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Wenig Aussicht auf Frieden in Darfur

Internationale Friedensverhandlungen in Libyen – wichtige Rebellengruppen fehlen

Von Martin Ling *

Im libyschen Sirte startet heute auf Einladung von Muammar al-Gaddafi eine internationale Friedenskonferenz zur Lösung des Darfur-Konflikts in Sudan. Die UNO und die AU sind anwesend, doch die meisten und wichtigsten Rebellengruppen haben inzwischen ihr Fernbleiben verkündet.

»Jetzt oder nie!« Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi schraubte schon vor Wochen die Erwartungen an die Darfur-Friedenskonferenz in die Höhe. Neben seinem Optimismus bot er dem ihn besuchenden UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon Anfang September auch an, die Friedensgespräche in seinem Land zu organisieren und alles zu tun, damit diese erfolgreich werden.

Beginnen werden die Verhandlungen heute nachmittag in Sirte in der Tat. Doch es gibt wenig Hoffnung auf einen Durchbruch für eine Lösung des Konflikts, der nach UNO-Angaben seit 2003 mindestens 200 000 Menschen das Leben kostete und mehr als zwei Millionen Menschen zu Flüchtlingen machte. Der UN-Sondergesandte Jan Eliasson teilte am Mittwoch mit, dass sowohl der Gründer der sudanesischen Befreiungsbewegung SLM-A, Abdul Wahid al-Nur, wie auch die Führer mehrerer anderer Rebellengruppen nicht an dem Treffen mit der sudanesischen Regierung teilnehmen wollten.

Letzte Meldung

Sudanesische Regierung will Waffenruhe für Darfur verkünden
Bei den Darfur-Friedensgesprächen in Libyen will die Regierung des Sudan einen Waffenstillstand für die Krisenregion verkünden. Ein ranghoher Vertreter des sudanesischen Außenministeriums sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Regierung werde diese Waffenruhe einseitig zum Beginn der Gespräche ausrufen. Khartum sei zu allen notwendigen Schritten bereit, die den Friedensprozess in Darfur voranbringen könnten.
Die sudanesische Regierung ist bei den Verhandlungen in der Stadt Sirte, rund 450 Kilometer östlich von Tripolis, mit einer 30-köpfigen Delegation vertreten. Geleitet wird sie von Vize-Präsident Nafie Ali Nafie. Zahlreiche Rebellengruppen boykottieren allerdings die Gespräche, die auf Initiative der UNO und der Afrikanischen Union angesetzt wurden.
Quelle: AFP, 27. Oktober 2007



Noch im August stand Wahid al-Nur ziemlich isoliert da. Als einziger nahm er nicht an Gesprächen im tansanischen Arusha unter den Rebellen teil, die, wie die in Sirte, von UN und Afrikanischer Union (AU) angestoßen wurden und das Ziel hatten, eine gemeinsame Verhandlungsgrundlage gegenüber Khartum zu schaffen. Wahid al-Nurs Argument: Solange das Töten andauere und kein Waffenstillstand eingehalten werde, seien Verhandlungen sinnlos. An dieser Position hält er fest: »Wir brauchen keine neuen Resolutionen, wir brauchen die Umsetzung der vorhandenen«, begründet er seine Abwesenheit in Sirte.

Die SLM-A ist die größte der inzwischen in mindestens drei Fraktionen zerfallenen Sudanesischen Befreiungsbewegung SLM, die im März 2003 den Aufstand gegen die Zentralregierung in Khartum ausrief. Damit wollte sich die SLM nach eigenen Angaben gegen die »ethnische Vertreibung« afrikanischer Stämme seitens der arabischen Regierung und mit ihr verbündeter Milizen zur Wehr setzen.

Auch die zweite der ursprünglichen Rebellenbewegungen, die 2003 in Nord-Darfur gegründete Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM), hat inzwischen ihre Absage mitgeteilt. Fast alle Rebellengruppen haben inzwischen einen Boykott verkündet, auch deshalb, weil die Vermittler die Rebellen stark unter Druck setzen. »Die Gespräche sind eine einmalige Gelegenheit, ich fordere deshalb alle Gruppen auf, nach Libyen zu kommen«, erklärte AU-Kommissionschef Alpha Oumar Konaré. Doch den Monat Aufschub, den die zersplitterten Rebellen erbaten, wollte Konaré ebenso wenig geben wie der UN-Sonderbeauftragte Jan Eliasson. Auch die Drohung des UN-Sicherheitsrates dürfte an der Rumpfkonferenz nichts mehr ändern. Jeglicher Partei, die den Friedensprozess zu untergraben versuche, stellte der Sicherheitsrat am Mittwoch nicht näher bezeichnete »Maßnahmen« in Aussicht und forderte alle Rebellengruppen nochmals auf, an den Friedensgesprächen teilzunehmen.

Die Vorzeichen für die Konferenz in Sirte sind damit denkbar schlecht. Dabei, so die Sudan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, Annette Weber, war die geplante Zusammensetzung sinnvoll: »Die Afrikanische Union und die UNO als gemeinsame Veranstalter in einem arabischen Nachbarland mit allen Konfliktpartnern an einem Tisch, ist eine sinnvolle Sache.« Doch so wie Gaddafi seine Erwartungen hochgeschraubt hat, hat sie Weber inzwischen gesenkt. Mehr als separate Friedensabkommen mit einzelnen Gruppen wie 2006 mit der SLM-MM von Minni Minnawi, der inzwischen mit in der Regierung sitzt, seien in Sirte kaum möglich, so Weber gegenüber ND. Und die Erfahrung mit dem Separatfrieden mit der SLM-MM zeige, dass damit der Konflikt schlimmstenfalls eher angeheizt werde. Jeder Separatfrieden wie der von 2006 berge nämlich die Gefahr einer weiteren Fraktionierung in Darfur in sich. »Wenn die Rebellenfraktionen sich so bekämpfen wie in den letzten Monaten, ist es vor allem für die Zivilbevölkeurng eine zunehmende katastrophale Situation, weil die Leute nicht mehr wissen, ob ihre Nachbarn heute der gleichen Fraktion angehören wie morgen.«

Der Konflikt in Darfur, der 2003 noch eine relativ klare Front zwischen SLM und JEM gegen die Dschandschawid-Milizen und Regierungssoldaten aufwies, ist inzwischen in viele und wechselnde Fronten aufgesplittert. »Offensichtlich haben einige Rebellenführer gar kein Interesse an einem Friedensschluss«, meint Weber. Die Folgen sind fatal: »Khartum kann seine Verantwortung abschieben und ein Scheitern in Sirte würde es erschweren, Druck auf Khartum auszuüben, wenigstens humantitäre Versorgung zuzulassen«, vermutet Weber. Dabei sei der Konflikt in Darfur primär politisch: »Khartum ist ein zentralistisches Regime, das sich nur um die Eliten kümmert und den Großteil der Bevölkerung – nicht nur in Darfur – marginalisiert.«

Mit einem Scheitern in Sirte rückte auch die geplante gemeinsame Mission von UN und AU in weite Ferne. Ohnehin hat Amnesty International gerade der sudanesischen Regierung vorgeworfen, sie behindere eine schnelle Stationierung von Friedenstruppen für die Krisenregion Darfur. Rückenwind hat nur al-Gaddafi. Gestern konnte er sich als erfolgreicher Vermittler eines Friedensabkommens im benachbarten Tschad feiern lassen. Dass sich das in Sirte wiederholt, bleibt dennoch unwahrscheinlich.

Krisenprovinz Darfur

Darfur setzt sich aus einer Nord-, West- und Südprovinz zusammen. Insgesamt ist das Gebiet eineinhalb Mal so groß wie Deutschland. Die nördliche Hälfte der Region gehört zur Sahelzone und wird von Nomaden bewohnt, die von ihren Kamelherden leben. In den anderen Teilen finden sich sesshafte Bauern und Nomaden, die auf Rinderzucht setzen. Konflikte zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern gehören zur Geschichte Darfurs. Während die meisten afrikanischen Ethnien Ackerbauern sind, handelt es sich bei den hellhäutigeren Arabern in der Regel um Nomaden. Fruchtbarer Boden und Wasser werden immer knapper. Zum einen, weil sich die Bevölkerung innerhalb der letzten 20 Jahre auf sechs Millionen verdoppelt hat, zum anderen, weil die Wüste jedes Jahr um sechs Kilometer weiter nach Süden vorrückt.

Seit Mitte der achtziger Jahre wurden die Konflikte immer wieder gewaltsam ausgetragen ? Hunger und Dürreperioden waren keine Seltenheit. Mit der Machtübernahme von Omar al-Baschir 1989 verschärfte sich der Konflikt, weil der als islamistischer Hardliner angetretene al-Baschir die arabischen Ethnien bevorzugte. Auch im aktuellen Konflikt sieht sich Khartum dem Vorwurf ausgesetzt, den arabischen Dschandschawid-Milizen, die Jagd auf die schwarzafrikanische Zivilbevölkerung machen, freie Hand zu geben und überdies mit der sudanesischen Armee wichtige Unterstützerdienste zu leisten. Khartum bestreitet dies.



* Aus: Neues Deutschland, 27. Oktober 2007


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