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Washington macht Druck auf Khartum und Juba

Steht Sudan vor der Spaltung? Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates zu Referendum im Süden / Die USA haben in Sudan eine klare Interessenlage, aber keine klare Strategie

Von Martin Ling und Jim Lobe, Washington (IPS) *

Sudan macht weiter Sorgen. Im Süden soll im Januar 2011 ein Referendum über die Unabhängigkeit stattfinden. Alles spricht derzeit für ein Votum pro Sezession. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hat zu einer hochrangigen Konferenz nach New York eingeladen, um einer Eskalation entgegenzuwirken.

Die Auseinandersetzungen zwischen dem christlich-animistisch geprägten Südsudan und dem arabisch-islamischen Norden reichen bis vor die Unabhängigkeit zurück. Zwei Mal, von 1955 bis 1972 und von 1983 bis 2005, gab es einen offenen, blutigen Bürgerkrieg. Allein der zweite kostete zwei Millionen Menschen das Leben und bescherte dem Land die meisten Binnenflüchtlinge weltweit, wobei sich unter den 6 Millionen auch 2,5 Millionen Flüchtlinge aus Darfur befinden, dem zweiten seit 2003 andauernden großen Binnenkonflikt.

Südsudan konnte immer auf die Unterstützung der USA zählen, zu einem Sieg im Krieg reichte das freilich nicht. Der Friedensschluss 2005 war weniger dem Harmoniewillen der direkten Kriegsparteien geschuldet als vielmehr einem massiven internationalen Druck insbesondere seitens der USA. Die Basis des brüchigen Friedens ist das Umfassende Friedensabkommen (CPA), das in Kenia unter internationaler Vermittlung geschlossen wurde. Das CPA basiert auf drei zentralen Elementen. Das erste besteht in einer Regierung der Nationalen Einheit zwischen der Nationalkongresspartei (NCP), der Partei des seit 1989 in Khartum amtierenden Omar al-Baschir, und der Partei des einstigen Kriegsgegners, der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM). Das zweite Element sind die Präsidentschafts-, Parlaments- und Gouverneurswahlen, die für 2009 geplant waren und Mitte April 2010 stattgefunden haben – allerdings unter Boykott vieler Oppositionsparteien. Selbst die in der Regierung sitzende SPLM boykottierte die Präsidentschaftswahl und beschränkte ihre Teilnahme auf ihr gewogene Landesteile. Ein kompletter Boykott wurde dem Vernehmen nach verworfen, weil Baschir damit gedroht haben soll, in diesem Fall das für 2011 anvisierte Referendum über die Zukunft Südsudans platzen zu lassen. Dieser dritte Baustein aber war es, der die SPLM überhaupt erst zum Friedensschluss bewog.

Washington befürchtet, dass sich nach der Volksabstimmung, wie immer sie auch ausgeht, die ohnehin instabile Sicherheitslage verschlechtern könnte, falls eine Seite das Ergebnis nicht akzeptiert. Mit seiner angekündigten Teilnahme an einer Sudankonferenz, zu der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon für den 24. September nach New York eingeladen hat, unterstreicht USA-Präsident Barack Obama, wie sehr seiner Regierung an stabilen Verhältnissen in Sudan vor und nach dem Referendum gelegen ist. Erst vor ein paar Tagen warnte seine Außenministerin Hillary Clinton, die mit einer Abtrennung Südsudans rechnet, vor einer »tickenden Zeitbombe mit enormen Konsequenzen«. In einer außenpolitischen Erklärung sagte Clinton: »Wenn das Unvermeidliche geschieht und der Süden nach dem Referendum seine Unabhängigkeit erklärt, gibt es Probleme, denn es dürfte dem Norden schwer fallen, diese Entscheidung zu akzeptieren.« Falls Südsudan unabhängig wird, büßt der Norden nicht nur gut 30 Prozent seines Territoriums ein. Khartum, dessen Staatshaushalt zunehmend von Öleinnahmen abhängig ist, könnte zudem 80 Prozent seiner Erdölvorkommen und 50 Prozent der daraus erzielten Einkünfte verlieren.

Auch Exgeneral Scott Gration, Obamas Sudan-Sondergesandter, der seit Anfang Januar 2009 schon 20 Mal in Sudan unterwegs war, spricht von einer brisanten Lage. »In den nächsten Wochen steht das Land auf der Kippe, dann heißt es ›Alles oder Nichts‹. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Parteien vor dem Referendum die noch ausstehenden Probleme einvernehmlich lösen.« Dazu gehören die endgültige Festlegung des Grenzverlaufs zwischen Nord- und Südsudan, der Anteil des Nordens an den überwiegend im Süden vorhandenen großen Erdölvorkommen sowie die Verteilung künftiger Erdöleinnahmen auf zwei sudanesische Staaten.

Zudem hat im Süden mit seiner desolaten Infrastruktur die Registrierung der Wahlberechtigten noch nicht einmal begonnen. Im August betraute die USA-Regierung den erfahrenen Diplomaten Princeton Lyman, einen Afrika-Experten aus der Zeit der Bush-Regierung, mit der Leitung einer US-amerikanischen Verhandlungsdelegation, die in Sudan in den kommenden Wochen alle noch ausstehenden Probleme lösen soll. Lyman wird jetzt viel Zeit in Khartum und Juba, der Hauptstadt Südsudans, verbringen. In Juba wird Botschafter Barrie Walkley, ein ebenfalls altgedienter Diplomat, Lyman bei seinem schwierigen Job unterstützen.

»Wir müssen Sudan vom Wert eines friedlichen Miteinanders überzeugen und einem unabhängigen Süden klarmachen, dass er sich mit dem Norden arrangieren muss. Andernfalls riskiert er, dass der Krieg noch jahrelang andauert und damit alle Chancen für den Aufbau eines neuen Staates verloren gehen«, betonte Clinton. Ihr Außenministerium veröffentlichte ein Dokument, in dem es seine jüngsten diplomatischen Bemühungen in Sachen Sudan detailliert auflistet. Darin wird zudem erstmals aufgeführt, welche Schritte man von Khartum erwartet, damit sich seine lange angespannten Beziehungen zu Washington normalisieren. Falls die Bedingungen des Friedensvertrags zwischen Khartum und der SPLM eingehalten werden und Khartum für ein Ende des Konflikt mit den Rebellengruppen in Darfur sorgt, will die US-Regierung in Zusammenarbeit mit dem Parlament daran arbeiten, dass sämtliche vom Kongress beschlossenen bilateralen und multilateralen Wirtschafts- und Entwicklungshilfesanktionen gegenüber Sudan aufgehoben werden.

Zugleich lässt das im Auftrag von Sonderbotschafter Gration erarbeitete Papier keinen Zweifel daran, dass Sudan, sprich Khartum und Baschir, mit Konsequenzen, auch mit weiteren Sanktionen zu rechnen hat, falls sich die Lage dort verschlimmert oder keine Fortschritte zu erkennen sind. 2009 starben in Südsudan bei neu entflammten Kämpfen 2500 Menschen – mehr als in Darfur.

Das Pulverfass Sudan zu entschärfen, bedarf es einer alle Regionen und Konfliktparteien umfassenden Lösung einschließlich der bisher marginalisierten Zivilgesellschaft. Die Sitzung des UNO-Sicherheitsrats könnte einen Fingerzeig geben, wohin die Reise geht.

Chronik - Streit zwischen Nord und Süd

  • 18. 8. 1955 Beginn des ersten Krieges Südsudans gegen die Dominanz des arabisch-islamischen Nordens
  • 1. 1. 1956 Unabhängigkeit der Republik Sudan
  • 27. 3. 1972 Abkommen zur Beendigung des Krieges in Südsudan
  • 5. 6. 1983 Beginn des zweiten Krieges in Südsudan durch Sudan Peoples Liberation Movement/Army (SPLM/A)
  • 30. 6. 1989 Machtübernahme durch General Omar Al-Baschir
  • 18. 8. 1993 Sudan auf der US-Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten
  • 4. 11. 1997 Wirtschaftsembargo der USA gegen Sudan
  • 20. 8. 1998 US-Raketenangriff auf Chemiefabrik bei Khartum
  • 20. 7. 2002 »Protokoll von Machakos« (Kenia): Abkommen zwischen Regierung und SPLM/A
  • 9. 1. 2005 »Comprehensive Peace Agreement« (CPA) zur Beendigung des Krieges in Südsudan
  • 24. 3. 2005 UN-Sicherheitsrat beschließt UN-Mission in Sudan (UNMIS); UN-Waffenembargo gegen Regierung und andere Konfliktbeteiligte wegen Darfur
  • 9. 7. 2005 Übergangsverfassung; Vereidigung Garangs als Vizepräsident; Beginn einer sechsjährigen Übergangsperiode
  • 4.3.2009 Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Baschir
  • 11.-15.4.2010 Präsidentenwahlen: Baschir wird mit offiziell 68,2 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt; in Südsudan siegt der regionale Amtsinhaber Salva Kiir (SPLM) mit 93,0 Prozent. ND


* Aus: Neues Deutschland, 24. September 2010


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