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ANC-Strategiekonferenz streitet um Verstaatlichung der Minengesellschaften

Von Raoul Wilsterer *

Wenn am heutigen Freitag der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) seinen »kleinen Parteitag« beendet, steht eines fest: Die vergangenen fünf Tage in der Hafenstadt Durban bescherten Südafrikas ehemaliger Befreiungsbewegung und jetziger Regierungspartei eine fulminante Rückkehr des Themas »Verstaatlichung«. Dafür hatte insbesondere die ANC-Jugendliga gesorgt – doch nicht nur sie. Bereits im Vorfeld des Kongresses als »wichtigstem politischen Ereignis seit Jahren« (Reuters) wurde in allen Provinzgliederungen des ANC intensiv über die Eigentumsfrage an Produktionsmitteln und die Verfügungsgewalt über die reichen Bodenschätze gestritten. Im Zentrum standen dabei die einheimischen Minengesellschaften – Südafrika ist weltweit größter Platin- und viertgrößter Goldproduzent.

Zum prophezeiten großen Showdown zwischen Kräften der »Vernunft« und denjenigen, »die auf einen diktatorischen Stil hinarbeiten« (Kölner Stadtanzeiger), kam es indes nicht. Trotzdem kennzeichneten Schärfe und Kontroversen die offene Debatte – Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit der Politik »ihrer« Regierung. So streiken seit Wochen 1,3 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst für höhere Löhne, und die Arbeitslosigkeit liegt bei über 40 Prozent.

Der als »links« geltende Jacob Zuma, der die Präsidentschaft des Landes am Kap im Mai 2009 vom neoliberalen Thabo Mbeki übernommen hatte, war zu Beginn der Beratungen am Montag gegen die zunehmende Kritik an seiner Politik in die Offensive gegangen. Speziell hatte er die Position der Jugendliga »gerügt« , so die Website timeslive. »Die Jüngeren müssen die Älteren respektieren«, verlangte der 68jährige. Auch den Gewerkschaftsbund COSATU, der traditionell mit der Kommunistischen Partei (SACP) und dem ANC verbündet ist, ging der Präsident an.

Deren Generalsekretär Zwelinzima Vavi hatte angesichts verbreiteter Korruption vor der Gefahr gewarnt, daß das Land zum »Beutestaat« wird.

Nun rief Zuma, der noch vor Jahresfrist von Jugendliga und COSATU gestützt worden war, in einer »flammenden Rede« (AFP) die etwa 2800 Delegierten aus ANC, SACP, COSATU, Jugend- und Frauenliga auf, Spaltungs­tendenzen in der Partei entgegenzutreten und Einigkeit zu demonstrieren. Derzeit gebe der ANC das Bild ab, als sei er »ein Sammelbecken für Leute, denen es nur darum geht, Posten für sich zu ergattern«, sagte Zuma. »Für unsere Organisation ist es nun Zeit zu reagieren. Wir müssen uns gegen diejenigen stellen, die solche Aktivitäten verfolgen und die Organisation schwächen.«

Zumas Appell folgten zumeist inhaltlich geführte Auseinandersetzungen vor allem um die wirtschaftliche Strategie. In der für »Umbau der Ökonomie« zuständigen »Kommission 5« –eine von acht Arbeitsgruppen, die am Dienstag zu verschiedenen Fragen berieten, kam es zu Wortgefechten zwischen Befürwortern und Gegnern einer Verstaatlichung. Er habe »in seiner langjährigen ANC-Mitgliedschaft noch nie eine Konferenz erlebt, in der so viele Delegierte an der Sitzung der Ökonomiekomission teilnehmen wollten«, kommentierte der stellvertretende Polizeiminister Fikile Mbalula. Zwischenrufe und Mißfallensbekundungen gehörten zur Debatte. An deren Ende stand der Konsens, daß die Bergwerke nationalisiert werden sollten; eine staatliche Minengesellschaft müsse »unverzüglich« etabliert werden; die zuständige ANC-Kommission solle Modelle für eine Nationalisierungspolitik vorstellen.

Wie das Plenum mit der Verstaatlichungsempfehlung der Kommission umgehen würde, war am Donnerstag (bei jW-Redaktionsschluß) noch nicht entschieden. Zuma hatte allerdings seine Position schon vorher deutlich gemacht. Der »kleine Parteitag« sei nicht beschlußberechtigt. Ein derartig gewichtiges Thema müsse auf dem nächsten ANC-Kongreß entschieden werden. Der tagt 2012.

* Aus: junge Welt, 24. September 2010


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