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Die Allianz zerbricht

Südafrikas größte Gewerkschaft stellt sich gegen Bündnis mit ANC und SACP

Von Christian Selz *

Den Zeitpunkt seiner Unterschrift wählte Südafrikas Präsident Jacob Zuma gewohnt arrogant. Am vergangenen Donnerstag, dem dritten Tag des außerordentlichen Kongresses der Metallarbeitergewerkschaft NUMSA, zeichnete das Staatsoberhaupt ein lange debattiertes Gesetz ab, das Unternehmen mit Steuererleichterungen für das Einstellen jugendlicher Arbeitsloser belohnt. Die NUMSA, größte Mitgliedsorganisation im Kongreß Südafrikanischer Gewerkschaften (COSATU), sieht darin die Gefahr einer Generationenspaltung und der Entlassung älterer Arbeiter. Der Gewerkschaftsbund ist ebenso wie die Kommunistische Partei Südafrikas (SACP) Allianzpartner des regierenden African National Congress (ANC) – und die Signatur Zumas, gleichzeitig ANC-Präsident, daher ein offener Affront. Andererseits hätte es den Tropfen zum Überlaufen des Fasses wohl gar nicht mehr gebraucht: Die radikal sozialistisch ausgerichtete NUMSA steht mit der Regierungspartei seit langem auf Kriegsfuß, hauptsächlich geht es um den im vergangenen Jahr vorgestellten »Nationalen Entwicklungsplan«. Weil die Allianz an dem von der Metallarbeitergewerkschaft als »neoliberal« gegeißelten Strategiepapier weitgehend festhalten will, beschloß der NUMSA-Kongreß am Freitag, dem ANC im kommenden Wahljahr die Unterstützung zu versagen. Zuma forderte die Gewerkschaft zum Rücktritt auf.

In Südafrika zerbricht damit ein historisches Bündnis, das das Land bisher ungefährdet regiert hat. Anders als bei der Abspaltung eines dem Kapital nahen, aber parteiintern kaltgestellten ANC-Flügels 2008, der in der Gründung der Eintagsfliegenpartei COPE gipfelte, ist die Dimension des NUMSA-Entschlusses enorm: Sie bedeutet den ersten Schritt in einen offenen Klassenkampf der Arbeiter und Arbeitslosen, der traditionellen ANC-Basis, gegen eine Regierung, von der diese sich nicht mehr vertreten sehen. In der Abschlußerklärung ihres Kongresses zitiert die NUMSA ausgerechnet den kürzlich verstorbenen einstigen ANC-Präsidenten Nelson Mandela: »Wie oft hat eine Arbeiterbewegung eine Freiheitsbewegung unterstützt, nur um am Tag der Befreiung selbst verraten zu werden?« hatte der 1993, ein Jahr vor seiner Wahl zum ersten Präsidenten eines freien Südafrikas, rhetorisch gefragt. »Es gibt dazu viele Beispiele in Afrika. Wenn der ANC nicht liefert, müßt ihr mit ihm das machen, was ihr mit dem Apartheidregime gemacht habt.«

Nun war scharfe Rhetorik zwischen der ANC-Führung und den Gewerkschaften in den vergangenen Jahren eher Regel als Ausnahme, doch inzwischen scheinen die Differenzen tatsächlich unüberwindbar. Mit der Suspendierung des ausgesprochen kritischen ­COSATU-Generalsekretärs Zwelinzima Vavi im August und der anschließenden Einsetzung einer Arbeitsgruppe haben ANC und SACP versucht, den Kurs des Gewerkschaftsbundes zu definieren. Das mußte zur Eskalation des Konflikts mit der NUMSA führen. Die Gewerkschaft steht – wie einige weitere COSATU-Teilorganisationen – der ANC-Wirtschaftspolitik diametral entgegen. Während die SACP den »Nationalen Entwicklungsplan« lediglich in einigen Punkten umschreiben will, hält die NUMSA das Dokument für gänzlich falsch. Es beinhalte keine technischen Fehler und bedürfe keiner Bearbeitung, heißt es in der Abschlußerklärung des Kongresses: »Der Fehler ist, daß es das Programm unseres Klassenfeindes ist.«

Im Detail geht es – wie bei den Subventionen für die Einstellung jugendlicher Arbeitsloser – um Positionen, die auch die SACP kritisiert: den Abbau von Arbeitnehmerrechten, die mangelnde Industrialisierung des Landes und den damit in Kauf genommenen Rückgang des produzierenden Gewerbes von 12 auf 9,6 Prozent des Bruttosozialproduktes bis 2030. Arbeitsplätze sollen neben einem staatlichen Infrastrukturprogramm vor allem Privatinvestitionen schaffen – das jedoch predigt der ANC seit Jahren. Der wachsende Mißerfolg läßt sich an der Arbeitslosenquote von derzeit gut 25 Prozent ablesen, auch die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. Anders als die SACP glaubt die NUMSA nicht mehr, diese Konflikte innerhalb der Regierungsallianz lösen zu können, und will deshalb nun den gesamten Gewerkschaftsbund abspalten. Der Aufbau einer neuen linken Plattform ist anvisiert. Es sei klar, faßt das NUMSA-Dokument zusammen, daß »die Arbeiterklasse den ANC oder die SACP nicht länger als Klassenverbündete sehen kann«.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Dezember 2013


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