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Machtkampf um Minen

Die blutigen Kämpfe um die gewerkschaftliche Vormacht in Südafrikas Platin-Gürtel sind viel mehr als ein Arbeitskonflikt

Von Christian Selz *

Als die Täter kamen, so erzählten es seine Freunde später, saß Mawethu Steven bei einem Bier in Billy’s Tavern im südafrikanischen Marikana und schaute Fußball. Vor fünf Wochen wurde er mit vier Schüssen aus nächster Nähe regelrecht hingerichtet. Steven war ein führender Aktivist der kämpferischen Bergarbeitergewerkschaft AMCU (Association of Mineworkers and Construction Union), ein ehemaliger Ortsgruppenvorsitzender und späterer Abtrünniger der Nationalen Bergarbeitergewerkschaft (NUM) in Marikana.

Der Name der kleinen Bergarbeitersiedlung 80 Kilometer westlich der Hauptstadt Pretoria, ging im vergangenen August um die Welt, als die südafrikanische Polizei dort binnen Minuten 34 Kumpel erschoß. Beruhigt hat sich die Lage im Platin-Gürtel bis heute nicht. Die vier Männer, die Mawethu Steven ermordeten, haben die Ermittlungsbehörden bis heute nicht ausfindig gemacht hat. Am vergangenen Samstag fielen erneut Schüsse in Marikana, dieses Mal vor dem Büro der NUM bei Lonmin. Ein Betriebsrat starb, ein weiterer Mensch wurde schwer verletzt.

Auf den ersten Blick geht es bei den Kämpfen um die gewerkschaftliche Vorherrschaft an den Minen. Die NUM, einst Gründungszelle und Rückgrat des südafrikanischen Gewerkschaftsbundes COSATU, hat nach den von ihr nicht unterstützten Bergarbeiterstreiks im vergangenen Jahr massiv Mitglieder verloren. Bei Lonmin vertritt sie nur noch 20 Prozent der Bergarbeiter, 70 Prozent der Belegschaft sind der ­AMCU beigetreten. Auch bei Anglo American Platinum und Impala Platinum, den anderen beiden großen Platinförderern, ist die jahrzehntelange Vorherrschaft der NUM innerhalb eines Jahres gebrochen worden. Gegenseitig werfen sich die beiden Gewerkschaften nun die Spaltung der Arbeiterschaft vor. Als »konterrevolutionär« diffamiert die Führung der NUM die AMCU und stellt sie als Instrument der Konzerne zur Zerschlagung der Einheit der Arbeiterklasse dar – ohne dafür allerdings Beweise zu liefern. Geführt wird die Konkurrenzgewerkschaft von Joseph Mathunjwa, selbst einst wegen seiner radikalen Linie aus der NUM ausgeschlossen.

Die NUM sei »ins Bett gestiegen« mit den Minen-Bossen, sagen dagegen die Arbeiter, die sich der AMCU angeschlossen haben. Ihre Wut richtet sich gegen die Verstrickung von Konzernen, Gewerkschaftsführern und Regierung. Das beste Beispiel dafür ist ausgerechnet NUM-Gründungsgeneralsekretär Cyril Ramaphosa, der im vergangenen Jahr einen Tag vor dem Massaker als Aufsichtsratsmitglied und Großinvestor bei Lonmin ein »unmittelbares Durchgreifen« gegen die Arbeiter gefordert hatte. Im Dezember wurde er zum Vizepräsidenten des ANC – und damit zum designierten Nachfolger von Präsident Jacob Zuma an der Staatsspitze – gewählt.

Hinter dieser politischen Komponente steckt die extreme Brisanz der Bergarbeiterkämpfe. Zuma braucht die ihm gegenüber loyale NUM als starke Kraft vor allem innerhalb COSATUs, um die Unterstützung

des intern gespaltenen Gewerkschaftsbundes nicht zu verlieren. Der ANC bildet mit der Kommunistischen Partei Südafrikas und COSATU eine Regierungsallianz. Der inzwischen weit links der ANC-Realpolitik stehende COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi spricht sich allerdings – anders als der ANC und die NUM – für die Verstaatlichung der Platinminen aus und prangert offen die Korruption der Zuma-Administration an.

Den Bergbaukonzernen kommt die Spaltung der Belegschaften gelegen. »Das Management schafft die Spannungen«, sagt Mathunjwa deshalb sogar. Konkret wirft er Lonmin vor, bei der Anerkennung von Gewerkschaften mit zweierlei Maß zu messen. Tatsächlich hatten sich die Konflikte zwischen der AMCU und der NUM zuletzt rund um die Übernahme von Gewerkschaftsbüros an den Minen entzündet. Andererseits fürchten die Konzerne aber die daraus resultierenden Streiks, die Produktionsausfälle bedeuten. Nachdem AMCU-Mitglieder am Donnerstag eine Vermittlung in der Frage um die Organisationsrechte bei einer Massenversammlung im Stadion von Marikana klar und lautstark abgelehnt hatten, droht für den kommenden Mittwoch bereits der nächste Arbeitskampf. Auch von seiten der Wirtschaft gerät die Regierung Zuma, die sich weiterhin vollkommen für Investoren und gegen Verstaatlichungen der Minen ausspricht, daher unter Druck. Die südafrikanische Währung Rand ist bereits auf einen Vierjahres-Tiefstand gerutscht.

* Aus: junge Welt, Samstag, 8. Juni 2013


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