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Falsche Revolution

Südafrikas ANC setzt im Wahlprogramm auf Wachstum durch Deregulierung und Privatisierung. Gegner gelten als Verräter

Von Christian Selz *

Die Zukunft scheint rosig, zumindest aus Sicht des African National Congress (ANC). Südafrikas Regierungspartei hat am Wochenende den Programmentwurf für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr vorgelegt. Hauptpfeiler darin ist der sogenannte Nationale Entwicklungsplan (NDP), der die wirtschafts- und sozialpolitische Strategie der einstigen Befreiungsbewegung bis zum Jahr 2030 umreißt. »Der NDP wird Vollbeschäftigung schaffen«, kündigte der ANC-Vizevorsitzende Jeff Radebe am Montag an. Bei einer Arbeitslosenquote von offiziell 25,6 Prozent – 2,1 Prozent mehr als zum Amtsantritt von Präsident Jacob Zuma 2009 – scheint das gewagt. Kritiker sehen sich bereits in die Zeiten des weltbankfreundlichen GEAR-Programms der späten 90er Jahre zurückversetzt, dem großen Ausverkauf, der über eine Million Südafrikaner den Arbeitsplatz kostete.

Radebe aber mißt dem vom ANC zum »Dokument des Volkes« emporgehobenen Plan geradezu magische Kräfte bei. Die Armut soll ausgemerzt und die extreme Ungleichheit der Gesellschaft, deren Einkommensunterschiede weltweit traurige Spitze sind, signifikant reduziert werden. Doch die blühenden Landschaften des ANC haben ihre Magie verloren. Als »auf Export fokussiertes neoliberales Wachstumsmodell« hat der mit dem ANC und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) in der Regierungsallianz verbündete Gewerkschaftsbund ­COSATU das Dokument bereits im März in einem Analysepapier verdammt. Die linke Metallarbeitergewerkschaft ­NUMSA, mit 330000 Mitgliedern stärkste Einzelgewerkschaft in COSATU, droht nun, der Regierungspartei die Unterstützung zu entziehen.

»Das Zentralkomitee hat die Entscheidung bereits gefällt, wegen des NDP nicht für den ANC Wahlkampf zu machen«, erklärte NUMSA-Schatzmeister Mphumzi Maqungo. Umgerechnet 150000 Euro, die die Gewerkschaft dafür budgetiert hat, sollen eingefroren werden, wenn die Mitglieder auf einem Sonderkongreß im Dezember ebenfalls gegen die Wahlkampfhilfe stimmen. Für Südafrikas Regierungsallianz wäre das ein nie zuvor gesehener Riß. Seit dem Kampf gegen die Apartheid sind der Gewerkschaftsbund, die SACP und der ANC eng miteinander verwoben. Ein Ausbrechen der stärksten COSATU-Gewerkschaft, der sich zudem die Gewerkschaft der Kommunalangestellten SAMWU und die Landwirtschafts- und Lebensmittelgewerkschaft FAWU anschließen wollen, könnte zur Spaltung der Regierung führen. »Wir wollen diesen Plan nicht, wir wollen, daß unsere Freiheitscharta umgesetzt wird«, stellt NUMSA-Generalsekretär Irvin Jim mit Blick auf das Leitpapier des ANC aus dem Jahr 1955 klar. »Der Reichtum an Mineralien unter der Erde, die Banken und die Monopolindustrie sollen in den Besitz des gesamten Volkes übergehen«, heißt es darin, doch das scheint die Parteispitze längst vergessen zu haben.

Während die Regierung von Präsident Jacob Zuma weitgehend versucht, die Krise totzuschweigen und auf einem Gipfel mit regierungstreuen ­COSATU-Bossen die Übereinstimmungen im NDP betonte, fungiert die zunächst vorsichtig NDP-kritische SACP als Kettenhund. Als »leere Drohung die Nationale Demokratische Revolution zu verraten« lastet die Partei Jim persönlich an, den »Kräften der Konterrevolution, angeführt von der DA, einmal mehr zu erlauben, unser Land in eine Neokolonie zu verwandeln«. Die schwere Rhetorik-Keule wird allerdings zum Bumerang. Denn die erwähnte DA, eine neoliberale Oppositionspartei, die besonders unter weißen Südafrikanern starken Rückhalt genießt, applaudiert dem ANC kräftig zu seinem Strategiepapier. Genüßlich weist ihre Spitze darauf hin, ihr eigenes Programm im NDP wiederzufinden. Tatsächlich enthält das 484 Seiten starke Papier von Privatisierungsvorhaben und der Zerschlagung des halbstaatlichen Strommonopolisten bis zur Deregulierung des Arbeitsmarktes und dem Festhalten am gescheiterten »Williger Verkäufer, williger Käufer«-Prinzips bei der Landreform kaum Revolutionäres.

Doch darum geht es dem ANC und der von ihm ideologisch entkernten SACP auch gar nicht. Wichtig ist die Illusion einer besseren Zukunft, die die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse zugunsten der neu geschaffenen Oberschicht aus altem Apartheid-Kapital, internationalen Investoren und politisch-vernetzter schwarzer Bourgeoisie nur verschleiert, aber nicht tatsächlich in Frage stellt. »Unser Ziel ist es, sicherzustellen, daß wir eine deutliche Mehrheit bei den Wahlen bekommen«, sagt der etablierte ANC-Agitator Radebe so offen wie entlarvend. Wer dabei stört, weil er an den alten Idealen des Befreiungskampfes festhält, wird aussortiert. Der kritische COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi mußte das vor kurzem anhand seiner Suspendierung erfahren. An Jims Stuhl – so spekulieren südafrikanische Medien – sägen die neuen und alten Herren Südafrikas auch bereits. Am Dienstag gab der ANC schließlich die Einsetzung eines »Taskteams« bekannt, daß COSATU »helfen« soll, »seine Herausforderungen zu bewältigen«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. September 2013


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