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Mandelas Genossin

Kämpferin gegen Apartheid und für die Befreiung Afrikas: Vor 30 Jahren wurde Ruth First durch einen Briefbombenanschlag in Maputo ermordet

Von Gerd Schumann *

Die Geschichte von Ruth First spielt zu einer Zeit, in der das Wort »Freiheitsbewegung« noch kein – vom Westen in Szene gesetzter – Etikettenschwindel war. Afrika schüttelte die Kolonialherrschaft ab, und Ruth wird Teil dieser historischen Epoche. Den Sieg ihrer Sache indes, die Befreiung Namibias und Südafrikas, erlebte die weiße Aktivistin nicht mehr; und auch nicht das, was Nelson Mandela über ihren Einfluß auf ihn sagen würde. – Am 17. August 1982 öffnet die 57jährige Sozialwissenschaftlerin – diplomiert 1945 – in Maputo/Moçambique, wo sie als Forschungsdirektorin des Instituts für Afrikanische Studien arbeitet, ihre Post. Eine Briefbombe, geschickt vom südafrikanischen Geheimdienst, explodiert.

Heloise Ruth First, geboren am 4. Mai 1925 in Johannesburg: Die jüdischen Eltern stammten aus dem Baltikum, hatten es – wie viele osteuropäische Juden – auf der Flucht vor antisemitischen Pogromen verlassen müssen. In ihrer neuen Heimat gehörten Julius und Matilda First zu den Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Partei (SACP). Rassenfragen wurden immer mehr auch als Klassenfragen verstanden. Weiße Immigrantenkinder wie Ruth würden später an der Seite von Mandela, Walter Sisulu und Oliver Tambo dem in die Jahre gekommenen, leicht angegrauten ANC (Afrikanischen Nationalkongreß) – der 1902 gegründeten ältesten Befreiungsbewegung Afrikas – neuen Schwung bringen.

»Ausgezeichneter Mensch«

1943 begegnete ANC-Aktivist Mandela, damals 25 Jahre alt, Ruth und deren Genossen zu Beginn seines Jura-Studiums an der Witwatersrand-Universität bei Johannesburg. Er schloß schnell Freundschaft und fand es – auch »angesichts der Opfer, die sie brachten« – von da ab »immer schwieriger, meine Vorurteile gegen die Kommunistische Partei zu rechtfertigen«, berichtete der erste schwarze Präsident Südafrikas in seiner Autobiographie von 1994 von der Wirkung des persönlichen Beispiels. Mandela: »Mein langgehegter Widerstand gegen den Kommunismus brach langsam in sich zusammen.«

Ruth First, aktiv in der – von 1959 bis 1990 – illegalen SACP ebenso wie im ANC, würde in den bewegten wie harten Zeiten des sich formierenden Widerstands zum weißen Gesicht des Kampfes gegen die britisch-burischen Rassisten am Kap der Guten Hoffnung werden. Als einen »ausgezeichneten und einen sehr einflußreichen Menschen« lernte Denis Goldberg sie kennen: »Sie war Journalistin und hat viele Risiken auf sich genommen, um über die Zustände unter der Apartheid zu berichten – aus Namibia, Südafrika, von den Farmen, wo die schwarzen Arbeiter gehalten wurden wie Sklaven, wo sie ermordet wurden. Da hat sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt.«

Im Kapstädter Guardian, einer linken Wochenzeitung, erschienen ihre hautnah recherchierten Reportagen über das Leben der Minenarbeiter, den Alltag in den Townships, die Knechtung der Wanderarbeiter auf den Farmen der Großgrundbesitzer. The Guardian wurde 1952 verboten und auch die Publikationen danach – »es gab Zeiten, in denen wir Schwierigkeiten hatten, immer wieder neue Namen für sie zu erfinden«, so Ruth. 1956 gehörte sie zu den 156 Verhafteten – 104 Schwarze, 23 Weiße, 21 Indischstämmige und acht Coloureds –, die im »Treason Trial« (Landesverratsprozeß) gegen die Freiheitsbewegung wegen »Hochverats« angeklagt wurden. Er endete mit Freisprüchen, zog sich allerdings über fünf lange Jahre hin.

Auch Joe Slovo stand vor Gericht. Ruth hatte den jungen Anwalt und Kommunisten 1949 geheiratet, drei Töchter wurden geboren, oft war das Paar getrennt, Gefängnis, Exil, Untergrund. 1964 wurden Mandela, Sisulu und andere Mitglieder des bewaffneten ANC-Arms »Umkhonto We Sizwe« (Speer der Nation) – darunter Goldberg als einziger Weißer – im Rivonia-Prozeß zu lebenslanger Haft verurteilt. Ruth hatte ebenfalls die Anklage in diesem einschneidenden, spektakulärsten Verfahren gegen die Befreiungsbewegung gedroht. Letztlich verzichtete das Regime darauf. »Wir wollten keine Frau dabeihaben«, plauderte damals ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes aus dem Nähkästchen – Ruth selbst berichtete darüber in ihrem berührenden Buch »Gefangener Mut«, das ihr »vertraulichstes, persönlichstes« (Slovo) wurde.

Tödliche Sendung

Von ihrer Zeit am Rand des psychischen Zusammenbruchs in den 1960er Jahren erzählt auch »A World Apart« (deutscher Titel: Zwei Welten), ein britischer Film von 1988, der auf Kindheitserinnerungen ihrer Tochter Shawn Slovo basiert: In eine scheinbar behütete Umgebung ohne Ressentiments, bürgerlich-aufgeklärt, bricht mit Brachialgewalt die Apartheid-Wirklichkeit ein, und nichts ist mehr wie es war. Ruth war als einzige Frau bei einem konspirativen Treffen mit Mandela, dem Umkhonto-Chef, dabei gewesen. Sie wußte einiges über das Rivonia-Hauptquartier und sein nationales Netz von Untergrundverbindungen, und also schlugen die Schergen des Regimes zu.

Im August 1963 wurde »­Comrade Ruth« verhaftet. Vor ihr lagen 117 Tage in Isolation, während derer »die Spezialeinheit des Sicherheitsdiensts (…) ihre frisch erworbenen Fähigkeiten auf dem Gebiet der psychischen Folter erprobte«, so Slovo. »Als sie zunehmend fürchtete, sie könne zusammenbrechen, und sich zu einer harmlosen Aussage hinreißen ließ, die sie sowohl demütigte, als auch in ihrer Vermutung bestärkte, sie verliere ihre Selbstkontrolle und ihren klaren Kopf – versuchte sie sich umzubringen.« Sie schluckte das Röhrchen Schlaftabletten, das eine Aufseherin »versehentlich« in der Zelle gelassen hatte – und überlebte.

Nach der Freilassung im März 1964 folgte eine erneute Zeit im Exil: War sie nach dem Sharpeville-Massaker von 1960, als die Rassisten 69 Demonstranten erschossen, die meisten von hinten, mit ihren Kindern nach Swasiland geflohen, so ging sie diesmal nach London. Während Joe Slovo dort für den ANC arbeitete, verdiente Ruth den Familienunterhalt als Journalistin, Hochschuldozentin, Forscherin. Es entstanden bedeutende Arbeiten zur Lage im postkolonialen Westafrika. Und: Ruth erstellte Studien zur Zukunft eines zukünftig unabhängigen Kontinents.

Ebendorthin kehrte sie Mitte der siebziger Jahre zurück – zunächst an die Universität von Daressalam, dann ab 1977 ins befreite Maputo. Im östlichen Nachbarland Südafrikas, langgestreckt gelegen am Indischen Ozean, war zwei Jahre zuvor die portugiesische Fremdherrschaft vor dem Hintergrund der »Nelkenrevolution« von der Befreiungsbewegung Frelimo gebrochen worden, die Hauptstadt warf ihren Kolonialnamen ab: Aus »Lourenco Marques« wurde »Maputo«, die wichtigste Bildungsstätte des Landes hieß nun »Eduardo-Mondlane-Universität« – benannt nach dem ersten Frelimo-Präsidenten. Namen, tragisch verknüpft: Mondlane, wie First und Mandela ehemals Student in Witwatersrand, war im Februar 1969 durch eine Paketbombe im Hauptquartier der Befreiungsbewegung in Daressalam ermordet worden, geschickt vom portugiesischen Geheimdienst PIDE und dessen NATO-Konspiranten. Dann, 13 Jahre später, der tödliche Brief an Ruth First.

In Maputo wurde die »starke, gewinnende Frau«, als die sie Mandela erlebt hatte, in Anwesenheit von Staatspräsidenten, Parlamentariern, Botschaftern aus 34 Ländern beigesetzt. Das Attentat habe speziell SACP und ANC »schocken, destabilisieren und demoralisieren« sollen, stellte 2003 die südafrikanische »Wahrheits- und Versöhnungskommission« fest. Joe Slovo meinte, das Rassistenregime habe das freie Moçambique »ins Visier« nehmen wollen. Mit Bomben – und der Renamo, einer vom weißen Südafrika und Rhodesien in Szene gesetzten »Freiheitsbewegung«, die nur einen Auftrag hatte: die Zeit zurückzudrehen.

Ruth First: »Die Privilegien verloren an Gewicht«

Wir Weiße, die wir uns an der Seite der Afrikaner, Inder und Farbigen in der Protestbewegung engagierten, führten ein intensives, mutiges Leben, Wir hatten in dieser von Schuldgefühlen geplagten Gesellschaft ein sauberes Gewissen. Doch im Verlauf der Jahre führte unsere kleine Gruppe ein zunehmend schizophrenes Dasein. Wir lebten abgesichert als privilegierte Weiße und gingen gleichzeitig in revolutionärer Politik auf, ergingen uns in der Ablehnung sämtlicher Werte unserer eigenen Rasse. Die Privilegien, die wir unserer Zugehörigkeit zur weißen Rasse verdankten, verloren an Gewicht, verglichen mit den Sanktionen, die wegen unseres politischen Engagements über uns verhängt wurden, als der Kampf an Schärfe gewann.« (aus: Ruth First, »Gefangener Mut. 117 Tage in einem südafrikanischen Gefängnis«, Frankfurt/M. 1991)



* Aus: junge Welt, Samstag, 11. August 2012


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