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Pech und Schwefel

Südafrikanischer Gewerkschaftsbund COSATU kritisiert regierenden ANC heftig – und bleibt ihm mangels Alternativen doch eng verbunden

Von Christian Selz, Port Elizabeth *

Eigentlich war der Anlaß traurig genug. Der African National Congress (ANC) hatte in New Brighton, einem Township der Millionenstadt Port Elizabeth, zu einer Gedenkveranstaltung für Solomon Mahlangu geladen. Mahlangu war als 19jähriger nach dem blutig niedergeschlagenen Schüleraufstand von Soweto 1976 in den Untergrund gegangen, um für die Befreiung seines Landes zu kämpfen. Drei Jahre später ließ das Apartheidregime ihn im Zentralgefängnis von Pretoria erhängen. Im freien Südafrika rückte seine Geschichte nun dennoch in den Hintergrund. Aufgebrachte ANC-Mitglieder unterbrachen die Veranstaltung, weil sie mit der Kandidatenliste für die anstehenden Kommunalwahlen nicht einverstanden waren, aus dem Gedenken wurde Chaos. Am 18. Mai ist Wahltag in Südafrika, doch die Entscheidungen fallen in den meisten Gemeinden traditionell schon in den internen Auswahlprozessen. Der Machtkampf, der dort tobt, könnte dem ANC weit gefährlicher werden als jede einzelne Oppositionspartei. Auf Sicht könnte er außerdem die Auflösung der seit dem Kampf gegen die Apartheid gewachsenen Allianz aus der Regierungspartei des Präsidenten Jacob Zuma, Gewerkschaftsbund (COSATU) und Kommunistischer Partei (SACP) bedeuten.

Streit um Kandidaten

Die Ereignisse von New Brighton waren in den vergangenen Wochen kein Einzelfall, gestürmte Parteibüros keine Seltenheit. In einigen Verwaltungsgebieten fand sich die Parteiführung sogar vor Gericht wieder – angeklagt von den eigenen Genossen. In der Provinz Ostkap tauchte schließlich als trauriger Höhepunkt eine Todesliste auf – vier Verdächtige wurden festgenommen. »Das hat gezeigt, wie schlimm die Situation verkommen ist«, schrieb der ANC-Generalsekretär und SACP-Vorsitzende Gwede Mantashe dazu in einem Statement. Die Bedrohung werde die Partei aber nicht davon abhalten, ihr Mandat gegenüber dem Volk zu erfüllen, fuhr Mantashe professionell fort.

Der ANC hat die Situation selbst geschaffen, indem höhere Parteigremien von der Basis ernannte Kandidaten von den Listen strichen und in einem undurchsichtigen Verfahren ersetzten. Mehrere Ortsverbände drohen seitdem offen damit, die Opposition zu wählen, wenn auch widerwillig. Etliche Kandidaten haben den ANC bereits verlassen und treten nun parteilos an.

In der Nordwestprovinz hat der ANC nicht nur kommunale Strukturen, sondern auch den Gewerkschaftsbund übergangen und gemeinsame Kandidaten im Alleingang ausgeschlossen. Der Protest ließ nicht lange auf sich warten, insbesondere COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi läßt seit über einem Jahr keine Gelegenheit aus, Korruption und Vetternwirtschaft im ANC zu kritisieren. »Es ist wahr, daß in einigen Fällen populäre Kandidaten des Volkes Opfer von einflußreichen Cliquen geworden sind, die sich selbst ernannt haben«, ließ er neulich auf einer Konferenz der Metallarbeiter-Gewerkschaft Numsa kein gutes Haar an den ANC-Strukturen.

Der Schlagabtausch ist längst eskaliert. Vavi forderte gegenüber einer Sonntagszeitung in einem weiteren Streitfall, daß Sicelo Shiceka, Zumas Minister für traditionelle Belange, entlassen werden müßte, sollten sich Unterschlagungsvorwürfe gegen ihn bestätigen. Dem Mann wird vorgeworfen, umgerechnet hunderttausend Euro aus der Staatskasse veruntreut zu haben, um seine Exfreundin in der Schweiz zu besuchen und in Luxushotels zu residieren. Der SACP-Führer Mantashe ließ daraufhin während einer Pressekonferenz verlauten, daß Vavi im Wahlkampf »nicht hilfreich« sei. Er sage zwar in manchen Fällen die Wahrheit, treffe aber in anderen Situationen voreilige Entscheidungen. Die bissige Reaktion der Gewerkschaft: Genosse Mantashe solle doch »vielleicht alternative Wege vorschlagen, wie mit Korruption umzugehen sei«. Der Gewerkschaftsbund verbreitet zwar gemeinsame Erklärungen mit der Kommunistischen Partei, in denen Vetternwirtschaft und Bereicherung an Staatsaufträgen als größte Übel des Landes gebrandmarkt werden, aber die Tatenlosigkeit gegenüber den Problemen eint die Bündnispartner mindestens in gleichem Maße.

Keine Alternative in Sicht

Der südafrikanische Gewerkschaftsbund steht im Jahr seines 25jährigen Jubiläums vor einer ausweglosen Situation. Die Differenzen mit dem regierenden ANC scheinen unüberwindbar, ein alternativer Bündnispartner ist aber weit und breit nicht in Sicht. Die Gewerkschafter klammern sich daher an eine Reform des ANC von innen, die allerdings mit jedem internen Kampf um Posten, Macht und zweifelhaften Reichtum unwahrscheinlicher wird. In den Querelen um die verschiedenen Listen-Streitigkeiten ist kaum noch zu erkennen, wer in welchem Maße die viel zitierten Ideale des Freiheitskampfes verteidigt und wer den Kampf um eigene finanzielle Freiheiten zum persönlichen Ideal erklärt hat.

Verläßt COSATU jetzt die Allianz, hilft das aber der offen gewerkschaftsfeindlichen Democratic Alliance (DA). Die regiert im Westkap bereits seit Jahren und hat gute Chancen, dem ANC in weiteren Provinzen empfindliche Niederlagen zuzufügen. Bleibt der Gewerkschaftsbund in der Allianz, macht er sich selbst unglaubwürdig. Selbst Vavi hat sich in der Wahl zwischen Pech und Schwefel allerdings bereits entschieden und mahnt zum Zusammenhalt. »Wenn wir nicht aufpassen und Leuten gestatten, unsere Bewegung in diese Richtung zu führen, müssen wir vielleicht sehr bald jemanden Präsident Zille nennen«, kommentierte Vavi den Zwischenfall in Port Elizabeth und warnte in Anspielung auf die DA-Vorsitzende Helen Zille vor einem »absoluten Alptraum«.

* Aus: junge Welt, 10. Mai 2011


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