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Ein Genosse der Bosse

Einst war Cyril Ramaphosa Arbeiterführer. Als Minenunternehmer forderte er die Ermordung von Streikenden. Sein Fall symbolisiert den Niedergang von Südafrikas Bergarbeitergewerkschaft NUM

Von Christian Selz, Kapstadt *

Für die konservative Tageszeitung Business Day war es die »ethische Sache, die getan werden mußte«, das für seine analytischen Hintergrundgeschichten angesehene, liberale Online-Magazin Daily Maverick sah dagegen »den wahren Betrug«. Südafrika streitet über Cyril Ramaphosa, 1982 Gründungsgeneralsekretär der National Union of Mineworks (NUM), 2012 Mitglied des Nationalen Exekutivkomitees des regierenden African National Congress (ANC) und gleichzeitig nicht-exekutives Aufsichtsratsmitglied des weltweit drittgrößten Platin-Produzenten Lonmin. Ramaphosa, das wurde in der vergangenen Woche vor der Untersuchungskommission für das Massaker in der von Lonmin betriebenen Marikana-Mine öffentlich, hat seine politischen Kontakte ausgiebig genutzt, um bei Regierung, ANC und Polizeiführung ein »hartes Durchgreifen« gegen die Streikenden zu erreichen. Einen Tag, nachdem Ramaphosa seiner Geschäftsführung in der nun öffentlich gewordenen E-Mail mitteilte, sich für »begleitende Aktionen« der Staatsmacht gegen die »kriminellen« Streikenden eingesetzt zu haben, waren 34 Kumpel tot. Erschossen von der Polizei, mehr als die Hälfte von ihnen von hinten. Noch einen Tag später, am 17. August, zeigte sich Ramaphosa schockiert vor Ort und versprach, umgerechnet knapp 200000 Euro für die Beisetzungen bereitzustellen. Doch es ist eine andere Beerdigung, die Südafrika derzeit wesentlich mehr beschäftigt: die der NUM, einst die mitgliederstärkste Gewerkschaft des Landes, selbst. Ramaphosa ist nur die tragisch-zynische Symbolfigur.

Ramaphosa ist aufgestiegen zum Milliardär und Geschäftsmann. Doch für viele Arbeiter in Südafrika ist er eben auch immer noch der Arbeiter, der sich aufschwang, um in den finstersten Apartheidzeiten eine Gewerkschaft der schwarzen Bergleute zu gründen, die innerhalb nur eines Jahres die Verhandlungshoheit an den wichtigsten Minen des Landes erkämpft hatte. Das Heldenbild Ramaphosas hat seit Jahren Risse bekommen. Als seine Investmentfirma Shanduka Resources vor drei Jahren 50,03 Prozent von Incwala Resources, der Black-Empowerment-Tochter Lonmins, übernahm und dabei den Trust der Gemeinschaft von Marikana ausstach, schlug das noch kaum Wellen. Auch Ramaphosas Entscheidung im vergangenen Jahr, McDonald’s Südafrika zu übernehmen, verursachte nur vereinzeltes Augenbrauenzucken. Im April dieses Jahres sorgte er dann für Schlagzeilen, als er bei einer Auktion knapp zwei Millionen Euro für einen Wasserbüffel bot. Eine Aktion, für die er sich nach dem Marikana-Massaker sogar öffentlich entschuldigte. Zu spät. Doch die Debatte dreht sich längst nicht mehr um teure Tiere, sondern um Reichtum, Armut, Verrat und Mord. Sie dreht sich um Menschen wie NUM-Präsident Frans Baleni, der sein Jahresgehalt jüngst auf rund 140000 Euro jährlich verdoppeln durfte. Den Arbeitern, die er vorgibt zu vertreten, hält er vor, daß sie mit Forderungen nach 1200 Euro Monatslohn den Fortbestand der Bergbauindustrie in Südafrika gefährden. Und es geht um die fortbestehende Ablehnung der noch immer mandatstragenden NUM, die Lohnforderungen und in der Konsequenz den Streik ihrer (Ex-) Mitglieder zu unterstützen.

Wie der Daily-Maverick-Journalist Jared Sacks vor Ort in Marikana aufdeckte, waren es NUM-Mitglieder, die den Streik in Marikana begannen. Und es waren NUM-Funktionäre, die auf die zu diesem Zeitpunkt noch unbewaffneten NUM-Bergarbeiter schossen, als diese sie auffordern wollten, ihre Forderungen nach mehr Lohn endlich an die Geschäftsführung zu tragen. Die ersten zwei Toten von Marikana waren direkte Opfer ihrer eigenen Gewerkschaftsführung. Danach kamen die Speere und Macheten zum Vorschein, die die Bilder von den Demonstrationen dominierten. Danach liefen die Arbeiter zur kleineren Konkurrenzgewerkschaft AMCU über. Tödlich waren die Schüsse daher nicht nur für die Bergarbeiter, sondern vor allem für die NUM selbst. Unabhängigen Analysten zufolge dürfte die Gewerkschaft inzwischen mindestens die Hälfte ihrer 300000 Mitglieder verloren haben.

Für die NUM bedeutet das kontinuierliche, schmerzhafte Niederlagen. Selten wurde dies so deutlich wie am Samstag, als die drei Generalsekretäre der Regierungsallianz aus COSATU, ANC und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) in einem von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen von protestierenden Arbeitern nahezu leer geräumten Stadion vor ein paar Restmitgliedern abgedroschene Parolen von der Arbeitereinheit herunterbeteten. Für die Kumpel bedeutet das Versagen der NUM zunächst eine geschwächte Position gegenüber den Konzernen. Aber auch die Aussicht auf eine baldige tatsächliche Arbeitervertretung. Cyril Ramaphosa winkt dagegen im Dezember, pünktlich zum 30. Geburtstag der NUM, die Nominierung zum ANC-Vizepräsidenten unter Jacob Zuma. Wenn alles nach Plan läuft, könnte der Arbeiterführer von damals den Freiheitskämpfer von damals 2019 sogar an der Spitze des Staates beerben – sofern die Zuma-Fraktion des ANC bis dahin nicht ähnlichen Schiffbruch erlitten hat wie die einst scheinbar unbesiegbare NUM.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Oktober 2012


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