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Sudan: Chronik wichtiger Ereignisse

Februar bis Mai 2008


Februar
  • Bei einer Offensive der Regierungstruppen wurden zwei Städte im nordwestlichen Darfur zerstört. (8. Februar) Rund 12.000 Einwohner der beiden Ortschaften Abu Sorouj und Sirba mussten in die Nachbarsrepublik Tschad flüchten. Laut Human Rights Watch sind auf der Flucht 150 Menschen ums Leben gekommen. Die beiden Städte waren ebenfalls Zufluchtsorte für Einwohner benachbarter Dörfer, die aufgrund früherer Übergriffe der Milizen in den zwei Städten Schutz gesucht hatten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die Attacken als unrechtmäßig: Angriffe auf Zivilisten seien unvereinbar mit dem Internationalen Recht. (11. Februar) Der Vertreter des UN-Generalsekretärs, Jean-Marie Guéhenno, erklärte im Sicherheitsrat, der Angriff erschwere die Arbeit der internationalen Truppen in Darfur, da die Friedensmission stark unterbemannt sei. Daher befürchtet Guéhenno, die Lage vor Ort könne nicht nur für die Einwohner, sondern auch für Soldaten gefährlich werden. „Die Menschen in Darfur erwarten so viel von uns. Wir würden ihnen gerne all das zukommen lassen, worauf sie hoffen, aber das scheint uns angesichts der knappen Ressourcen unmöglich“, sagte Guéhenno.
  • Steven Spielberg trat von seiner Beratertätigkeit bei den Olympischen Spielen in Peking zurück. (13. Februar) Der Hollywood-Regisseur schloss sich damit zahlreichen Prominenten an, die die Sportveranstaltung aufgrund der chinesischen Waffenlieferungen an die sudanesische Regierung boykottieren. Die chinesische Regierung hält Spielbergs Rücktritt für bedauerlich und sprach sich gegen die Politisierung der Olympischen Spiele aus. (14. Februar) Laut internationalen Beobachtern der Olympia-Vorbereitungen ist der Rücktritt des Oscar-Preisträgers ein für die chinesische Regierung unerwarteter und unerfreulicher Vorfall.
  • Die ins Auge gefasste European Union Force (EUFOR)-Truppe für Darfur wird vermutlich nicht zustande kommen. (26. Februar) Eine zeitlich befristete Mission könne laut Regierungssprechern nur wenig erreichen. Außerdem seien EUFOR-Truppen bereits in Sudans Nachbarsstaat Tschad präsent, wo sie derzeit mit Gewaltandrohungen seitens der Rebellen konfrontiert werden. Im Oktober 2007 hatte die Europäische Union der Entsendung einer rund 3.700 Mann starken EUFOR-Truppe an die Grenzen Sudans im Tschad zugestimmt. Ende Januar 2008 bestätigten die EU-Außenminister diesen Einsatz, woraufhin die Verlegung der Truppe begann. Die Soldaten stammen aus 14 europäischen Staaten. Die Stationierung der Truppen im Tschad soll bis Ende März vollzogen sein. Die Aufgaben der EUFOR-Truppen lauten: Schutz von Zivilpersonen, insbesondere von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen; Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage, um humanitäre Hilfsleistungen zu erleichtern; Unterstützung von Maßnahmen, welche für die freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen notwendig sind; Unterstützung der Grundlagen für den langfristigen zivilen Wiederaufbau sowie Schutz von Personal, Einrichtungen und Ausrüstung der Vereinten Nationen sowie Gewährleistung der Bewegungsfreiheit von UN-Personal.
  • Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) wird bis Ende Mai zwei sudanesische Flüchtlingslager auflösen, da bis zu diesem Zeitpunkt ein Großteil der Geflohenen in ihre Heimatsorte zurückkehren wird. (29. Februar) Der UNHCR hatte bereits im März 2006 begonnen, Flüchtlinge in die Heimat zu überführen: 21.000 kehrten in ihre Wohnorte zurück, bevor sie im Mai 2007 aufgrund von Gewaltausbrüchen und Nahrungsmittelknappheit erneut auf die Unterstützung des UNHCR angewiesen waren.
März
  • Am 14. März unterzeichneten die Staatschefs des Sudan und Tschads einen Friedensvertrag in der Anwesenheit des UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon. Dies ist bereits der sechste Versuch der Nachbarstaaten, ihre Feindseligkeiten beizulegen. Fünf Jahre lang hat der Tschad Rebellen in der Grenzregion Darfur unterstützt. Währenddessen hat der Sudan tschadischen Rebellen und Oppositionellen der tschadischen Regierung Hilfe gewährt. Anfang des Jahres ist Präsident Idriss Déby in der tschadischen Hauptstadt N'Djamena mit Mühe einem, vermutlich von Sudan lancierten, Rebellenangriff entkommen. Übergriffe wie dieser sollen künftig nicht mehr passieren, dafür soll eine Kontrollgruppe Sorge tragen. Auf diese Weise, so die Staatschefs, wolle man eine weitere Destabilisierung der Region verhindern. Mitglieder der Kontrollgruppe sind die Außenminister Libyens, der Republik Kongo, Senegals, Gabuns sowie Eritreas.
  • Die Vereinten Nationen werfen der sudanesischen Regierung vor, dass diese indirekt für Massenvergewaltigungen in Darfur verantwortlich ist. (20. März) Die Verbrechen seien strategisch und zielen auf die weitere Arabisierung der Region. Aus dem UN-Report “Laws Without Justice: An Assessment of Sudanese Laws Affecting Survivors of Rape” geht hervor, dass der Grossteil der Opfer von Vergewaltigungen weder Zugang zu notwendigen Medikamenten, noch eine Möglichkeit hat, gegen die Täter juristisch vorzugehen. Laut internationalen Beobachtern sind die Massenvergewaltigungen zu einem Merkmal des Konfliktes in Darfur geworden.
April
  • Die sudanesische Hauptstadt Khartum erlebt einen Bauboom. (2. April) Die weltweit hohen Ölpreise sorgen für anhaltende Investitionen im Sudan, das über große Ölvorkommen verfügt. Der Großteil der Investitionen geht auf chinesische Industrielle zurück, die aufgrund des hohen Rohstoffbedarfs in China besonders starkes Interesse an den sudanesischen Ölvorkommen hegen.
  • Hillary Clinton hat im US-Vorwahlkampf Präsident George Bush zum Boykott der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking aufgefordert. (7. April) Sie erklärte, Washington könne auf diese Weise seine Kritik an der chinesischen Sudan-Politik kundtun. Bushs Sprecher ließen verlauten, dass der Präsident seine Reise zu der Eröffnungsfeier im August nicht widerrufen werde. Olympische Spiele seien primär ein sportliches und kein politisches Ereignis, sagte eine Sprecherin des Weißen Hauses.
  • Die UN-Friedenstruppen wurden erneut von der englischen BBC schwerer Korruption in mehreren afrikanischen und asiatischen Krisengebieten beschuldigt. (28. April) Unter anderen soll es auch im Sudan wiederholt zur Bestechung des UN-Personals seitens der Regierung gekommen sein. Die Anschuldigungen richten sich besonders gegen die pakistanischen Truppen. Die Vereinten Nationen können die Vorwürfe zwar recherchieren, müssen jedoch ein juristisches Vorgehen sowie die potentielle Verurteilung der Straftaten den jeweiligen Entsendestaaten der Blauhelmtruppen überlassen.
  • Nach aktuellen Schätzungen der Vereinten Nationen sind durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Darfur seit 2003 rund 300.000 Menschen ums Leben gekommen. (23. April) Die Todesrate liegt deutlich höher als bislang angenommen. In der sudanesischen Krisenregion versucht die internationale UNAMID- Friedensmission, Flüchtlinge und Mitarbeiter der Hilfsorganisationen zu schützen. Doch der Friedensmission stehen zu wenig Soldaten zur Verfügung. Darüber hinaus ist sie auch technisch unzulänglich ausgestattet. Die UNAMID-Mission wird von Experten als Hybridoperation bezeichnet, weil sie sowohl UN-Blauhelme als auch von der Afrikanischen Union zusammengestellte Truppen umfasst. Die Mission wurde vom Sicherheitsrat in der Resolution 1769 vom Juli 2007 abgesegnet, ihre Umsetzung begann im Dezember letzten Jahres.
Mai
  • Bei einem Flugzeugabsturz im Sudan ist der sudanesische Verteidigungsminister der südlichen Regionalregierung Dominic Dim Deng ums Leben gekommen. (2. Mai) Er befand sich an Bord einer Privatmaschine, die rund 375 Kilometer westlich der süd-sudanesischen Provinzhauptstadt Dschuba verunglückt ist. Der Vize-Regierungschef Riek Maschar schloss einen Anschlag auf das Flugzeug als Absturzursache aus. Stattdessen soll das Unglück auf technische Fehler an beiden Triebwerken der Beechcraft 1900 zurück zu führen sein, die von der Southern Sudan Air Connection betrieben wurde.
  • Die Teilnehmer der Sudan-Geberkonferenz in Oslo haben dem afrikanischen Land finanzielle Unterstützung von rund 4,8 Milliarden Dollar zugesagt. (7. Mai) Die Summe soll bis zum Jahr 2011 entrichtet werden. Die Europäische Union steuert 435 Millionen Dollar bei. An der Konferenz nahmen 38 Länder und außerdem auch internationale Organisationen teil. Die amtierende Flüchtlingskommissarin Wendy Chamberlain erklärte im Verlauf der Konferenz, die internationale Unterstützung könne für hunderttausende Geflohene ausschlaggebend für die Entscheidung zur Rückkehr in die Heimatorte sein. Ohne die entsprechende finanzielle Hilfe, so Chamberlain, werde eine Reintegration der Flüchtlinge aus Darfur nicht möglich sein. Darüber hinaus berichtete Chamberlain von ihren Gesprächen mit Flüchtlingen im Süden Sudans. Die Menschen hätten starke Unsicherheit über die Aussichten einer endgültigen Heimkehr und eines friedlichen Neuanfangs gezeigt. Die Bundesregierung sagte auf der Konferenz einer Fortführung ihres humanitären Engagements im Sudan zu. Staatsministerin Müller erklärte gleichzeitig, dass eine Normalisierung der Beziehungen zur sudanesischen Regierung nicht möglich sei, solange die sudanesische Regierung den Forderungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nicht nachkommt und die Gewalt in Darfur anhält.
  • Die sudanesische Regierung hat zum wiederholten Mal die Beziehungen zum Nachbarsstaat Tschad abgebrochen, weil dieser Rebellen in Darfur unterstützt. (12. Mai) Tschad hat daraufhin den Handel mit Sudan ausgesetzt und seine Grenzen geschlossen. Erst im März hatten die Staaten das sechste Friedensabkommen unterschrieben. Eine Kontrollgruppe sollte für die Einhaltung des Abkommens Sorge tragen. Ihre Einwände wurden jedoch sowohl vom sudanesischen als auch vom tschadischen Präsidenten ignoriert. Die Spannungen an der tschadisch-sudanesischen Grenze hatten sich in den vergangenen Wochen zunehmend verschärft, so dass die erneut offenen Feindseligkeiten für internationale Beobachter kein unerwartetes Ereignis darstellen.
  • Mitte Mai kam es in der Erdölreichen Region um die Stadt Abyei zu massiven Gefechten: Die nordsudanesische Armee (Sudanese Armed Forces (SAF) kämpfte gemeinsam mit den regierungsnahen Milizen gegen die Sudan People's Liberation Army (SPLA). Die Nordsudanesen besetzten und zerstörten Abyei. (14. Mai) Laut den Vereinten Nationen sollen dabei 90.000 Menschen vertrieben worden sein. (16. Mai) Die Gefechte belasten das 2005 geschlossene Friedensabkommen zwischen Nord und Süd, Experten schließen eine neue Entfachung des Bürgerkrieges nicht aus. Die USA wies den amerikanischen Sondergesandten Richard Williams an, sich stärker zugunsten von Friedensgesprächen zwischen Nord- und Südsudan zu engagieren. In ihrem 32-seitigen Bericht “Abandoning Abyei: Destruction and Displacement, May 2008” stellt die NGO Human Rights Watch Beweise für staatliche Übergriffe gegen die Einwohner Abyeis zusammen: Die SAF-Truppen und alliierte Milizen sollen mit außerordentlicher Brutalität gegen die Bewohner der Stadt vorgegangen sein.
  • Der sudanesische Rebellenführer Abdelwahid al Nur, der an der Spitze der Sudan Liberation Movement (SLM) steht, kritisiert die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf die Gewalt in Darfur. (16. Mai) Der Rebellenführer lebt in Frankreich und hat bereits gegenüber mehreren internationalen Medien Kritik an der sudanesischen Regierung geübt. Al-Nur unterhält gute Beziehungen zu dem französischen Außenminister Bernard Kouchner. Aus dem französischen Exil leitet Al-Nur weiterhin eine Fraktion der einst größten Darfur-Rebellenbewegung SLA (Sudanesische Befreiungsarmee). Die Fraktion spaltete sich 2006 von der SLA ab, nachdem SLA-Führer Minni Minawi ein Friedensabkommen mit Sudans Regierung unterschrieben hatte.
  • Die Afrikanische Union hat die Deadline für ein Friedensabkommen zwischen zwei Rebellengruppen in Darfur um zwei Wochen verlängert. (17. Mai) Sollten sich die Mitglieder der Sudan Liberation Movement (SLM) und der Justice and Equality Movement (JEM) nicht friedlich verhalten, müssten sie mit Konsequenzen seitens der Vereinten Nationen rechnen. Wenige Tage zuvor hatte die größte Rebellengruppe in Darfur, die Sudan Liberation Army (SLA), einem Vertrag zugestimmt, der die Umsetzung der Friedenspläne in den kommenden drei Jahren vorsieht. Der Führer der SLA, Minni Minnawi, hatte bereits 2006 in Nigeria ein Friedensabkommen unterzeichnet und wurde zum Ratgeber des Präsidenten ernannt. Bewaffnete Anhänger der SLA wurden von internationalen Beobachtern für gewaltsame Übergriffe gegen die Bewohner der Krisenregion Darfur verantwortlich gemacht.


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