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Kein Kampfeinsatz, sondern Blauhelme

Kommentare zur Sudan-Resolution des UN-Sicherheitsrats: Strutynski, Schumann. Zum Hintergrund: Kröpelin

Im Folgenden dokumentieren wir einen eigenen Kommentar sowie einen aktuellen Artikel, der sich ebenfalls mit der neuen UN-Resolution zur Lage in Darfur (Sudan) befasst. Zum Abschluss dann noch die Zusammenfassung eines hochinteressanten Interviews mit dem Sudan-Experten Stefan Kröpelin zu den Hintergründen des Darfur-Konflikts.



Nicht Krieg, sondern Vermittlung

Von Peter Strutynski

Ein Aufatmen ging durch den deutschen Blätterwald, als die Kunde von der einstimmig verabschiedeten Darfur-Resolution des UN-Sicherheitsrats kam. Endlich, so der Tenor der Berichterstattung, könne die Zivilbevölkerung wirksam geschützt werden, endlich könne dem monate-, ja jahrelangen "Völkermord" " in der sudanesischen Provinz Darfur ein Ende bereitet werden. Die Süddeutsche Zeitung titelte mit einer Lüge, wenn sie schrieb: "Blauhelme gegen Reitermiliz" (SZ, 02.08.07). Nein, das klassische Blauhelm-Konzept der Vereinten Nationen stellt keine Parteinahme für eine der an einem Gewaltkonflikt beteiligten Gruppierungen dar, sondern ist im Gegenteil auf strikte Neutralität verpflichtet. So werden in der Resolution 1769 (2007), die am 31. Juli 2007 in New York verabschiedet wurde, alle Parteien ("all the parties to the conflict") aufgefordert, den vereinbarten Waffenstillstand einzuhalten und mit der UN-Mission zu kooperiere (Ziffern 13 und 14). Die berühmt-berüchtigten arabischen Reitermilizen Janjaweed (oder: Dschandschawid) werden zwar in unseren Medien regelmäßig als die Hauptverantwortlichen für die Bürgerkriegsverbrechen im Sudan dargestellt, die mordend und vergewaltigend die schwarzafrikanische Bevölkerung drangsaliert und vertreibt und dabei von der sudanesischen Zentralregierung in Khartum gedeckt wird, sie sind aber nur ein Teil des Gewaltproblems im Sudan. Es gibt mehrere Rebellengruppen, die seit Jahren gegen die Regierung kämpfen, darunter die Sudan Liberation Army (SLA, Sudanesische Befreiungsarmee) und die Justice and Equality Movement (JEM, Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit), es gibt zahlreiche Warlords, die jeweils ethnische Gruppen vertreten und sich mit anderen Stämmen bewaffnete Kämpfe liefern und es gibt nicht zuletzt auch kriminelle Banden, welche die undurchsichtige Lage und das Klima der Rechtlosigkeit für ihre Zwecke zu nutzen wissen.

Die einseitige Schuldzuweisung an die Adresse der Janjaweed und der Regierung entspricht dem Muster westlicher Politik, die wir aus anderen Bürgerkriegsregionen kennen: Das funktioniert im Kongo genauso wie im Nahen Osten, in Somalia genauso wie in Algerien, und das hat auch in den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien ganz gut funktioniert. Im Fall Sudan dürfte es, wie kritische Beobachter durchaus bemerken, dem Westen weniger um die humanitäre Situation der dort lebenden Bevölkerung gehen, sondern eher um die Zurückdrängung des Einflusses Chinas, das sich durch kluge Diplomatie und intensive Wirtschaftskontakte weitgehende Rechte bei der Ausbeutung der im Sudan befindlichen Erdölvorkommen gesichert und entsprechende Handelsabkommen mit Khartum abgeschlossen hat. Die USA sind bemüht, den lange Zeit vernachlässigten Kontinent wegen der dort reichlich vorhandenen Rohstoffe ihrerseits unter Kontrolle zu bekommen, wozu neuerdings sogar ein eigenes Militärkommando "Africom" eingerichtet werden soll. Man darf daher gespannt sein, welche Länder Truppen für die UN-Mission stellen, die mit insgesamt 26.000 Personen außerordentlich groß sein soll (die größte Mission in der Geschichte der UNO).

Auch der Untertitel des Aufmachers in der Süddeutschen Zeitung vom 2. August ist verräterisch. Es heißt dort: "UN-Friedenssoldaten dürfen im Sudan Gewalt anwenden". Das klingt so, als sei es ein zivilisatorischer Fortschritt, Gewalt anwenden zu dürfen. Das Mandat des UN-Sicherheitsrats soll aber in Wirklichkeit Gewalt verhindern: durch bloße Präsenz, durch Beobachtung, durch Begleitschutz bei Flüchtlingskonvois oder bei Hilfslieferungen und durch Überwachung des Waffenstillstands. Das robuste Mandat, das sich die Scharfmacher im Westen gewünscht haben, bleibt ein Blauhelmmandat, dem auch die sudanesische Regierung zugestimmt hat. Ohne deren Einwilligung darf es demnach keine militärischen Aktionen, schon gar keine Angriffshandlungen geben. Die UN-Truppen sollen vielmehr den Verhandlungsprozess zwischen Regierung und den Konfliktparteien absichern. In Ziffer 18 der Resolution heißt es dazu, der Sicherheitsrat "welcomes the commitment expressed by the Government of Sudan and some other parties to the conflict to enter into talks and the political process ...".

Den Leitartiklern der großen Medien hier zu Lande scheint das nicht ausreichend zu sein. Für sie ist das Problem nur zu lösen, wenn der Kampf gegen die Janjaweed aufgenommen wird. Der Leitartikel der Süddeutschen ("Das Drama Darfur" von Nicolas Richter) beginnt denn auch mit der sattsam bekannten Propaganda: "Seit vier Jahren ziehen Milizen brandschatzend durch Darfur... Sie haben 250 000 Menschen getötet und Millionen vertrieben." Die "Milizen" sind natürlich die Reitermilizen von Janjaweed und die horrenden Zahlen der Toten werden ungeprüft von Nachrichtenagentur zu Nachrichtenagentur gereicht, damit den Lesern der Schreck in die Glieder fährt. Die durch chinesische Einsprüche verwässerte Resolution lässt einen robusten Kampf nicht zu, wird bedauernd festgestellt. "Ein hehres Ziel der Vereinten Nationen", so heißt es am Ende des Leitartikels, " ist in Darfur schon gestorben: Die resonsibility to protect, oder Verantwortung zu schützen, die 2005 bei Weltgipfel in New York feierlich ausgerufen wurde. Sie besagt, dass die UN notfalls auch gegen den Willen einer Regierung deren Bürger vor Übergriffen schützen können. Blauhelm-Missionen sind zu solchen Eingriffen jedoch nicht in der Lage ..."

Bei nüchterner Betrachtung indes wird man feststellen müssen, dass der UN-Sicherheitsrat gut beraten war, den Einflüsterungen der Westmächte, die eine härtere Gangart vorgeschlagen hatten (einschließlich Sanktionsdrohungen gegen Sudan), nicht zu folgen. Er hat sich stattdessen an das Neutralitätsgebot und das Prinzip der Staatensouveränität der UN-Charta gehalten. Alles andere wäre ein Verstoß gegen das geltende Völkerrecht, und davon hat es in der jüngsten Geschichte der UN-mandatierten Militärmissionen schon zu viele gegeben (Beispiel Afghanistan, Beispiel Haiti, Beispiel Kongo, Beispiel Libanon).


Primat Militär

Größte UN-Truppe aller Zeiten

Von Gerd Schumann


Politische Lösungen kommen in der unipolaren Weltordnung nur dann in Frage, wenn sie zugunsten der dominierenden Macht ausfallen. Derartiges war in Sachen Darfur nicht zu erwarten. Also setzte Washington in dem geostrategischen Schlüsselgebiet auf die militärische Variante, um den Zugriff auf das Kettenglied seiner Ölambitionen auf dem schwarzen Kontinent zu erreichen.

Mit der nun beschlossenen Resolution 1769 des UN-Sicherheitsrats erhält die militärische Variante zur Konfliktlösung Vorrang gegenüber allen Überlegungen für einen zivilen Weg aus Massenelend und Gewalt. Diesen zu beschreiten war bereits in den vergangenen Jahren unerwünscht. Ansonsten wäre den – zum Teil vom Westen ausgestatteten – darfurischen Rebellengruppen längst die Luft für ihre Überfälle ausgegangen. Indes mangelte es ihnen nie an ausreichend Killerwerkzeug, Energie und Unterstützung. Von Isolierung keine Spur – und auch nicht von anderen Konzepten, der Gewalt Herr zu werden. Armutsbekämpfung zum Beispiel. Diese könnten auch nur zur Anwendung kommen, wenn sie tatsächlich gewollt wären.

Der militärisch hochgerüstete Blauhelmeinsatz namens UNAMID umfaßt annähernd 26000 Soldaten und Polizisten, wäre einer von derzeit sechs in Afrika und zugleich der größte in der Geschichte der Vereinten Nationen. Er wird damit begründet, daß die bisher in Darfur mit UN-Mandat stationierten 7000 Soldaten der Afrikanischen Union (AU) erstens zu wenige, zweitens zu schlecht ausgestattet und drittens zu schlecht bezahlt seien. Das trifft in der Tat ebenso zu wie der Eindruck, daß bisher wenig westliches Interesse an einer innerafrikanischen Lösung der Darfur-Krise zu erkennen war. Zumindest präsentierten sich die reichen Interventionsinteressenten, voran Washington, gefolgt von den ehemaligen Kolonialisten in London und Paris, nicht gerade spendabel.

Für die UNAMID erwartet UN-Generalsekretär Ban Ki Moon das Gegenteil. Er stellte jüngst die Weichen für eine Reduzierung des AU-Einflusses auf die neue, nun beschlossene UN-«Hybridtruppe«. Ban Anfang Juli: »Wenn die afrikanischen Staaten nicht in der Lage sind, genug geeignete Soldaten zu entsenden, werden wir diese in anderen Staaten finden.« Kurz vor einem Besuch im Weißen Haus verkündete er, mit möglichen Truppenstellern werde bereits verhandelt. Und verhandelte. Militärfachleute, aber auch finanzielle und administrative Potenzen würden dringend benötigt.

Ob Khartum, das sich eine westliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes bisher verbat, eine UN-Truppe unter westlicher Führung akzeptieren wird, schien den obersten Diplomaten wenig zu interessieren. Ganz Stimme seines Herrn vertrat er von Beginn an eine von Washington angeführte NATO-Dominanz beim Militäreinsatz in Bushs »Schurkenstaat«. Wenn der Sudan nicht zustimmt, meinte nun auch der Sicherheitsrat, müßten weitere Sanktionen folgen. Kein Raum für politische Lösungen, lautet die Botschaft aus New York.

* Aus: junge Welt, 2. August 2007

Sudan-Experte zweifelt Opferzahlen in Darfur an

Kröpelin: Konflikt wird von den USA instrumentalisiert **

Der Geoarchäologe und Sudan-Experte Stefan Kröpelin von der Universität Köln hat die Angaben von 200.000 bis 400.000 Opfern im Darfur-Konflikt infrage gestellt. Obwohl er die Region sehr oft bereist habe und sehr viele Menschen von dort kenne, sei ihm bisher kein systematischer Beweis dafür bekannt geworden, sagte Kröpelin im Deutschlandradio Kultur.

Weder gebe es systematische Luftaufnahmen noch fotografische Belege oder Opferzählungen vor Ort. "Selbstverständlich kommt es in so einem Konflikt zu Tausenden, vielleicht Zehntausenden Toten. Aber das macht immer noch einen Unterschied, ob die immer wieder wiederholten 200.000 bis 400.000 Opfer zu beklagen sind oder ob es doch wesentlich weniger sind. … Ich gehe davon aus, dass man heutzutage nicht Hunderttausende Menschen ermorden kann ohne irgendwelche fotografischen oder anderen sicheren Beweise."

Seiner Meinung nach ist der Konflikt von den USA im Kampf mit dem Global Player China instrumentalisiert worden. In der afrikanischen Kolonialgeschichte sei es immer um Rohstoffe gegangen. Inzwischen sei es sicher, dass es im Süddarfur erhebliche Erdölreserven gebe. Absicht der USA sei es wohl, dass eine autonome Republik Darfur entstehe, von der man eher Verträge bekomme und von der aus man das Öl schnell zum Atlantik und in die USA transportieren könne. "Ich fürchte, dass wirtschaftlich und militärisch-strategische Interessen im Kampf westlicher Länder und vor allem der USA gegen China im Vordergrund stehen und nicht das Schicksal der Darfur-Bewohner."

Kröpelin kritisierte, für den Konflikt werde zu einseitig die sudanesische Regierung verantwortlich gemacht. Der Konflikt sei extrem unübersichtlich: "In Darfur gibt es über 80 Stämme, die in unzählige Clans zerfallen sind, die sich alle nicht besonders grün sind". In den vergangenen Jahren sei eine Unzahl von Kleinfeuerwaffen in das Gebiet gebracht worden. Wenn es heute Opfer gebe, könne keiner mehr genau sagen, ob die Regierungsseite, Rebellengruppen oder "ganz normalen Räuber" daran schuld seien.

Der Konflikt werde außerdem auf einen Kampf von Arabern gegen Afrikaner verkürzt, um ihn verständlich zu machen. Tatsächlich gehe es aber um einen Konflikt zwischen Tierzüchtern, zu denen vor allem Araber zählten, und Feldbauern, die sich eher Afrikaner nennen würden. Es sei ein seit Jahrtausenden angelegter Konflikt zwischen Sesshaften und Nomaden, der aufgrund einer Bevölkerungsexplosion in den vergangenen Jahrzehnten eskaliert sei. Die Bevölkerung habe sich seit Ende der fünfziger Jahre von einer auf sieben Millionen erhöht. "Das ist in einem Gebiet, das eine sehr begrenzte Tragfähigkeit hat, das Hauptproblem", sagte Kröpelin. Die "erbärmlichen Lebensbedingungen" habe es auch schon vor 20 Jahren gegeben und seien nicht erst durch den Konflikt entstanden.

Kröpelin warnte, die wahren Probleme stünden erst noch bevor, wenn die Flüchtlingslager aufgegeben würden. "Dann werden die Camp-Bewohner merken, dass in einem Großteil ihrer Siedlungsgebiete inzwischen andere Menschen leben. Dann ist die Frage, wo will man Millionen von Menschen neu ansiedeln."

Am unsinnigsten sei es, noch mehr Militär dorthin zu schicken. Das koste Milliarden und werde vor Ort kaum etwas bewirken. Stattdessen sollten Nichtregierungsorganisationen mit der Regierung und den lokalen Einrichtungen den zivilen Aufbau voranbringen.

** Kröpelin ist Leiter des Sudan-Forschungsprojektes an der Universität Köln.

Quelle: DeutschlandRadio Kultur, 10. Juli 2007;
www.dradio.de





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