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Kampf um Straßennamen

Südafrikas Buren wehren sich gegen Umbenennungen in der Hauptstadt Pretoria

Von Christian Selz, Kapstadt *

Wer durch Pretoria fährt, wird nicht nur wegen der größtenteils sichtbar gealterten Häuserblocks in der Innenstadt das Gefühlt nicht los, daß die Zeit dort stehengeblieben ist. Schon die Straßennamen verwirren und schicken zumindest Antirassisten unwohle Schauer über den Rücken. Der Verwoerd Drive, benannt nach dem Apartheid-Architekten Hendrik Verwoerd, der als erzrassistischer Premierminister einst die Befreiungsbewegung African National Congress (ANC) verbannte, verläuft hier noch immer parallel zur Voortrekkers Road, die an den Landraubzug der Buren von der Kapregion bis in das südafrikanische Hinterland erinnert. 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid will der regierende ANC im Stadtrat Pretorias nun endlich mit den Altlasten aufräumen. Doch noch immer gibt es Protest.

Pretoria ist nach wie vor die Hochburg der konservativen Afrikaaner, der weißen Nachfahren der ersten Siedler, deren National Party das Land während der Apartheid regierte. Eine kleine, aber öffentlichkeitswirksame Initiative namens AfriForum, deren Ursprung in der Afrikaaner-Gewerkschaft Solidarity liegt, hatte gar versucht, vor Gericht eine einstweilige Verfügung gegen die Namensänderungen zu erstreiten, war damit am vergangenen Montag jedoch unterlegen. Geldverschwendung, Orientierungslosigkeit und falsche Prioritätensetzung sind die scheinheiligen Argumente der Änderungsgegner. Ursprünglich habe man lediglich gegen die Zersplitterung der Church Street (Kirchenstraße) in vier unterschiedlich benannte Abschnitte protestiert, behauptet ein Anwalt des AfriForums. Erst als der Stadtrat nicht eingelenkt habe, sei man zur totalen Opposition übergangen. So wettert die Organisation, die sich auf »Minderheitenschutz« beruft, gegen eine vom ANC angestrebte Umbenennung des Verwoerd Drives nach dem Afrikaaner-Theologen Johan Heyns. Dieser hatte die Apartheid öffentlich eine Sünde genannt, die stockkonservative Reformierte Kirche für Homosexuelle öffnen wollen und war kurz nach den ersten freien Wahlen 1994 von einem bis heute nicht ermittelten Attentäter erschossen worden.

Der Konflikt bringt die alten Spaltungen Südafrikas und die Furcht vieler Weißer vor Veränderung und schwarzer Dominanz einmal mehr zutage. Dabei hat sich der ANC in dieser Frage trotz klarer Mehrheitsverhältnisse seit Jahren kompromißbereit gezeigt. Schon seit 2005 hält der Streit um die Umbenennung Pretorias selbst an. Ihren Namen hat Südafrikas Hauptstadt vom Afrikaaner-General Andries Pretorius, der 1838 die Armee der Zulu am Blood River vernichtete. Die Metropolenregion um die Hauptstadt wurde durch den ANC bereits nach ihrer historischen Tswana-Bezeichnung in Tshwane umbenannt. Nun zeigt sich die Regierungspartei jedoch bereit, den Namen Pretoria für den Stadtkern beizubehalten – im Gegenzug für die Änderungen der Straßennamen. Das sei das Ergebnis geheimer Verhandlungen mit der Opposition, berichtete die afrikaanssprachige Zeitung Beeld. Zudem sollen die alten Namensschilder noch für eine sechsmonatige Übergangsphase hängenbleiben. Den um ihre Orientierung besorgten Afrikaaner-Aktivisten diente das allerdings zu neuer Kritik. Doppelt zu beschildern sei schließlich auch verschwenderisch.

Trotz der anhaltenden Diskussionen steht das erste neue Straßenschild bereits. Der bisherige Louis-Botha-Drive heißt nun gut sichtbar January-Masilela-Drive. Ersterer war General im Krieg zwischen Engländern und Afrikaanern und wurde 1910 erster Premierminister der Südafrikanischen Union. Letzterer war ein ehemaliger Kommandeur der ANC-Befreiungsarmee Umkhonto we Sizwe.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. Mai 2012


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