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"Wir sind Wächter der Verfassung"

Die Oppositionspolitikerin Sandra Botha über ihre Sicht auf die Lage in Südafrika

Sandra Botha ist Mitglied der Demokratischen Allianz (DA), der stärksten Oppositionspartei in Südafrika, das seit 1994 von der einstigen Befreiungsbewegung ANC (Afrikanischer Nationalkongress) regiert wird. Schlagzeilen machte Frau Botha, als ihre Partei sie zur Fraktionsvorsitzenden im südafrikanischen Parlament wählte. Bei einem Besuch in Berlin hatte Eric Singh die Möglichkeit, mit ihr zu sprechen.
Das Interview wurde am 19. November 2007 im "Neuen Deutschland veröffentlicht.



ND: Südafrika befindet sich im 13. Jahr nach seiner Befreiung. Wie sehen Sie als Vertreterin der Demokratischen Allianz, die eine liberale Linie verfolgt, die Lage im Land?

Botha: Das ist die typische Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich glaube, das Glas ist sehr voll. Die Veränderungen seit 1994 sind unglaublich, und das kann man nicht hoch genug einschätzen. Andererseits ist nicht alles wunschgemäß verlaufen. Daher sehen wir als Allianz unsere Aufgabe darin, die 1994 eingeführte Demokratie in Südafrika zu stärken und zu bewahren. Immer wenn man an einem Neubeginn steht, kann es in bestimmten Bereichen zu Schwierigkeiten kommen. In dieser Situation befinden wir uns gerade jetzt, da der ANC die vollständige Macht anstrebt. Unter einem solchen Druck könnte es Änderungen in unserer Verfassung geben – eine Gefahr für unsere Demokratie! Wir sehen uns als Wächter dieser Demokratie und unserer fantastischen Verfassung.

Verglichen mit anderen Staaten ist der Anteil der Frauen in Südafrikas Parlament sehr groß. Etliche nehmen wie Sie wichtige Funktionen wahr.

Wir südafrikanischen Frauen sind sehr stolz darauf, diese öffentlichen Positionen erreicht zu haben. Da muss ich den ANC loben, besonders die Frauen, die aus dem Exil zurückgekehrt sind. Sie haben diesen Prozess ausgelöst. Davon konnten auch wir profitieren. Daher die erstaunliche Tatsache, dass die Demokratische Allianz erst eine Frau an ihre Spitze gewählt hat und nun ebenfalls eine Frau, um die parlamentarische Opposition im Parlament zu führen.

Erzählen Sie doch bitte etwas über sich.

Ich bin eine Farmersfrau, habe fünf Kinder und fünf Enkel. Meine Rolle als Politikerin sehe ich u.a. darin, meinen Enkelkindern das Bleiben als gleichberechtigte Bürger Südafrikas zu ermöglichen. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir uns selbst von der in der Vergangenheit herrschenden Diskriminierung befreit haben. Allerdings bin ich sehr betroffen, dass wir uns zur Zeit wieder zu einem ähnlichen Rassismus zurückzubewegen scheinen. Schuld daran hat die gegenwärtige Regierung, hat der ANC, der für eine überwiegend demografische Repräsentation steht und die Notwendigkeit der erforderlichen Qualifikation nicht berücksichtigt.

Sehr oft werden Ämter nicht besetzt, weil es keinen Kandidaten in der Bevölkerungsgruppe der Schwarzen gibt, um diese Aufgabe zu erfüllen. Und dann gibt es Ämter und Funktionen, die Menschen schwarzer Hautfarbe ohne die dafür nötige Eignung einnehmen. Das ist sehr kurzsichtig, und wir hoffen auf Änderung. Vielleicht gelingt das durch den Druck der Wirtschaft bis zum Jahr 2010 – also zur Fußballweltmeisterschaft.

Was wird Ihre Partei in diese Richtung unternehmen?

Da wir momentan in der großen Metropole Kapstadt an der Macht sind, können wir demonstrieren, wie wir uns Politik vorstellen. Wir haben schon bemerkt, dass man das Beste für die Allgemeinheit erreicht, wenn man den Menschen eine Chance gibt – ungeachtet ihrer bisherigen Bindungen. So ist es gelungen, zuvor benachteiligte Bürger viel stärker einzubeziehen als unter der vorherigen ANC-Verwaltung.

Unser größtes Problem ist die hohe Arbeitslosigkeit von mehr als 40 Prozent. Wir suchen nach besseren Ausbildungsmöglichkeiten, denn Südafrika hat großen Mangel an Fachleuten. Dieser Engpass ist ein großes Hindernis für die Entwicklung unseres Landes. So sind ausländische Fachkräfte erwünscht. In unserem Innenministerium herrscht jedoch Chaos. Wir bringen deshalb auch hier viele praktische Verbesserungsvorschläge ein, damit Leute leichter in unser Land kommen können.

Heißt das, dass Sie die »Affirmative Action«, die bevorzugte Behandlung bisher benachteiligter Gruppen, außer Kraft setzen?

Prinzipiell unterstützen wir dieses Vorgehen. Nach meinem Verständnis ist es nötig, und zwar schon aus dem einfachen Grund, um die afrikanische Bevölkerung in die Hauptbereiche der Wirtschaft zu integrieren, von denen sie so lange ausgeschlossen war. Doch haben wir große Probleme mit der praktischen Umsetzung. So beobachten wir, dass lediglich einige wenige immer wieder von der »Affirmative Action« profitieren.

Alle Augen blicken jetzt schon nach Limpopo, wo im Dezember die 52. ANC-Konferenz stattfindet und ein neuer Parteichef gewählt wird – auch eine Frau? Das glaube ich nicht, obwohl der ANC sehr für die Gleichberechtigung der Frau eintritt. Doch handelt es sich auch um eine sehr patriarchalische Gruppe, und eine Frau hätte es da sehr schwer. Eine Stellvertreterin ist schon eher möglich.

* Aus: Neues Deutschland, 19. November 2007


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