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Millionen brauchen Hilfe

UN melden Verschlechterung der humanitären Situation im Sudan. Flucht vor Konflikten erschwert Lage

Von Simon Loidl *

Die Krisenmeldungen aus Ostafrika nehmen kein Ende. Nach Warnungen vor einer Hungerkatastrophe für den Südsudan melden die Vereinten Nationen (UN) nun, daß sich die humanitäre Situation auch im Sudan dramatisch verschlechtert. Etwa 6,9 Millionen Menschen oder 20 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes seien auf Unterstützung durch Hilfsorganisationen angewiesen, hieß es in einer Mitte der Woche veröffentlichten Lagebewertung, die der UN-Koordinator für humanitäre Angelegenheiten im Sudan, Ali Al-Za’tari, vorstellte. 2013 schätzte die UN die Zahl der Hilfsbedürftigen im Sudan noch auf etwa 6,1 Millionen. Neben der Verschlimmerung in der Region Darfur sei vor allem der Anstieg der Flüchtlinge aus dem Südsudan für die aktuelle Lage verantwortlich, so Al-Za’tari.

In Darfur sind dem Bericht zufolge zwischen Februar und April dieses Jahres etwa 300000 Menschen vor den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellengruppen und der sudanesischen Regierung geflohen. Aus Südsudan wiederum seien seit Dezember 2013 mehr als 85 000 Menschen über die Grenze gekommen. In dem Land, das vor drei Jahren seine Unabhängigkeit von Sudan erlangt hatte, tobt seit Ende des vergangenen Jahres ein Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und dessen früheren Vize Riek Machar. Anfang Juli hatten britische Hilfsorganisationen davor gewarnt, daß es aufgrund der schlechten Versorgung wegen der andauernden Kämpfe zu einer Katastrophe kommen könnte. Bis zu vier Millionen Menschen im Südsudan könnten bereits in den kommenden Wochen von einer akuten Hungersnot bedroht sein.

Angesichts der bürgerkriegsartigen Situation in Südsudan ist dessen nördlicher Nachbar zuletzt etwas aus den internationalen Schlagzeilen geraten. Dabei sind die Entwicklungen in den beiden Ländern trotz der Sezession vor drei Jahren eng miteinander verbunden. Neben den zahlreichen ungelösten Konflikten in und zwischen beiden Staaten ist vor allem die schlechte ökonomische Lage für die Verschärfung der humanitären Situation verantwortlich. Mit der Unabhängigkeit des Südsudan verlor der Sudan einen großen Teil seiner Öleinnahmen, über die Höhe der Abgeltung für den Transport des im Südsudan geförderten Rohstoffes wird immer wieder neu verhandelt. Zuletzt wurde Ende Juni ein weiteres Abkommen zwischen Khartum und dem Konzern Petrodar unterschrieben, das zu höheren Transporteinnahmen für den Sudan führt. Allerdings ist die Ölförderung nach wie vor durch die Kämpfe im südlichen Nachbarland beeinträchtigt. Der Verkauf des Rohstoffs ist für beide Länder von elementarer volkswirtschaftlicher und in weiterer Folge politischer Bedeutung. Nach einem vorübergehenden Förderungsstopp im Jahr nach der Unabhängigkeit des Südsudan kam es in Sudan aufgrund einer Erhöhung der Treibstoffpreise zu wochenlangen Protesten, die von den Behörden blutig niedergeschlagen wurden.

Außer in Darfur kommt es auch in den südlichen Regionen Blue Nile und South Kordofan nach wie vor zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Ein Brennpunkt ist die Region Abyei, wo der Grenzverlauf zwischen Sudan und Südsudan nach wie vor ungeklärt ist. Am Donnerstag berichtete die Onlinezeitung Sudan Tribune von einem Überfall auf ein Camp von Bewohnern der Region. Demzufolge hätten Misseriya-Nomaden zusammen mit Kämpfern des »South Sudan United Movement« versucht, eine Rinderherde zu stehlen. Dabei sei es zu einem Kampf gekommen, bei dem mehrere Menschen getötet worden seien. Die genauen Umstände derartiger Vorfälle sind aufgrund mangelhafter Information schwer nachzuvollziehen. Seit der Abspaltung des Südsudan haben sich die Auseinandersetzungen um lokale Ressourcen in der Grenzregion allerdings verschärft. Durch die Kämpfe im Südsudan ist es etwa den Misseriya derzeit kaum möglich, ihre traditionellen Weidegebiete weiter südlich aufzusuchen, was zu häufigen Auseinandersetzungen um die wenigen Wasserstellen und Weideflächen führt.

Die vielfältigen und einander überlagernden Konfliktfelder sind Hintergrund der Krise in den beiden Ländern. Vor allem in den vielen überfüllten Flüchtlingslagern verschärft sich die Situation akut. Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen sind unzureichend, was die Gefahr von Seuchen mit sich bringe, warnen die UN.

* Aus: junge Welt, Samstag, 19. Juli 2014


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