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Sudan vor der Spaltung

Von Norman Paech

Im Sudan dreht sich jedes Gespräch um den 9. Januar 2011. An diesem Tag soll sich entscheiden, ob das größte Land Afrikas in seiner bisherigen Gestalt fortexistiert oder sich in zwei Staaten spaltet. Das Referendum, zu dem die Bevölkerung des Südens aufgerufen ist, wurde 2005 in einem Friedensvertrag vereinbart, der den längsten, 21 Jahre dauernden Bürgerkrieg Afrikas beendete. In ihm gab es über zwei Mio. Tote und mehr als vier Mio. Flüchtlinge und Vertriebene – unbeachtet von der westlichen Presse und Politik. Dieser Krieg war in erster Linie kein Krieg der Muslime gegen Christen oder Araber gegen Schwarzafrikaner, wie es so oft vereinfacht wurde. Es ging vor allem um die Auseinandersetzung zwischen Zentrum und Peripherie, in der sich die alte koloniale Dominanz des Nordens und die Herrschaft Khartums in der Vernachlässigung der alten Sklavenreservoire fortsetzten.

Seit 2005 herrscht nun offiziell Frieden zwischen Norden und Süden. Er sollte genutzt werden, um die totale Rückständigkeit des Südens zu überwinden und den Zusammenhalt des Staates, die „Attraktivität der Einheit“ zu festigen. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Gesamtstaat wie in Südsudan vom April 2010 sollten dem dienen. Doch nicht einmal die Vertreter der im Norden siegreichen National Congress Party (NCP) und des Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) im Süden behaupten heute noch, es seien freie und faire Wahlen gewesen. Das Referendum über die Unabhängigkeit des Südens wurde im Dezember 2009 vom Gesamtparlament beschlossen – eine nicht nur für Afrika einmalige demokratische Regelung eines Sezessionprozesses. In Afrika ist das ein besonders gefährliches Unternehmen, denn es kann unzählige Separationsbewegungen in dem von den Kolonialmächten willkürlich zusammengeschnittenen Kontinent entfachen.

Über den Ausgang des Referendums gibt es keinen Zweifel. Weder im Norden, wo die Politiker der NCP wenigstens dem Gast gegenüber noch an der Einheit des Sudan festhalten, noch im Süden, wo niemand mehr dem ungeteilten Sudan noch eine Chance gibt. Derzeit läuft die Registrierung der etwa sechs Mio. Wahlberechtigten, von denen ca. 500 000 im Norden und 500 000 in der Diaspora leben. Um einen neuen Staat bilden zu können, müssen 51 % für die Unabhängigkeit stimmen bei einer Wahlbeteiligung von mindestens 60 %. Doch unsicher ist immer noch, ob der 9. Januar als Termin eingehalten werden kann. Zwei Faktoren schüren diese Unsicherheit: die zukünftige Grenze zwischen Nord und Süd ist in etlichen Regionen umstritten und die Furcht vor dem erneuten Ausbruch der Gewalt treibt schon jetzt Tausende zur Flucht aus den Grenzgebieten.

Denn Gewalt und Waffen sind überall. Erst kürzlich flohen in der westlichen Provinz Bahr el Ghazal, die im Norden an Darfur grenzt, mehrere tausend Menschen aus der Grenzregion vor den Luftangriffen der Sudan Armed Forces (SAF) Khartums. Die Flucht hält an aus Furcht vor weiteren Angriffen. Dem Norden wird vorgeworfen, Truppen in den strittigen Grenzregionen zusammenzuziehen. Der Norden bestreitet das zwar und die im Süden stationierten UNO-Truppen können das auch nicht bestätigen. Gleichzeitig wird aus der östlichen Provinz Yonglei ein Zusammenstoß der Sudan People’s Liberation Army (SPLA) mit bewaffneten Jugendgruppen mit mehreren Toten und Verletzten gemeldet. Zumeist handelt es sich um allgemeine Kriminalität, gegen die Polizei und Militär aber machtlos ist, weil zu viele Kleinwaffen im Besitz dieser Banden sind.

Ernster sind allerdings die gewaltsamen Konflikte, die es auch in Darfur zu Beginn des jahrelangen Krieges gab: die Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Ackerbauern. Keine 10 Kilometer nördlich von Juba, der Hauptstadt von Südsudan, sind die Mundari wieder in das Territorium der Bari eingefallen, haben Ansiedlungen zerstört, die Familien vertrieben, Vieh gestohlen und sich schließlich an einigen Orten niedergelassen. 30 Menschen sind dabei getötet worden. Seit Generationen war es den Nomaden im Norden erlaubt, ihr Vieh auf die Weidegründe der ackerbauenden Bari zu treiben. Doch in den letzten Jahren hatte die Dürre zugenommen und die Lebensbedingungen der Viehzüchter hatten sich somit verschlechtert. Sie bewaffneten sich und vertrieben ihre ehemaligen Wirte, die nicht nur dieselbe Sprache sprechen, sondern im 19. Jahrhundert das gleiche Sklavenschicksal mit ihnen teilten. Bis zu 15 000 Bari, Dinka und Mundari wurden jährlich vom weißen Nil nach Europa verkauft, eine Vielzahl wurde bei diesen Sklavenjagden ermordet.

An einem Sonntag im November treffen sich nun die Repräsentanten der einzelnen Dörfer – ca. 60 Männer und drei Frauen - in einem wellblechgedeckten Rohbau, um über ihr Vorgehen gegen die Mundari zu beraten.

Rechtsanwalt Peter Abdelrahman Sule, Vorsitzender der oppositionellen United Democratic Front (UDF), erklärt, was in diesen vier Stunden hochstrittiger aber dennoch vollkommen ruhig ablaufender Debatte verhandelt wird. Es geht um die Frage, ob die Bari in die zerstörten Orte zurückkehren und die Mundari vertreiben sollen, obwohl diese bewaffnet sind. Die Teilnehmer der Versammlung sind davon überzeugt, dass diese Waffen von der Regierung stammen. Sodann muss man die vertriebenen und verarmten Familien schnellstens mit den dringend benötigten Lebensmitteln, Zelten, Plastikplanen und Medikamenten versorgen. Abdelrahman Sule plädiert für die Rückkehr zu den alten Siedlungen, um nicht den Anspruch auf das Land aufzugeben – ohne Rücksicht auf den zu erwartenden gewaltsamen Widerstand. Die in Juba lebenden Bari sollen bei den zahlreichen humanitären Organisationen um Schutz für die Aktion nachsuchen und die notwendigen Lebensmittel beschaffen. So wird es schließlich einstimmig beschlossen. Schon 2007, als die Mundari erstmals über 10 000 Rinder von den Höfen der Bari stahlen, hatte Abdelrahman Sule den Präsidenten Salva Kiir aufgesucht und um Hilfe gebeten, doch nichts erreicht. Auch jetzt hat er von dem Gouverneur von Zentral Equatoria Clement Wani Konga nichts zu erwarten, dieser ist Mundari. Es gehört wenig Vorstellungskraft dazu, den Ausgang dieses Streits vorherzusagen.

Derartige Auseinandersetzungen gibt es zahlreiche im Süden des Sudans. Wenn die Konflikte jedoch in den umstrittenen Regionen der zukünftigen Nord-Süd-Grenze stattfinden, können sie für den 9. Januar gefährlich werden. Das Gebiet um Abyei, welches erst 1905 durch die englische Kolonialmacht dem Bundesstaat Süd-Kordofan und damit dem Norden zugeteilt wurde, hat eine explosive Mischung aller Konflikte, die das Referendum noch torpedieren können. Es ist ölreich und schon deswegen umstritten. Es ist das Siedlungsgebiet der Ngok-Dinka, die ethnisch und kulturell zum Süden gehören. Gleichzeitig wird es aber auch von den arabischen Misseriya mit ihren Vieherden durchzogen. Sie fühlen sich dem Norden zugehörig und wurden schon in der Vergangenheit von Khartum gegen die Dinka aufgerüstet. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat zwar 2009 den Grenzverlauf bestimmt, der von beiden Parteien akzeptiert worden ist. Nun jedoch ist strittig, ob die Misseriya sich für das Referendum über den zukünftigen Status von Abyei registrieren lassen dürfen. Sie befürchten, dass sie mit einem Votum der Dinka für den Süden von ihren Weidegründen abgeschnitten werden. Die NCP besteht auf dem Wahlrecht der Misseriya und verlangt, dass der Streit um Abyei noch vor dem 9. Januar gelöst wird. Eine Verschiebung ist für die SPLM jedoch undenkbar.

Jeder im Süden erinnert sich noch an die schweren Kämpfe im Mai 2008, in denen Abyei vollkommen zerstört wurde und über 50 000 Menschen fliehen mussten. Leben diese Kämpfe wieder auf, könnte die gesamte lange und unübersichtliche Grenze in Flammen aufgehen. Die Forderungen von Kiir, dass die UNO-Truppen der UNMIS eine 16 km Pufferzone entlang der Grenze einrichte, ist vom Kommandeur Alain Le Roy abgelehnt worden. Man werde zwar an einige ‚hot spots‘ und vor allem nach Abyei Truppen verlegen, aber mit den 10 000 Soldaten sei man zu einer solchen Aktion nicht in der Lage. Auch die 36 deutschen Militärbeobachter blicken mit gedämpftem Optimismus auf die kommenden Wochen und Monate. So beruhigend die Anwesenheit der UNMIS in manchen Regionen gewirkt haben mag, einen erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs kann auch sie nicht verhindern.

Und Darfur? Das einstige Zentrum des Weltinteresses ist in den Hintergrund getreten. Gerade hat die Regierung in Khartum drei neue Öl-Lizenzen in Nord-Darfur vergeben, ohne die Firmen zu nennen. Von General Martin Luther Aqwai, dem Kommandanten der UN-Afrikanischen Mission UNAMID, lesen wir bei unserem Abflug nach El Fascher, dass sich die Situation in den letzten drei Jahren dramatisch verbessert habe. Man könne nicht mehr von einem Krieg in Darfur sprechen, es sei jetzt das Banditentum, welches die Sicherheitsprobleme bereite. Die Leute versuchten, ihre Land- und Wasserprobleme auf örtlicher Ebene zu lösen, die wirklichen Aufgaben seien jetzt politische.

In El Fascher sind die UN-Mitarbeiter nicht ganz so optimistisch, aber auch sie sagen, die Kernprobleme sind Wasser, Land und Agrarwirtschaft. Sie blicken nach Doha, wo Friedensverhandlungen laufen. Ihr Erfolg soll nur noch davon abhängen, ob die 1994 vorgenommene Aufteilung Darfurs in drei Staaten wieder rückgängig gemacht wird, wie es die Rebellengruppen fordern. Die drei deutschen Soldaten machen sich derweil nützlich. Major Alexander Maul berät General Aqwai und die beiden anderen kümmern sich um den reibungslosen Transport der afrikanischen Soldaten in ihre Heimatländer.

In Washington ist der Sudan täglich auf der Tagesordnung des Weißen Hauses. Die Politik der USA zielte schon immer auf die Abtrennung des Südens, wohl weniger wegen des Öls als wegen der Chinesen im Land und der strategischen Lage des Sudan. Und die Deutschen schwimmen unauffällig im Kielwasser mit. Sollte das Referendum planmäßig und friedlich verlaufen, so könnten alle auf jeden Fall von den Sudanesen lernen, wie man auf demokratischem Weg einen neuen Staat schafft.


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