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Tabuthema trotz höchster HIV-Rate

In Südafrika wird der Kampf gegen Aids nach langer Zeit der Vernachlässigung inzwischen von der Regierung ernst genommen

Von Markus Schönherr, Kapstadt *

Es gibt Hoffnung: Die Zahl der Aids-Todesfälle konnte in Südafrika in den letzten drei Jahren dank Initiativen der Regierung und neuer Forschungsergebnisse gesenkt werden. Das ist bitter notwendig, denn im Land am Kap leben schätzungsweise fünf Millionen HIV/Aids-Infizierte - die höchste Zahl weltweit.

Mit Ruhm hat sich die südafrikanische Regierung in den vergangenen Jahren in Sachen Aids-Bekämpfung oft nicht bekleckert. Das scheint sich nun zu ändern. Ende April hatte Gesundheitsminister Aaron Motsoaledi ein neues HIV-Medikament vorgestellt, das südafrikanische Medien als »Wunderpille« lobten. Erstmalig im südlichen Afrika vereint das neue Medikament bis zu fünf Pillen in einer Kapsel. Die soll nicht nur die Lebensqualität steigern, sondern auch Wechselwirkungen vorbeugen und günstiger sein. Um die Versorgung zu garantieren, beauftragte die Regierung drei verschiedene Pharmakonzerne mit der Produktion. Vorrangige Patienten seien jene, die an der tödlichen Kombination von Aids und Tuberkulose leiden, Schwangere und stillende Mütter.

Momentan erhalten 1,9 Millionen Südafrikaner antiretrovirale Medikamente, doch bis 2015 soll sich die Zahl auf drei Millionen steigern. Dies ist im neuen Strategieplan festgehalten, den das National Aids Council (Sanac) letzten Monat entwarf. Auch die Mutter-Kind-Ansteckung soll eliminiert werden. Realistisch ist das Ziel durchaus, denn die Ansteckung in Kreißsälen fiel von 8 Prozent im Jahr 2008 auf bloß 2,8 Prozent im vergangenen Jahr. »In den letzten drei Jahren ging die Zahl der Aids-Toten zurück und seit April 2010 wurden mehr als 20 Millionen Bürger auf HIV getestet«, betonte der Vorsitzende der Kommission, Vizepräsident Kgalema Motlanthe.

Südafrikas Regierung scheint die Brisanz des Themas Aids endlich erkannt zu haben. Die bisherige Geschichte der Aids-Aufklärung ist kein Ruhmesblatt. Ex-Präsident Thabo Mbeki hatte während seiner Regierungszeit 1999 bis 2008 kategorisch den Zusammenhang zwischen HIV und Aids geleugnet. Für die Empfehlung seines Gesundheitsministeriums, wonach Aids-Kranke eine Diät aus Knoblauch, Zitrone, roter Beete und Olivenöl einhalten sollen, erntete er weltweite Kritik. Studien der Universitäten von Harvard und Kapstadt fanden heraus, dass Mbekis lapidare Aids-Politik mehr als 330 000 Tote und 171 000 Neuinfektionen mit sich zog. Kurz vor Mbekis Rücktritt sorgte der heutige Präsident, Jacob Zuma, für Furore. Als er wegen Vergewaltigung auf der Anklagebank saß, beteuerte er, nach dem Verkehr geduscht zu haben, »um das Risiko einer HIV-Ansteckung zu senken«.

Doch aus den Fehlern scheint die Regierung gelernt zu haben. Erst letztes Jahr gründete Zuma das School Health Programme, das Schüler unter anderem über Aids aufklären soll. Bartholomäus Grill, Autor des Buchs »Gott Aids Afrika«, sagte gegenüber dem »nd«: »Man muss anerkennend sagen, dass Südafrika nach der skandalösen Aids-Verleugnungspolitik in der Ära Mbeki die Kurve gekriegt hat und heute auf eines der wirksamsten Aids-Bekämpfungsprogramme in Afrika stolz sein kann. Es ist einer der wenigen Erfolge der in vielen Bereichen miserablen Gesundheitspolitik.«

Doch in der Gesellschaft bleibt das Thema ein Tabu. Kürzlich suchte ein 27-jähriger Mann aus dem Township Soweto eine Polizeistation auf, um seine Ex-Freundin anzuzeigen, nachdem diese ihn mit dem HI-Virus infiziert haben soll. Dort hieß es, dagegen gebe es kein Gesetz. Er könne nur eine Zivilklage eröffnen. Edwin Cameron, Richter am südafrikanischen Höchstgericht, lebt seit 1999 offen mit seiner HIV-Infektion. Im australischen Staatsfunk sagte Cameron vergangene Woche: »Ich war ein weißer Mann auf einem schwarzen Kontinent mit 30 Millionen HIV-Infizierten. 14 Jahre später bin ich in Afrika immer noch der einzige Träger eines öffentlichen Amts, der offen über seine Erkrankung spricht.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 18. Mai 2013

Zahlen & Fakten

Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) gehört zu den sogenannten Retroviren. Die speichern ihre Erbinformation in dem Erbmolekül RNA, das in tierischen und pflanzlichen Zellen hauptsächlich zum Ablesen der in DNA-Erbinformation für die Produktion der Eiweißbestandteile dient. Die HIV-RNA kann nicht direkt wirksam werden, sie muss zuvor als DNA in das Erbgut der Wirtszelle eingebaut werden. Das Virus befällt einen bestimmten Typ von Immunzellen, die sogenannten T-Zellen. Mit deren Reduzierung einher geht die Anfälligkeit für andere Infektionen, die dann meist die eigentliche Todesursache sind.

Übertragungswege: Das Virus wird - ähnlich dem Hepatitis-B-Erreger - ausschließlich über Körperflüssigkeiten, hauptsächlich Blut oder Sperma, übertragen. Deswegen wurden anfangs auch viele Menschen über Blutpräparate infiziert.

Infektionen: 2011 lebten 34 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, zwei Drittel davon im subsaharischen Afrika. Die Zahl der Neuinfektionen war von 3,2 Millionen im Jahre 2001 auf 2,5 Millionen gesunken. Insbesondere die Neuinfektion von Kindern konnte nahezu halbiert werden.

Aids-Tote: Nach Schätzungen des Gemeinsames Programms der Vereinten Nationen zu HIV/Aids (UNAIDS) sind bisher etwa 28 Millionen Menschen an Aids gestorben. Die Zahl der Toten durch Aids sank seit 2001 ebenfalls leicht von 1,9 auf 1,7 Millionen, die meisten davon im südlichen Afrika.

Therapie: Mit einer Kombinationstherapie, bei der drei bis vier antivirale Mittel gleichzeitig verabreicht werden, kann man inzwischen das Virus soweit zurückdrängen, dass es im Blut nicht mehr nachweisbar ist. Damit normalisiert sich die Lebenserwartung und es werden insbesondere Mutter-Kind-Infektionen vermieden.

Zukunft: Die Entdeckung einiger HIV-Infizierter, die auch nach 15 Jahren nicht erkrankten, lässt Wissenschaftler auf einen neuen Behandlungsansatz hoffen. StS




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