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Marikana-Massaker ohne Folgen

Gewaltsam beendete Proteste von Bergarbeitern in Südafrika jähren sich

Von Markus Schönherr, Kapstadt *

Vor ihrer Haustür bei Marikana wurde am Montag eine Führerin der Nationalen Gewerkschaft der Minenarbeiter (NUM) erschossen – kurz vor dem ersten Jahrestag des Massakers, bei dem 34 Bergleute erschossen wurden.

Die Bilder gingen um die Welt: Gepanzerte Polizisten mit Schlagstöcken auf der einen Seite, Knüppel und Macheten schwingende Bergleute auf der anderen. Bei den gewalttätigen Protesten in der Mine bei Johannesburg waren am 16. August vergangenen Jahres 34 Bergleute und zehn weitere Menschen ums Leben gekommen. Die meisten starben durch die Kugeln der Polizei – für viele längst vergessene Szenen aus der Zeit der Rassentrennung. Die Medien berichteten von der »schlimmsten Gewalt seit dem Ende der Apartheid«. Daraus gelernt scheint Südafrika aber nicht zu haben.

Der Zusammenstoß sorgte in der südafrikanischen Gesellschaft für einen nachhaltigen Schock. Präsident Jacob Zuma beauftrage daher eine Kommission, die herausfinden sollte, was tatsächlich an der Platinmine Marikana geschah. Nach vier Monaten sollte sie ihren Bericht abliefern – ein Jahr danach warten die Familien der Verstorbenen noch immer. »Wenn sie die Kommission auflösen wollen, sollen sie das endlich bekannt geben«, sagt ein Arbeiter, der damals mit Verletzungen davonkam.

Die Kommission, geleitet von Ex-Richter Ian Farlam, scheint derweil mehr Fragen als Antworten gefunden zu haben. Drei Zeugen wurden seit Mitte letzten Jahres ermordet; ein weiterer wurde von seiner Aussage befreit, nachdem auch er Morddrohungen erhielt. Und die Kommission verliert an Glaubwürdigkeit: Sitzungen wurden unterbrochen, da die Angehörigen und Opfer ihre Anwälte nicht mehr bezahlen konnten.

Südafrikas Minenriesen setzten alles daran, das Marikana-Unglück als Ausbruch zweier rivalisierender Gewerkschaften darzustellen. Immer mehr Experten äußerten jedoch, dass der Zwischenfall in jedem anderen Bergwerk des Landes hätte stattfinden können. Schuld seien die Arbeitsbedingungen: Gesundheits- und Altersvorsorge gibt es nur in Ausnahmefällen; im Durchschnitt verdient ein Bergarbeiter 4000 Rand (305 Euro) im Monat. Die südafrikanische Zeitung »Sunday Times« berichtet von der Familie eines getöteten Minenarbeiters, die nun von monatlich 1400 Rand an staatlichen Zuwendungen lebt.

Vereinzelt wurden die Gehälter seit dem Marikana-Zwischenfall erhöht. Die entscheidenden Lektionen ließen aber auf sich warten. Auch die Sicherheitskräfte hätten von der Tragödie letztes Jahr wenig gelernt, berichtet Gereth Newham vom Institute for Security Studies (ISS) in Pretoria: »Die führenden Köpfe leugnen, dass die Polizei irgendetwas falsch gemacht habe. Sie zeigen weder Anzeichen, Verantwortung für die Polizeimaßnahmen in Marikana zu übernehmen, noch irgendetwas aus dem Zwischenfall zu lernen.«

Im April stehen in Südafrika Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. Der Tageszeitung »Business Report« zufolge habe das Erbe von Marikana entscheidenden Einfluss. Die rivalisierenden Gewerkschaften unterstützen einerseits den ANC, andererseits den oppositionellen Pan Africanist Congress (PAC). Am besten versteht es jedoch erneut der ehemalige ANC-Jugendführer Julius Malema, sich die Verzweiflung der Menschen zunutze zu machen: Er gründete jüngst eine eigene Partei, die Economic Freedom Fighters (EFF), mit der er die Verstaatlichung von Minen und die Zwangsenteignung von Farmland fordert. Der Populist plant, am Freitag hunderte Anhänger am Schauplatz des Marikana-Massakers zu versammeln, um die Arbeiter für sich zu gewinnen. Das versuchte er schon wenige Tage nach dem Zwischenfall, war aber von der Polizei vertrieben worden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. August 2013


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