum Roten Meer liegt zur Gänze im Norden. Obwohl westliche Unternehmen, herausgefordert von den vielfältigen wirtschaftlichen Aktivitäten Chinas im Sudan, seit Jahren massiv in die Infrastruktur des Südens investieren, wird somit auch nach dem 9. Juli eine Kooperation zwischen Nord und Süd im Interesse beider Teile liegen.

* Aus: junge Welt, 22. Juni 2011


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