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Abschied vom Vater der Nation

Bewegende Trauerfeier für Nelson Mandela

Von Martin Ling und Armin Osmanovic, Johannesburg *

Exakt 20 Jahre, nachdem Nelson Mandela zusammen mit Frederik Willem de Klerk den Friedensnobelpreis in Oslo entgegengenommen hatte, fand in Johannesburg die Trauerfeier für Mandela statt.

Die Meteorologen haben sicher eine plausible Erklärung. Erklärungsbedürftig ist es zumindest, dass der Himmel über Johannesburg seit dem Tod Nelson Mandelas am vergangen Donnerstag bewölkt ist. Fast unablässig regnet es – völlig untypisch für die Jahreszeit. Nach afrikanischer Tradition ist dies ein Zeichen dafür, dass ein verehrter Stammesältester gestorben ist und seine Vorfahren ihn im nächsten Leben begrüßen. Ein Zeichen, das Trost spendet.

Der strömende Regen in Johannesburg hielt jedoch niemanden von der Anteilnahme ab. Während sich die Straßen in Bäche verwandelten, verfolgten am Mittwoch Menschen überall in der Stadt auf Großbildleinwänden die Trauerfeier. Und viele tausend Südafrikaner hatten sich schon in den frühen Morgenstunden nach Soccer City im Township Soweto aufgemacht, um sich für einen Platz im WM-Stadion von 2010 anzustellen. Dort hatte Nelson Mandela vor dem Finale der Fußball-WM seinen letzten öffentlichen Auftritt – mit 92 Jahren, dick in Jacken und Decken eingepackt im südafrikanischen Winter. Auch wenn das über 90 000 Menschen fassende Stadion wegen der widrigen Umstände nicht komplett gefüllt war – Zehntausende waren gekommen, um Mandela die letzte Ehre zu erweisen. Auf den Rängen zeigte sich ein Meer von Schirmen.

Regen passt zur Regenbogennation, als deren Vater Nelson Mandela unangefochten gilt. Schon im Rivonia-Prozess 1963-64, in dem er und seine Mitangeklagten zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, hatte er seine Gesellschaftsvorstellung benannt: »Mein teuerstes Ideal ist eine freie und demokratische Gesellschaft, in der alle in Harmonie mit gleichen Chancen leben können.« Auf dieses Ideal nahmen alle Redner der Trauerfeier Bezug, ob sein Zellennachbar auf Robben Island, Andrew Mlangeni, ob der bei der Begrüßung ausgebuhte südafrikanische Staatspräsident Jacob Zuma, dessen Rede später überwiegend mit Beifall bedacht wurde, ob der allseits gefeierte USA-Präsident Barack Obama oder Kubas Staatschef Raúl Castro, der seine Akzente auf die Gleichheit und den Befreiungskampf setzte. Castro und Obama begrüßten einander im Stadion durchaus freundlich – von einem »historischen Handschlag« war die Rede.

Die Zuschauer gaben sich nicht mit einer passiven Rolle zufrieden, sondern priesen Mandela immer wieder in lautstarken Gesängen. Teilweise so lautstark, dass der durch die Feier führende ANC-Vizepräsident Cyril Ramaphosa das Publikum mit Verweis auf Mandelas Vorbild zur Disziplin aufrief – mit beschränktem Erfolg. Viele verließen nach der Rede Obamas, die sie offenbar als Höhepunkt einschätzten, das Stadion – noch bevor Zuma sich ans Redepult begab, um den Reigen der redenden Staats- und Regierungschefs zu beschließen. Das tat er mit durchaus inhaltsschweren Worten, wenn auch vom Blatt abgelesen und weit weniger empathisch als Obama. »Es gibt niemanden wie Madiba. Er war schlicht einzigartig«, sagte Zuma. Mandela hinterlasse eine Nation, die ihn liebe. Einen Kontinent, der stolz ist, ihn Afrikaner nennen zu dürfen.

Mandelas Enkel Mbuso fand bewegende, persönliche Worte: »Er war unser Licht, er hat uns geleitet.« Ein Südafrikaner, der diese Rolle übernehmen könnte, ist nicht in Sicht. Eine ernüchternde Erkenntnis, die am Dienstag vielen Südafrikanern wieder bewusst wurde.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 11. Dezember 2013


Abschied von Mandela

Zu Ehren von Südafrikas Freiheitshelden: Zehntausende Menschen und rund 100 Staatschefs in Johannesburg. Raúl Castro erinnert an gemeinsamen Kampf

Von André Scheer **


Südafrikas frühere Vizepräsidentin Baleka Mbete war sichtlich bewegt, als sie am Dienstag auf der Bühne der großen Gedenkveranstaltung für Nelson Mandela den Gast »von einer kleinen Insel« ansagte, »deren Volk für unsere Befreiung gekämpft hat«. Der so angekündigte Redner, Kubas Präsident Raúl Castro, erinnerte an den gemeinsamen Einsatz gegen das südafrikanische Rassistenregime. Der am vergangenen Donnerstag verstorbene Nelson Mandela selbst habe am 26. Juli 1991 bei seinem Besuch in Havanna erklärt, daß Kuba immer einen besonderen Platz im Herzen des südafrikanischen Volkes einnehmen werde. Sowohl Castro als auch Mbete erinnerten an die Schlacht von Cuito Cuanavale im Südosten Angolas. Damals hatten einheimische und kubanische Truppen gemeinsam mit Kämpfern der Befreiungsbewegungen ANC aus Südafrika und SWAPO aus Namibia den eingedrungenen Truppen Pretorias eine vernichtende Niederlage bereitet. Dieser Sieg öffnete den Weg zum Ende der Apartheid und zur Befreiung Mandelas.

US-Präsident Barack Obama, der als erster ausländischer Staatsgast nach UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zu Wort kam, vermied konkrete Bezüge zum Widerstand des südafrikanischen Volkes, obwohl er bereits zu Beginn seiner Rede über Mandela behauptet hatte: »Sein Kampf war unser Kampf, sein Sieg war unser Sieg.« Statt dessen stellte er den Freiheitshelden in eine Reihe mit den »Gründervätern« der USA und mit Abraham Lincoln, während er sich zugleich von – namentlich nicht genannten – »zu vielen von uns« distanzierte, »die glücklich Madibas Erbe der Versöhnung umarmen, sich aber leidenschaftlich auch gegen bescheidenste Reformen wehren, die sich gegen chronische Armut und zunehmende Ungleichheit richten«. Zu viele Führungspersönlichkeiten der Welt verkündeten ihre Solidarität mit Mandelas Freiheitskampf, »aber dulden keinen Dissens in ihrem eigenen Volk«. Eine Freilassung politischer Gefangener in den USA wie Mumia Abu-Jamal, der vier noch inhaftierten Kubaner oder Leonard Peltiers kündigte er jedoch ebensowenig an wie ein Ende der Verfolgung von Edward Snowden oder die Einstellung der Überwachungsmaßnahmen seiner Geheimdienste.

Zehntausende Menschen waren in das 90000 Zuschauer fassende Fußballstadion von Johannesburg gekommen, um Abschied von Mandela zu nehmen. Stundenlang harrten sie in strömendem Regen aus, feierten den Verstorbenen mit Musik und Sprechchören und ließen sich von den Moderatoren – neben Mbete ANC-Vizepräsident Cyril Ramaphosa – nur widerwillig dazu bewegen, die Redner zu Wort kommen zu lassen. Mit offiziell an die 100 Staatsgästen gehörte die Trauerfeier zu einem der größten informellen Gipfeltreffen der politischen Geschichte und bot unter anderem Gelegenheit für einen kurzen Händedruck und Wortwechsel zwischen Obama und Castro. Zu den Anwesenden in Johannesburg gehörten Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff – die den Kampf Mandelas und des südafrikanischen Volkes als »ein Beispiel für alle Völker, die für Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit kämpfen« würdigte – Chinas Vizepräsident Li Yuanchao, Palästinas Staatsoberhaupt Mahmud Abbas und Bundespräsident Joachim Gauck.

Der Leichnam Nelson Mandelas wird am kommenden Sonntag in dem Dorf Qunu, in dem er als Kind aufwuchs, beigesetzt.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. Dezember 2013


»Ehre und ewiger Ruhm«

Rede des kubanischen Präsidenten Raúl Castro Ruz bei der Trauerfeier für Nelson Mandela am Dienstag in Johannesburg:

Präsident Jacob Zuma, Familie Nelson Mandelas, Hoheiten und Würdenträger, Brudervolk Südafrikas! Wir gedenken gerührt Nelson Mandelas, dem ultimativen Symbol der Würde, der unnachgiebigen Selbstaufopferung im revolutionären Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit, Propheten der Einheit, der Versöhnung und des Friedens.

Gemeinsam mit seinen Kampfgenossen führte Mandela sein Volk in die Schlacht gegen die Apartheid, um den Weg in ein neues, nicht-rassistisches Südafrika zu ebnen, vereint auf der Suche nach Gleichheit und Wohlstand für all seine Kinder – eine Nation, die die Folgen des Kolonialismus, der Sklaverei und der Rassentrennung überwindet.

Ein Beispiel für Integrität und Beharrlichkeit begann er mit der Ausrottung der Armut, der Bekämpfung der Ungleichheit und der Schaffung von Chancen für alle.

Mandela bleibt ein unübertreffbares Beispiel für Lateinamerika und die Karibik, welche zur Einheit und Integration voranschreiten, zum Wohle ihrer Völker, ihre Unterschiede achtend und überzeugt davon, daß allein der Dialog und die Zusammenarbeit den Weg für die Überwindung von Differenzen darstellen. Nur so ist ein zivilisiertes Nebeneinander aller möglich, auch wenn sie unterschiedlich denken. Mandelas Leben lehrt uns, daß nur die gemeinsamen Anstrengungen aller Nationen die Menschheit befähigen werden, die großen Herausforderungen zu meistern, welche ihre gesamte Existenz bedrohen.

Kuba, durch dessen Adern afrikanisches Blut fließt, ist ein Land, das im Unabhängigkeitskampf geboren wurde, im Kampf um die Abschaffung der Sklaverei. Und wir hatten das Privileg, Seite an Seite mit den afrikanischen Nationen zu kämpfen und zu wirken.

Niemals werden wir Mandelas Huldigung unseres gemeinsamen Kampfes vergessen. Anläßlich seines Besuchs in unserem Land am 26. Juli 1991 sagte er: »Das kubanische Volk hat einen besonderen Platz im Herzen des südafrikanischen Volkes.«

Ich erinnere mich in diesen Zeiten auch an die gegenseitige Bewunderung, die ihn mit Fidel Castro verband, ein Symbol der Brüderlichkeit zwischen Afrikanern und Kubanern. Fidel sagte: »Nelson Mandela wird nicht in die Geschichte eingehen, weil er 27 Jahre in Folge im Gefängnis verbracht hat, ohne jemals seinen Idealen abzuschwören. Er wird in die Geschichte eingehen, weil er trotz der unfairen Strafe in der Lage war, seine Seele vom Gift des Hasses zu säubern und aufgrund seiner Großherzigkeit und Weisheit, welche ihn in Siegeszeiten dazu befähigte, begabt sein selbstloses und heldenhaftes Volk zu führen, im Wissen, daß das neue Südafrika nicht auf Haß und Rache aufgebaut werden kann.«

Nelson Mandela und dem heldenhaften Volke Südafrikas Ehre und ewiger Ruhm!

[Übersetzung: Zoran Sergievski]

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. Dezember 2013




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