Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Es brodelt am Kap

Gewerkschaften fordern deutliche Lohnerhöhungen und bessere Sozialleistungen. Streikwelle beeinträchtigt Vorbereitungen auf Fußball-WM

Von Raoul Rigault *

Südafrika steht vor einem heißen Winter. Der Generalsekretär des größten Gewerkschaftsdachverbandes COSATU, Zwelinzima Vavi, warnte die Regierung in der vergangenen Woche vor einer »explosiven Welle unkontrollierbarer Arbeiterunruhen im ganzen Land«. Mehr als 70000 Bauleute begannen Mittwoch nachmitttag einen unbefristeten Streik für deutliche Lohnerhöhungen und den Ausbau des Sozialsystems. Bergarbeiter kämpfen gegen prekäre Beschäftigung und der öffentliche Dienst gilt angesichts nicht eingehaltener Regierungsversprechen als »tickende Zeitbombe«. Darüber hinaus fordern COSATU und Jugendliga der Regierungspartei ANC die Verstaatlichung der Bergwerke, um feindliche Übernahmen und Personalabbau zu verhindern. Staatschef Jacob Zuma, dessen Wahl im Mai mit großen Hoffnungen verbunden war, hingegen lehnt einen »Linksruck« in der Wirtschaft kategorisch ab und meinte: »Ich schulde niemandem etwas«, was COSATU postwendend als »Kriegserklärung« bezeichnete.

Betroffen vom Ausstand der Bauarbeiter sind die 35 wichtigsten Projekte für die Fußballweltmeisterschaft im kommenden Jahr, darunter Prestigevorhaben wie die Stadien in Port Elizabeth, Kapstadt, Durban, Nelspruit, Polokwane und Johannesburg, die Bahnstrecke »Gautrain« vom Flughafen Johannesburg in die Innenstadt sowie der Flughafen von Durban. Die Bauarbeitergewerkschaft CAWU verlangt außer einer Lohnerhöhung von zwölf Prozent verschiedene soziale Absicherungen, wie einen Mindestlohn, bezahlten Elternurlaub und die Übernahme der Fahrkosten für den Weg zur Arbeit. Diese Forderungen wurden als »nicht verhandelbar« bezeichnet. Der Arbeitskampf werde »notfalls bis 2011« dauern, erklärte ein Gewerkschaftssprecher.

Die Unternehmerseite bietet bislang zehn Prozent mehr Lohn und lehnt die anderen Verlangen ab, weil deren Erfüllung angeblich zu einer Lohnerhöhung von 65 Prozent führen würde. Eine krude Rechnung. 2500 Rand verdient ein Maurer auf den WM-Baustellen derzeit. Das sind umgerechnet 227 Euro. Allein die Fahrt zur Arbeit verschlingt jeden Monat 400 Rand. Die Miete für ein kleines Haus im Township Soweto beträgt 1200 Rand, und die Preise für Lebensmittel sind in den vergangenen Monaten um 14,9 Prozent gestiegen. Obendrein will der Energiekonzern Eskom die Strompreise um satte 31,3 Prozent erhöhen. Die Arbeiter machen geltend, daß sie sich vom heutigen Lohn nicht mal eine Karte für ein Spiel in den von ihnen erbauten Stadien kaufen könnten.

Nicht weniger wütend sind Ärzte, Krankenschwestern, Polizeibeamte und Gefängniswärter. Da die von der ANC-Regierung vor zwei Jahren nach einem langen und harten Streik gegebenen Tarifzusagen bis heute nicht umgesetzt wurden, drohen sie ebenfalls mit flächendeckenden Arbeitsniederlegungen. Im wesentlichen geht es dabei um die Einführung einer einheitlichen Tarifstruktur und deutliche Anhebungen der Gehälter. Viele Krankenhausärzte haben bereits mit wilden Streiks begonnen, weil sie nach eigener Einschätzung weniger verdienen als manche Busfahrer. In der für die südafrikanische Wirtschaft nicht weniger bedeutenden Bergbaubranche regt sich derweil Protest gegen Massenentlassungen und prekäre Beschäftigung. In der »Eastplat's Crocodile River Mine« kam es am Donnerstag morgen zu einem spontanen Streik von 500 Arbeitern, die in der Tiefe ein 48stündiges »Sit-in« für ihre Übernahme durch den Betreiber CRM veranstalteten. Ein entsprechendes »Rahmenabkommen« wurde von der National Union of Mineworkers (NUM) inzwischen ausgehandelt.

In den letzten Tagen flammte eine Debatte um die Verstaatlichung der Bergwerke auf. Anlaß für diese von COSATU und der ANC-Jugendorganisation gemeinsam erhobene Forderung war der gescheiterte Versuch einer Übernahme des Minenkonzerns Anglo-American durch die britisch-schweizerische Xstrada-Gruppe. Das Johannesburger Unternehmen mit seinen rund 200000 Beschäftigten ist der größte Arbeitgeber am Kap und zählt den staatlichen Pensionsfonds zu seinen wichtigsten Anteilseignern. Mit 61,3 Prozent sind Bergbauprodukte weiterhin wichtigstes Exportgut. Eine Fusion von Anglo und Xstrada hätte nach allgemeiner Einschätzung zum Verlust Tausender Arbeitsplätze geführt. Und das mitten in der ersten Rezession seit 17 Jahren, in der ohnehin bis zu 350000 Jobs akut gefährdet sind und die offizielle Erwerbslosenrate bereits 23,5 Prozent beträgt. Laut den Gewerkschaften dürften es real 35 bis 40 Prozent sein.

Politisch steht der ANC vor einem Dilemma, hatte er auf seinem Parteitag im Dezember 2007 doch die Verstaatlichung von Industriebetrieben ausgeschlossen und sich zur Fortführung der wirtschaftsliberalen Politik des ehemaligen Präsidenten Thabo Mbeki bekannt. Nachdem ANC-Generalsekretär Gwede Mantashe, der nebenbei auch Führungsmitglied der Kommunistischen Partei ist, die Verstaatlichungsforderung zunächst unterdrücken wollte, erklärte er angesichts wachsenden Drucks, das sei »eine Debatte, die man führen kann«. Streiks für Lohnerhöhungen und andere Anliegen seien allerdings »nicht hilfreich«. Dabei dürften milliardenschwere schwarze und weiße Bergbaumagnaten wie Patrice Motsepe (ARM) und Nicky Oppenheimer (De Beers) eine nicht geringe Rolle gespielt haben. Nun fragen sich alle, wie Zuma und die ANC-Spitze den Balanceakt zwischen ihrer Basis und ihren Unterstützern aus dem Großkapital bewerkstelligen wollen.

* Aus: junge Welt, 15. Juli 2009


Zurück zur Südafrika-Seite

Zurück zur Homepage