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Bis Jesus wiederkommt

Knapp ein Jahr nach dem Bergarbeitermassaker von Marikana gewinnt der ANC eine kommunale Nachwahl deutlich

Von Christian Selz *

Es war nur ein kleiner Test, doch die Botschaft ist unmißverständlich: Weil der Bürgermeister zurückgetreten war, stand in einem Stadtteil der Bergarbeiterstadt Rustenburg in Südafrikas Platingürtel in der vergangenen Woche eine Nachwahl an. In unmittelbarer Nähe zur Marikana-Mine, vor deren Toren die Polizei vor fast genau einem Jahr 34 streikende Kumpel mit halbautomatischen Gewehren niederschoß, ging es für den landesweit regierenden African National Congress (ANC) um weit mehr als nur ein kleines Kommunalmandat. Südafrikas Arbeiterklasse ist die Basis der einstigen Befreiungsbewegung und im kommenden Jahr stehen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an.

Als ernst zunehmender Herausforderer – gerade unter den frustrierten Bergarbeitern – kristallisiert sich derzeit ein Geist heraus, den der ANC längst in die Flasche verbannt zu haben glaubte: Julius Malema, ehemaliger Präsident der Partei-Jugendliga. Der einst schillernde Jungpolitiker, massiver Steuerhinterziehung überführt und wegen Korruption, Betrug und Geldwäsche angeklagt, hat nach seinem ANC-Ausschluß jüngst eine neue Partei namens »Economic Freedom Fighters« (EFF) gegründet. Mit ihren Forderungen nach der Enteignung weißer Farmer und der Verstaatlichung von Minen, Banken und Schlüsselindustrien fallen die »Wirtschaftsfreiheitskämpfer« in den von Ausbeutung, Armut und Perspektivlosigkeit gezeichneten Arbeitersiedlungen auf offene Ohren. In Marikana glauben nicht wenige Kumpel, daß die Zentralregierung und Präsident Jacob Zuma höchstselbst hinter dem Massaker steckten. Partei- und Gewerkschaftsführern werfen sie vor, mit den Minenbossen unter einer Decke zu stecken. Das Versprechen vom »besseren Leben für alle«, seit dem Wahlkampf Nelson Mandelas vor 20 Jahren allgegenwärtig, ist hier gebrochen. Die Freiheit kam. Die Hoffnung auf Arbeit, faire Gehälter und eine Zukunft für die Kinder aber blieb für viele auf der Strecke. Der ANC hat für die Armen Südafrikas versagt. Bei den immer häufigeren Sozialprotesten wird das deutlich, bei Wahlen allerdings weiterhin nicht.

Gerade einmal zwei Prozent verlor der Bürgermeisterkandidat des ANC, Bernard Mytyotywa, bei der Nachwahl in der Rustenburger Bergarbeitersiedlung gegenüber seinem zurückgetretenen Parteigenossen – und kam damit auf 85 Prozent der Stimmen. Für Thembi Thekiso, den unabhängigen Kandidaten der noch nicht offiziell registrierten EFF, stimmten elf Prozent der Wähler. Andere größere Oppositionsparteien waren erst gar nicht angetreten. Auch wenn Wahlforscher auf die geringe Repräsentativität von Nachwahlen hinweisen und Malemas Partei bereits im Vorfeld beklagt hatte, der ANC würde Wähler aus dem Nachbarwahlkreis für die Abstimmung registrieren, ist das ein eindeutiges Votum. Selbst das Massaker von Marikana hat in den Köpfen der meisten südafrikanischen Wähler kein Umdenken gebracht. Politische Kommentatoren gehen für den ANC bei den landesweiten Wahlen 2014 auch deshalb von höchstens zehnprozentigen Stimmeneinbußen aus. Eine Niederlage der Partei, die noch immer von ihrem Erbe aus dem Anti-Apartheid-Kampf lebt und im Parlament fast eine Zweidrittelmehrheit hat, scheint nach wie vor nahezu unvorstellbar. »Bis Jesus zurückkommt«, werde seine Partei regieren, hatte der heutige Staatspräsident Zuma 2008 gesagt – eine passende Beschreibung des Selbstverständnisses der Partei.

Die Abstimmung von Rustenburg hat aber auch gezeigt, wie ernst der ANC seine Herausforderer nimmt. Als die politisch bisher vollkommen unbedeutende EFF vor einer Woche eine Wahlkampfveranstaltung in einer Gemeinschaftshalle abhalten wollte, mobilisierte die mächtige Regierungspartei ihre Anhänger, um den Saal bereits vorab zu besetzen. Die Polizei mußte die beiden Gruppen anschließend voneinander trennen. Hinter der Dünnhäutigkeit des ANC steckt die Angst vor dem Präzedenzfall. Die mit der Regierunspartei verbündete Bergarbeitergewerkschaft NUM hat ihre Vormachtstellung in Rustenburg bereits an die radikalere AMCU und unabhängige Arbeiterkomitees verloren, deren Organisatoren teils der EFF nahe stehen. Ein ähnliches Schicksal will die Regierungspartei für sich selbst nun um jeden Preis verhindern.

* Aus: junge welt, Montag, 12. August 2013


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