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"Die Regierung hat Angst vor klassenbewußten Soldaten"

In Südafrika fordern Soldaten das Recht, sich gewerkschaftlich zu betätigen. Protestmarsch endete in Straßenschlachten. Ein Gespräch mit Terry Bell *

Der Südafrikaner Terry Bell ist Sozialist, Gewerkschaftskolumnist und Veteran des Anti-Apartheid-Kampfes. Er lebt in der Nähe von Kapstadt



Zwischen der südafrikanischen Staatsspitze und dem an der Regierung beteiligten, Gewerkschaftsbund COSATU verschärft sich die Auseinandersetzung. Einer der Hauptstreitpunkte sind die »Soldatengewerkschaften«. Präsident Jacob Zuma und Verteidigungsminister Lindiwe Sisulu behaupten, Teile der Armee hätten gestreikt, und das sei nicht hinnehmbar. Wie sehen Sie das?

Es gab keinen Streik, sondern einen Protestmarsch von 3000 Militärangehörigen, die nicht im Dienst waren. Organisiert hatte ihn die South Africa National Defense Union (SANDU), unterstützt wurde er aber auch von der South Africa Security Forces Union (SASFU).

Die Demonstranten forderten bessere Dienstbedingungen und eine Solderhöhung um 30 Prozent. Wie kam es dazu, daß der Protest in schweren Straßenschlachten endete?

Laut SASFU-Vorstandsmitglied Fieldmore Mapeto ging die Gewalt von der Polizei aus, die unbewaffnete Soldaten angegriffen habe. Es geht bei den Protesten letztlich um die Forderung der Armeeangehörigen, sich gewerkschaftlich betätigen zu dürfen.

Die Zustände innerhalb der südafrikanischen Streitkräfte gelten als problematisch. Warum?

Das liegt an der Art, wie das Militär nach dem Ende der Apartheid neu organisiert wurde. Die »nicht-gesetzlichen Streitkräfte« – also die Kämpfer der Widerstandsorganisation ANC, PAC und AZAPO sollten damals mit den bestehenden Streitkräften des alten Burenregimes verschmolzen werden – die aber zeichneten sich durch einen tief verwurzelten Rassismus aus. Diese beabsichtigte Integration war ein Schnellschuß, eine aus politischer Bequemlichkeit heraus diktierte Zwangsheirat, die von Anfang an zu Problemen führte.

Die ehemaligen Guerillakämpfer waren politisch bewußt und eher von unabhängigem Denken geprägt. Die alten Berufssoldaten hingegen hielten zwar strenge Disziplin, hatten aber von Politik keine Ahnung. Alle zusammen wurden dem Kommando eines Offizierkorps unterstellt, das eher traditionell und autoritär ausgerichtet ist.

Das Ende vom Lied war, daß einige der älteren, erfahrenen und besser ausgebildeten Untergrundkämpfer bereits im September 1994 ausschieden und sich andere Jobs suchten. Über all das hat es nie eine wirkliche Diskus­sion gegeben, der Konflikt schwelt aber bis heute unter der Oberfläche weiter. In den vergangenen Jahren gab es deswegen auch zahlreiche Petitionen und Protestmärsche, was die Regierung allerdings unbeeindruckt ließ.

Präsident Zuma, der zugleich auch der Regierungspartei African Nacional Congress (ANC) vorsteht, hatte auf dem COSATU-Kongreß Ende September die Einrichtung einer Art Ombudskommission (MSC) versprochen …

Eine solche Kommission wird sowohl von der SASFU als auch vom COSATU abgelehnt. Der Nationale Sekretär der Kommunistischen Jugendliga (YCL) und ANC-Abgeordnete Buti Manamela hat sie als Versuch bezeichnet, eine »gelbe Gewerkschaft« zu etablieren, um die wirklichen Soldatenvertretungen anschließend zu verbieten.

Wie groß sind die Chancen, daß die Regierung eine Verfassungsänderung durchsetzen kann, die die »Soldatengewerkschaften« aus den Kasernen verbannt?

Die Regierung hat Angst vor klassenbewußten Soldaten, sie will die Verfassung offenbar ändern, weil SANDU und SASFU ihre Selbstauflösung kategorisch ablehnen. Allerdings ist dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament nötig. Aber selbst wenn viele ANC-Abgeordnete dagegen sind, dürfte der Rest des ANC zusammen mit den rechten Parteien DA und COPE genügend Stimmen dafür haben.

Was wäre die Konsequenz?

Die Gewerkschaften würden in den Untergrund gehen. Außerdem dürfte es zu scharfen Auseinandersetzungen innerhalb des Regierungsbündnisses kommen.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 9. Oktober 2009


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