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Sudan: Auftragstäter

Musa Hilal ist der Anführer der Dschandschawid-Milizen in der Darfur-Provinz. Zum ersten Mal spricht der mutmassliche Völkermörder mit einem Journalisten.

Den folgenden Bericht über eine zentrale Figur der sudanesischen Milizen haben wir der Schweizer Wochenzeitung WoZ entnommen.


Von Ruedi Küng, Khartum

Musa Hilal habe in Mistariha sein Hauptquartier aufgeschlagen, rund 150 Kilometer westlich von al-Fascher, dem Hauptort der Provinz Nord-Darfur. Das schreibt die gut informierte Zeitschrift «Africa Confidential». Mohamed Baraka, Parlamentsabgeordneter aus Darfur, bestätigt dies in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Die Reise wird also per Flugzeug ins 800 Kilometer entfernte al-Fascher führen, dann weiter auf der Strasse nach Kebchabija, und schliesslich folgen noch 35 Kilometer Piste.

Musa Hilal sei der Anführer der arabischen Dschandschawid-Milizen, die in Darfur, in Sudans Westen, all die Gräueltaten verübt haben und noch immer verüben, heisst es. Ungezählte Aussagen von Opfern zeichnen das gleiche, schreckliche Bild der Dschandschawid, die zu Pferd und mit Gewehren bewaffnet Dörfer überfallen, die Hütten niederbrennen, Habe und Vieh stehlen, Männer töten und auch Frauen und Kinder; die massenhaft Frauen vergewaltigen, auch jetzt noch, wenn diese die Lager verlassen, um Wasser oder Brennholz zu holen. Heute sind riesige Landstriche in Darfur, das so gross ist wie Frankreich, entvölkert, und hunderttausende, vor allem Frauen und Kinder, leben in Lagern bei grösseren Ortschaften.

Doch die Reise nach Mistariha zu Musa Hilal, der hinter all diesem Schrecken stehen soll, endet im klimatisierten Büro von Sumia al-Hadi Ahmed in Khartum. Journalisten benötigen im Sudan eine Reiseerlaubnis, wenn sie die Hauptstadt verlassen wollen, und erst recht, wenn es sie nach Darfur drängt. Ahmed, die für die Beschaffung solcher Dokumente zuständig ist, bedauert jeden Tag neu, dass sie unser Dokument von der allmächtigen Staatssicherheit noch nicht erhalten habe.

In Khartum lässt sich immerhin etwas über Musa Hilal in Erfahrung bringen. Er sei Mitte dreissig, und ein Frauenheld, der keine Nacht ohne Frau verbringe. Er stamme vom Stamm Um Dschallul ab, schreibt «Africa Confidential». Er wird uns später sagen, dass er von seinem Vater, der vor 25 Jahren starb, den Titel des Scheichs der Mahrija-Gruppe (und nicht der Um Dschallul) im arabischen Volk der Reseigat geerbt hat. Von seiner Odyssee als Häftling nach Port Sudan ganz im Osten des Landes und weiter nach Wad Medani südlich von Khartum erzählt er nichts. Musa Hilal war im Februar 2003 vom damaligen Gouverneur von Nord-Darfur, Ibrahim Suleiman, unter der Anklage inhaftiert worden, er töte nichtarabische Leute. Doch er hat einflussreiche Stammesfreunde, darunter Abdullah Ali Safi ed-Din en-Nur, ehemaliger Major der Luftwaffe, ehemaliger Norddarfur-Gouverneur und heutiger Staatsminister im Verteidigungsministerium. Der liess Hilal aus dem Gefängnis holen und Gouverneur Suleiman, der ihn inhaftiert hatte, absetzen. Denn er und weitere Mächtige des Regimes hatten andere Pläne mit dem Gefangenen. Musa Hilal sei der eigentliche Verbindungsmann zwischen den Dschandschawid und der Regierung, sagt der Parlamentarier Mohammed Baraka. Er sei das Werkzeug der Regierung, um die Fur, die Zaghawas, die Massalit und andere eingeborene, das heisst nichtarabische Völker Darfurs, niederzuschlagen. Er habe das Kommando über die Dschandschawid, vor allem im Gebiet von Kebchabija.

Glückliche Umstände führen schliesslich zur Begegnung. In blendend weisser Dschalabija und ebensolchem Turban sitzt er uns gegenüber, in einem kleinen Büroraum in Khartum. Er behält sein Handy im Auge und wirkt nervös, doch vielleicht ist er bloss ungeduldig. Zu Journalisten hat er noch nie gesprochen. Seine Antworten fallen ausführlich aus, und die Übersetzung aus dem Arabischen ist umständlich. Musa Hilal setzt zu einer Verteidigungsrede an: Nicht sie, die Araber, seien die Angreifer, vielmehr seien sie von Banditen - Schmuggler und Hijacker nennt er sie auch - angegriffen worden, von Zaghawas zuerst, dann auch von Fur, Massalit und anderen nichtarabischen Gruppen. So hätten diese Kapital angehäuft, um Krieg gegen die Araber und die Regierung zu führen. Als im Frühling 2003 Rebellen al-Fascher und andere Städte besetzten, habe die Regierung die arabischen Milizen zu Hilfe gerufen und sie zu Einheiten der Armee gemacht, erklärt Musa Hilal in verblüffender Offenheit. Denn genau diese enge Verbindung und Zusammenarbeit mit den Dschandschawid bestreitet das Regime in Khartum hartnäckig. Sie seien gute Kämpfer, sie kennten das Gebiet, und sie wüssten besser als die regulären Soldaten, wie man mit diesen Leuten umgehen müsse, fährt Hilal fort. Er werde heute als Anführer der Dschandschawid angesehen. Von Gräueltaten seiner Leute, von Tötungen und Massenvergewaltigungen, will er nichts wissen; er sagt nur: «Vielleicht machen reguläre Soldaten solche Dinge.» In den Dörfern versteckten sich Rebellen mit ihren Waffen, deshalb brenne man sie nieder. «Es ist Krieg, da kann es geschehen, dass Frauen und Kinder getötet werden, aber nicht mit Absicht», ergänzt er. Und mit der gastfreundlichen Einladung, wieder zu kommen und ihn in Darfur zu besuchen, verabschiedet sich Musa Hilal, der Scherge des Regimes im Alltagskleid des friedlichen Sudanesen.

Aus: WOZ, 24. Juni 2004


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