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"Die Wut an der Basis wächst"

Politikwissenschaftler Adam Habib über die wachsende Ungleichheit im Südafrika nach der Apartheid *


Adam Mahomed Habib ist Vizekanzler und Prinzipal an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg. Mit dem Professor für Politikwissenschaftler sprach für »nd« Christa Schaffmann über das Südafrika fast 20 Jahre nach der Überwindung der Apartheid.

Südafrika gilt vielen Europäern als Lichtblick auf einem Kontinent, der vor allem als Ort von Kriegen und Hunger wahrgenommen wird. Nelson Mandela verfocht die Vision einer gleichberechtigten Gesellschaft. Was ist daraus geworden?

Südafrika war 1994 das Land mit der zweitgrößten Ungleichheit in der Welt. Jetzt sind wir die Nummer 1, hier ist die Schere zwischen Arm und Reich am größten. Ironischerweise ist dies das Ergebnis der Demokratie. In der Schärfe, in der wir es hier erleben, erzeugt es Wut an der Basis. Explodiert ist diese Wut in Marikana, als die Minenarbeiter sich erhoben haben. Im Bergbau werden seit zehn Jahren Superprofite realisiert. Während der Vorstandsvorsitzende 24 Millionen Rand im Jahr kassiert (2,4 Millionen Euro), was selbst gemessen an europäischen Standards außergewöhnlich viel ist, bekommt ein Bergmann etwa 5000 Rand (500 Euro) pro Monat. In der Landwirtschaft kann es ähnliche Explosionen geben. Wer soll denn von sieben Euro am Tag – so viel bekommt ein Landarbeiter – leben?

Wie lässt sich dieser Entwicklung zu immer mehr Ungleichheit entgegenwirken?

Wir müssen diese Ungleichheit offen ansprechen, das heißt, wir müssen das Wesen unserer politischen Ökonomie ansprechen. Das bedeutet nicht, dass Südafrika kommunistisch werden soll. Wir müssen lediglich das tun, was die Bundesrepublik Deutschland nach 1945 getan hat und andere westeuropäische Länder in den 50er und 60er Jahren getan haben: einen Sozialstaat aufbauen.

Würden Sie die Auseinandersetzungen im Südafrika von heute als Klassenkampf beschreiben im Unterschied zu einem Kampf Schwarz gegen Weiß in Zeiten der Apartheid?

Es war immer ein Klassenkampf, nur dass er damals rassistische Form angenommen hatte. Wir haben heute eine aus Weißen und Schwarzen bestehende Klasse von Kapitalisten, während die Arbeiterklasse überwiegend aus Schwarzen besteht. Das ist die Herausforderung. Der ANC hat das auf seiner Konferenz in Mangaung im Dezember 2012 deutlich gemacht, indem er eine zweite Phase des Übergangs gefordert hat, in der es vor allem um die Ökonomie gehen muss.

Ist der ANC imstande, diese zweite Phase des Übergangs politisch durchzusetzen?

Ich denke, ja. Das Problem ist: Der ANC ist gespalten. Das wichtigste Programm des ANC ist der »National Development Plan« (Nationaler Entwicklungsplan). Der NDP ist ein wichtiges Dokument, nützlich zur Lösung vieler Probleme, aber er spricht die Frage der Ungleichheit nicht an. Er nennt vor allem Maßnahmen, durch die das Einkommen der Bevölkerung an der Basis wachsen soll. Es ist jedoch vorhersehbar, dass das Einkommen der Reichen schneller wachsen wird als das der Armen. Die Ungleichheit wird also noch größer werden.

Kann ein Regierungsbündnis von Parteien mit einer Gewerkschaft, wie Südafrika es hat mit der Allianz von ANC, Kommunistischer Partei und der Gewerkschaft COSATU, auf Dauer funktionieren?

COSATU-Vertreter würden vermutlich argumentieren, dass es in Deutschland schließlich auch über viele Jahre ein ähnliches Bündnis von Sozialdemokraten und Gewerkschaften gegeben habe. Dabei vergessen sie leider, dass die 50er und 60er Jahre nicht vergleichbar sind mit der globalisierten Welt, in der wir heute leben. Die gleiche Taktik oder Vorgehensweise kann also heute zu völlig anderen Resultaten führen. Auf lange Sicht wird COSATU gezwungen sein, die Allianz zu verlassen oder sich gegebenenfalls als Partei neu zu gründen.

Die Frage der Landverteilung stellt sich auch in Südafrika. Wie bewerten sie die Landreform im Nachbarland Simbabwe?

Die Landreform in Simbabwe war alternativlos. Wir können die Form kritisieren, aber jede größere Landumverteilung in der Geschichte hatte zerstörerische Elemente. Denken Sie an Südkorea, wo japanische Großgrundbesitzer mit US-amerikanischer Unterstützung vertrieben wurden, an Mexiko oder Kuba. Ich rechtfertige das Handeln von Präsident Robert Mugabe nicht, er war mitverantwortlich für die Entstehung der Probleme und hat die Landreform für seine Günstlinge manipuliert. Er sicherte für den Fall eines Machwechsels das ökonomische Überleben seiner Klientel ab.

Erwarten Sie in Südafrika früher oder später ähnliche Probleme wie in Simbabwe?

Die Situation in Südafrika unterscheidet sich von der in Simbabwe in vielerlei Hinsicht. Wir haben völlig andere soziale Strukturen als Simbabwe. Südafrika ist viel stärker industrialisiert. Für eine ökonomische Karriere als Alternative zur politischen gab es in Simbabwe keine mit Südafrika vergleichbaren Chancen. Es ist zwar wahrscheinlich, dass es in Südafrika wegen der von der Apartheid geprägten Landverteilung zu Auseinandersetzungen kommen wird. Aber ist es wahrscheinlich, dass diese die gleichen Formen annehmen werden wie in Simbabwe? Nein.

Wo sehen Sie das Parteiensystem in fünf bis zehn Jahren? Erwarten Sie so wie Helen Zille, Vorsitzende der Democratic Alliance (DA), ein Zwei-Parteiensystem bestehend aus ANC und DA?

Ein Zwei-Parteiensystem hieße, dass beide die Kapazität haben, Wahlen zu gewinnen. Diese Möglichkeit sehe ich nicht. Ich erwarte eher ein Einparteiensystem mit einer ganzen Reihe kleinerer Parteien drum herum. Die DA, die bei den letzten Wahlen bei 16 Prozent lag, wird sich entwickeln, aber die 40 Prozent-Marke nicht erreichen können. Aus einem Grund: Die DA wird von der Mehrheit nicht nicht gewählt weil sie weiß ist, sondern weil sie die Interessen der armen Leute nicht vertritt. Es ist keine Frage der Hautfarbe, sondern der Interessen. Die DA steht für die Reichen in diesem Land.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013


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