Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sudan braucht eine föderale Lösung

Abel Alier: Das Naivasha-Abkommen für Südsudan ist auch ein Modell für Darfur - Heidemarie Wieczorek-Zeul verlangt eine humanitäre Intervention

Im Folgenden dokumentieren wir zwei interessante Interviews zur Situation im Sudan, die unterschiedlicher kaum sein können. Das erste, vor kurzem geführt mit dem sudanesischen Politiker und Menschenrechtler Abel Alier, das zweite mit der Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Wieczorek-Zeul wurde von der "Westdeutschen Zeitung" befragt, Abel Alier vom "Neuen Deutschland".

Abel Alier: Eine föderale Lösung für den Sudan

Der Journalist Mahgoub Mohamed Salih sowie der Friedenspolitiker und ehemalige Präsident Südsudans, Abel Alier, erhielten letzte Woche den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Die Laudatio hielt Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Verleihung nahm die FES-Vorsitzende Anke Fuchs vor. Der Nordsudanese Salih und der Südsudanese Alier sind als nationale Symbolfiguren in allen Landesteilen anerkannt. Über Ansätze zur friedlichen Lösung der Konflikte in Sudan sprach "Neues Deutschland" (ND) mit Abel Alier.

ND: Der Konflikt im westsudanesischen Darfur ist Gegenstand mehrerer Resolutionen im UNO-Sicherheitsrat. Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um diesen Konflikt beizulegen?

Alier: Die internationale Gemeinschaft sollte weiter auf eine politische Lösung drängen – der Wille ist bei ihr sicher da. Eine Ausweitung des Krieges muss auf alle Fälle vermieden werden. Es gibt die Erfahrung aus Südsudan, dass es zu keiner Verhandlungslösung kommen kann, solange die Feindseligkeiten anhalten. Die Einhaltung des Waffenstillstands wäre ein erster Schritt für eine Atmosphäre, die eine Verhandlungslösung erlaubt.

Internationaler Druck ist dafür hilfreich?

Ja. Aber den Einsatz von Waffengewalt lehne ich als Pazifist ab. Der Konflikt muss politisch und friedlich gelöst werden. Das ist sicher kompliziert. Aber die Erfahrung zeigt, dass Konflikte mit Gewalt nicht gelöst, sondern dass nur neue erzeugt werden.

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation in Darfur ein?

Sie ist katastrophal. 1,2 Millionen Menschen wurden vertrieben. Es gibt eine tiefe humanitäre Krise, die andauern wird, wenn es nicht gelingt, eine politische Lösung zu finden. Zunächst muss eine für Verhandlungen förderliche Umgebung geschaffen werden: ein Waffenstillstand, keine negative Medienberichterstattung, keine gegenseitigen Verleumdungen der Konfliktparteien und ein Stopp der Feindseligkeiten.

Welche Rolle spielen die Erdölvorkommen für die Konflikte in Sudan und speziell in Darfur?

Der erste Bürgerkrieg war von 1955 bis 1972. Während dieser Zeit waren noch keine Erdölvorkommen entdeckt. Erst nach dem Friedensabkommen 1972 begannen Erkundungen und erst 1978 wurde Öl entdeckt – vom USA-Konzern Chevron und vom französischen Multi Total Fina. Nachdem Khartum das Friedensabkommen 1983 aufgekündigt hatte, flammte der Krieg wieder auf und die Konzerne verließen das Land. Später wurden weitere Erdölkommen entdeckt, die meisten im Süden, aber auch in Grenzgebieten zum Norden. Öl ist sicher ein Faktor, aber die Geschichte zeigt, dass dieses Öl für die Konflikte in Sudan nicht zentral ist.

Sie waren der erste Präsident der Regionalregierung von Südsudan, die während der friedlichen Periode von 1972 bis 1983 – zwischen den beiden Bürgerkriegen – amtierte. Können Sie sich eine ähnliche Friedenslösung vorstellen wie damals?

Sicher. Die Verhandlungen zwischen der Regierung in Khartum und der südsudanesischen Rebellenbewegung SPLA im kenianischen Naivasha brachten sogar viel weiter gehende Ergebnisse als das damalige Friedensabkommen von Addis Abeba, das ich selbst mit ausgehandelt habe. In Naivasha wurde viel vereinbart, was sich auch auf Darfur anwenden lässt. Man einigte sich auf ein föderales Regierungssystem mit weit gehender Autonomie für die Regionen und Staaten, auf demokratische Teilhabe aller Parteien, auf das Recht auf Parteienbildung und auf allgemeine Wahlen, die von regionalen und internationalen Beobachtern überwacht werden. Zudem gelten die Grundsätze der Herrschaft des Rechts und der gerechten Machtteilung. Dafür hat sich das Zentrum bereit erklärt, Macht an die Regionen abzugeben – einschließlich Darfur.

Glauben Sie, dass das föderale System auch eingeführt wird?

Ja. Die Zentralregierung hat einiges aufgegeben, wozu sie lange nicht bereit war. Außerdem ist im Naivasha-Abkommen für 2008 in Südsudan ein Referendum angesetzt. Deshalb ist es für die Regierung wichtig, ein föderales System einzuführen, so dass jede Region sagen kann: Wir haben Macht. Nur dann werden sich die Menschen im Süden gegen eine Sezession aussprechen, nur dann werden sie sich für die Einheit aussprechen.

Naivasha kann also als Modell für die Lösung des Nord-Süd-Konflikts wie auch für Darfur dienen?

Auf alle Fälle. Es gibt sechs Regionen in Nord- und drei in Südsudan. Naivasha deckt alle Regionen ab. Wenn es einzelne Aspekte gibt, die in punkto Darfur durch das Abkommen noch nicht geregelt sind, dann müssen sie nachverhandelt werden. Aber im allgemeinen ist ein föderales System der Lösungsansatz. Deutschland ist ein Beispiel für ein funktionierendes Föderalsystem.

Sind Sie davon überzeugt, dass die Regierung in Khartum wirklich eine politische Lösung anstrebt und das Naivasha-Abkommen einhält?

Ja. Es liegt im Interesse der Regierung in Khartum. Andernfalls bekommt sie große Probleme.

(Fragen: Martin Ling)

Aus: Neues Deutschland, 29. September 2004


"Fairer Handel nicht Almosen"

Entwicklungspolitik darf sich nicht auf Nothilfe beschränken, fordert Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Und verlangt eine humanitäre Intervention im Sudan.

Das Interview führte Eberhard Fehre

Entwicklungshilfe ist notwendig. Zu erfolgreicher Armutsbekämpfung gehören aber auch und vor allem gerechte Wettbewerbsbedingungen zwischen den Industriestaaten und der Dritten Welt. Das fordert Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende, im Interview mit unserer Zeitung. Und sie kritisiert scharf die internationale Gemeinschaft wegen ihres zögerlichen Verhaltens angesichts der Vertreibung und Morde im Süden des Sudan.

Frage: Frau Wieczorek-Zeul, wie fühlt sich eine Entwicklungs-Ministerin angesichts der Bilder aus dem Sudan?

Wieczorek-Zeul: Ich warne ja schon seit Monaten davor, dass diese Entwicklung eintritt, dass die Bevölkerung weiterhin vertrieben wird, dass sich das Leiden und Sterben fortsetzt. Und deshalb habe ich immer wieder darauf gedrängt, dass der UN-Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem Sudan wirklich ernsthafte Konsequenzen ankündigt. Aber es ist schon bedrückend zu sehen, dass einige Länder sich aus sehr durchsichtigen Gründen einer scharfen UN-Resolution verweigern.

Frage: Sie sprechen von Russland und China und deren Ölinteressen?

Wieczorek-Zeul: Ja, aber nicht nur. Auch andere Länder haben die Sorge, dass sie, wenn sie jetzt klar Position beziehen, in Zukunft auch einmal vom UN-Sicherheitsrat zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Das ist schon bedrückend. Zwar hat sich die Situation schon etwas verbessert: Hilfsorganisationen haben Zugang zu den notleidenden Menschen. Aber sie leben noch immer unter elenden Bedingungen. Sie haben immer noch nicht ausreichende Sicherheit und vor allem: Sie können noch immer nicht zurückkehren. Deshalb dränge ich weiter darauf, dass die Afrikanische Union jetzt wirklich mit einer größeren Friedenstruppe vor Ort präsent ist, damit die arabischen Reitermilizen ihre schrecklichen Vertreibungen, Plünderungen und Vergewaltigungen beenden und die Menschen die Sicherheit haben, zurückkehren zu können.

Frage: Wir schicken Nothilfe, drohen mit Sanktionen oder Militär, wenn die Situation eskaliert, aber Auslöser ist doch die extreme Armut im südlichen Afrika?

Wieczorek-Zeul: Die Ursachen im Sudan sind vielschichtiger. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Zentralregierung den Zugang zu den Ressourcen monopolisieren möchte und dabei die Regionen vernachlässigt. Zum anderen geht es um den Streit über den Zugang zu fruchtbarem Land. Generell gilt aber, dass Armut und Ungerechtigkeit häufig Konflikte verschärfen oder zu deren Eskalation beitragen.

Frage: Millenniumsziel der UN ist, bis 2015 die extreme Armut zu halbieren. Zwar ist diese Armut weltweit in den letzten zehn Jahren von 28 auf 23,3 Prozent gesunken. Aber diese schöne Statistik verdankt sich doch allein China, das den Anteil seiner extrem armen Bevölkerung halbiert hat. Und die Chinesen haben das aus eigener Kraft geschafft.

Wieczorek-Zeul: Und Indien. Aber solche Prozesse nehmen auch Zeit in Anspruch. Die Weltbank legt regelmäßig eine Bilanz vor. Da ist schon interessant, dass eine Reihe afrikanischer Länder dafür sorgen, dass alle Kinder eine Grundbildung erhalten. In Kenia, Tansania und Mosambique hat sich so die Zahl der Kinder, die auf eine Schule gehen, verdoppelt. Gerade Investitionen in Bildung und Gesundheit werden langfristig dazu beitragen, dass diese Länder sich entwickeln werden.

Frage: Nach der Statistik der Weltbank hat sich gleichwohl der Teil der Bevölkerung im südlichen Afrika, der in extremer Armut lebt, von 46 auf nun fast 50 Prozent gesteigert?

Wieczorek-Zeul: Ein Teil der afrikanischen Länder ist bisher in der Globalisierung Verlierer und handelspolitisch marginalisiert. Deshalb ist Afrika ja der Kontinent, auf den die internationale Gemeinschaft die größten Anstrengen richten muss.

Frage: Im Jahr 2002 gab diese internationale Gemeinschaft 68 Milliarden US-Dollar als Entwicklungshilfe, schützte aber ihre Agrarprodukte zugleich mit 350 Milliarden US-Dollar Subventionen vor Einfuhren aus Entwicklungsländern. Kann da Entwicklungshilfe mehr sein als Nothilfe?

Wieczorek-Zeul: Die Entwicklungszusammenarbeit ist notwendig, da wir ja mit unserem Wissen und unserer Unterstützung zu Strukturveränderungen in Entwicklungsländern beitragen wollen. Zu Entwicklungspolitik gehört aber auch der Einsatz für gerechte Handelsbedingungen - das gehört einfach zusammen. Entwicklungspolitik ist ein komplexes Geflecht aus bilateraler Entwicklungszusammenarbeit, Veränderung weltweiter Handelsbedingungen und dem Einsatz für globale Strukturpolitik. Aber Sie haben recht. Wenn die Industrieländer, die us-amerikanische Regierung und auch die EU endlich das wahr machten, was sie in der Welthandelsrunde angekündigt haben, z. B. die Agrarexportsubventionen zu reduzieren oder ganz zu beseitigen, dann würden rund 144 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern den Sprung über die Armutsgrenze schaffen. Dann könnten diese Länder auch ohne Hilfe von außen die Armut bekämpfen. Deshalb fordern die Entwicklungsländer ja auch keine Almosen, sondern gerechte Handelsbeziehungen.

Frage: Wie lange wird eine Dose Bohnen aus Viersen auf dem Markt in Nairobi noch billiger sein als die frische Ernte eines kenianischen Bauern?

Wieczorek-Zeul: Der unfaire Wettbewerb ist im bisherigen weltweiten Handelssystem angelegt, das muss geändert werden. Wir sind im übrigen mit der EU-Agrarreform bereits weite Schritte voraus. Aber wir haben jetzt ja die Doha-Runde, die im Winter nächsten Jahres beendet werden soll. Im Prinzip hatten sich alle im Juli 2004 in Genf auf einen Rahmen geeinigt, der bedeutet, dass die Agrarexportsubventionen auslaufen. Aber wie immer steckt der Teufel im Detail. Jetzt wird zwischen Experten im stillen Kämmerlein gehandelt, und da werden die Entwicklungsländer wieder unter Druck gesetzt. Deshalb müssen wir genau aufpassen, dass die Runde nicht nur den Titel "Entwicklungsrunde" hat, sondern dem auch in der Realität entspricht.

Aus: Westdeutsche Zeitung vom 24.09.2004

Quelle: Homepage des BMZ: www.bmz.de



Zu weiteren Beiträgen über Sudan

Zur Seite "Entwicklungspolitik"

Zurück zur Homepage