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Revolte im Township

Vor 35 Jahren begann eine neue Phase des Kampfes gegen die Apartheid in Südafrika

Von Simon Loidl *

Am 16. Juni 1976 versammelten sich Tausende Schüler im Johannesburger Township Soweto, um gegen die Bildungspolitik der rassistischen südafrikanischen Regierung zu protestieren. Diese hatte im Jahr zuvor mit neuen Leitlinien für großen Unmut unter den Jugendlichen gesorgt. Afrikaans, die Sprache der weißen Oberklasse, war durch die neuen Bestimmungen zur vorrangigen Unterrichtssprache geworden. Englisch durfte nur mehr in praktisch orientierten Fächern wie Handarbeit gesprochen werden, indigene afrikanische Sprachen wurden in den Musik- und Religionsunterricht verbannt. Dies bedeutete nicht nur eine Demütigung und Provokation der schwarzen Bevölkerung, sondern auch eine massive Einschränkung der ohnehin kaum vorhandenen Möglichkeiten schwarzer Jugendlicher, sich Wissen und Bildung adäquat anzueignen.

Im Frühjahr 1976 mündete die Ablehnung der neuen Verordnungen in einen Unterrichtsboykott an der Orlando West Junior School in Soweto. Eine große Anzahl von Schülern weigerte sich, weiterhin am Unterricht teilzunehmen.

Begleitet wurden die Boykotts von Versammlungen, in denen Möglichkeiten diskutiert wurden, die Protestmaßnahmen auszuweiten. Immer wieder kam es in den ersten Junitagen zu Polizeieinsätzen, die – oftmals erfolglos – versuchten, Zusammenkünfte in Schulen aufzulösen. Am 13. Juni fand schließlich eine Versammlung statt, an der sich mehrere hundert Schüler beteiligten. Es wurde der Beschluß gefaßt, für den 16. Juni eine Massenkundgebung anzuberaumen.

Vom Aufruhr ...

Die friedliche Schülerdemonstration wurde bereits nach kurzer Zeit von Polizeieinheiten angegriffen. Tränengas und Hundestaffeln wurden eingesetzt, und nachdem sich die Demonstranten zur Wehr setzten, wurde sofort scharf auf diese geschossen. Einer der ersten tödlich Getroffenen war der zwölfjährige Hector Pieterson, der fortan zu einer Symbolfigur des Widerstandes gegen die brutale Repression wurde. Das Foto des sterbenden Pieterson in den Armen eines anderen Kindes ging um die Welt und trug zur weiteren Isolierung des Apartheidstaates bei.

Die Eskalationsstrategie der Polizei führte dazu, daß die Bildungsproteste von Schülern in einen breit verankerten militanten Widerstand umschlugen. Wochenlang kam es immer wieder zu spontanen Protestkundgebungen, aber auch zu Angriffen auf Polizei- und Regierungseinrichtungen. Der Aufstand blieb nicht auf Soweto beschränkt, sondern griff auf zahlreiche Städte im ganzen Land über. In Cape Town und Johannesburg antworteten die Arbeiter mit Solidaritätsstreiks auf die Polizeigewalt. Von Beginn an hatten sich neben den von der Regelung betroffenen Schülern auch studierende und arbeitslose Jugendliche an den Protesten beteiligt; spätestens mit den Streiks war schließlich klar, daß der Aufstand nicht auf eine Jugendrevolte reduziert werden konnte.

Wie viele Personen bei der Niederschlagung der Proteste insgesamt zu Tode kamen, ist bis heute unklar. Allein in den ersten Tagen des Aufstands sollen bis zu 700 Menschen von den staatlichen Organen ermordet worden sein.

Die Herrschenden Südafrikas waren darum bemüht, die Relevanz der Ereignisse herunterzuspielen und dem African National Congress (ANC) die Schuld am Blutvergießen zuzuschreiben. Der Schülerprotest sei von Beginn an vom ANC und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) gelenkt gewesen, hieß es aus Pretoria. Von einem von der Bevölkerung getragenen Aufstand wollte die Regierung nichts wissen.

Kritiker der Befreiungsbewegung wiederum äußerten sich dahingehend, daß der ANC überhaupt keinen Einfluß auf die Ereignisse gehabt hätte und die Bedeutungslosigkeit der Organisation durch die Spontaneität des Aufstandes deutlich geworden sei. Tatsächlich handelte es sich bei den Protesten und Widerstandsaktionen nicht um Ereignisse, die direkt vom ANC initiiert waren. Gleichzeitig war dieser aber darum bemüht gewesen, den Aufstand zu verbreitern und setzte seine gesamte Infrastruktur und all seine Erfahrungen dafür ein.

Der militante Widerstand bedeutete den Beginn einer neuen Phase für die gesamte südafrikanische Befreiungsbewegung. In den eineinhalb Jahrzehnten seit der Gründung von Umkhonto we Sizwe (»Speer der Nation«, abgekürzt: MK), des bewaffneten Arms des ANC, war immer wieder Skepsis gegenüber der Hinwendung zum bewaffneten Kampf laut geworden. Die Repression und die Bereitschaft vor allem der südafrikanischen Jugend, sich dieser zu widersetzen, ließ derartige Positionen in den Hintergrund treten. »Soweto beendete die Debatte über die Legitimität des bewaffneten Kampfes«, analysierte das Zentralkomittee der SACP im April 1977. Gleichzeitig mußte sich die Befreiungsbewegung die Frage stellen, weshalb MK nicht stärker in das Geschehen einzugreifen vermocht hatte. Zu keinem Zeitpunkt war es gelungen, die spontanen Aktionen in einen längerfristigen, organisierten Aufstand münden zu lassen. Entsprechende Strategien waren nicht vorhanden, die Rebellion kam auch für die Befreiungsbewegung überraschend. Soweto machte somit zwar deutlich, daß große Teile der Bevölkerung nunmehr dazu bereit waren, die im wesentlichen ergebnislose Phase friedlichen Widerstandes hinter sich zu lassen. Gleichzeitig wurde aber klar, daß der bewaffnete Arm des ANC noch nicht in der Lage war, militärisch im Land zu agieren. Ein Großteil seiner Kader befand sich nach wie vor im Ausland, vorwiegend in Trainingscamps in anderen afrikanischen Ländern, und konnte nicht nach Südafrika zurückkehren. Immer wieder sickerten ausgebildete und hoch motivierte Kämpfer ein und bildeten zellenartige Untergrundstrukturen, doch dieser Aufbauprozeß war noch im Anfangsstadium und wurde immer wieder von Rückschlägen gebremst.

... zum bewaffneten Kampf

Das relative Versagen des bewaffneten Arms, maßgeblich in die Ereignisse vom Sommer 1976 einzugreifen, machte aber zugleich die Notwendigkeit eines organisierten bewaffneten Widerstands deutlich. Daß seitens der Befreiungsbewegung kein ausgearbeiteter Plan vorhanden war, wie in einer derartigen Situation vorgegangen werden müsse, lag auch daran, daß die MK-Strategie eher auf Sabotageaktionen und Anschläge ausgelegt war. Man hatte sich auf Aktionen vorbereitet, die von kleinen Einheiten durchgeführt werden konnten. Nach den Ereignissen des Jahres 1976 wurde innerhalb der Organisationen verstärkt über die Notwendigkeit von Aufstandsstrategien diskutiert. Soweto hatte in gewisser Weise erst die Grundlage hierfür geschaffen.

Der Aufstand löste eine Emigrationswelle aus. Viele junge am Aufstand Beteiligte entzogen sich drohenden Verhaftungen durch Flucht und schlossen sich Umkhonto we Sizwe an. Dies brachte für die Organisation große Veränderungen mit sich, da dieser Nachwuchs militärisch ausgebildet werden mußte. Die Überforderung der MK-Infrastruktur brachte dabei unter anderem ernste Versorgungsprobleme mit sich, die schließlich sogar zu Aufständen in den Trainingscamps und berüchtigten Disziplinarmaßnahmen führten.

Trotzdem kam es in den folgenden Jahren zu einem Aufschwung der Aktivitäten von Umkhonto we Sizwe. Ab Ende der 1970er Jahre konnten einige der spektakulärsten Aktionen in Südafrika durchgeführt werden und die Organisation wurde auch vom südafrikanischen Staat zunehmend als ernstzunehmender Gegner wahrgenommen. So wurde mit den spontanen Aufständen in Soweto letztlich eine erfolgreiche Phase des bewaffneten Kampfes gegen die Apartheid in Südafrika eingeläutet.

Quelltext: »Gegen das brutale Terrorregime«

Vor einem Jahr löste das Massaker in Soweto die größte Massenerhebung gegen den weißen Faschistenstaat der jüngsten Zeit aus. Tausende unserer heldenhaften Söhne und Töchter zahlten einen furchtbaren Preis für ihren Widerstand gegen das brutale Terrorregime. Ihr Tod war nicht umsonst, denn sie haben uns in unserer Entschlossenheit bestärkt, das Apartheid-Monster zu zerschlagen. Wir haben (dem Ministerpräsidenten Balthazar Johannes, S. L.) Vorster überzeugend bewiesen, daß 28 Jahre rücksichtsloser Anwendung der Apartheid-Gesetze keineswegs zu unserer Unterwerfung geführt haben. Vorster wiederum hat gezeigt, daß seine ausgebildeten Killer nicht die geringste Hemmung haben, Unschuldige abzuknallen, einschließlich Frauen und Kinder.

Wir haben außerdem gelernt, daß spontane Aufstände allein den Feind nicht zerstören können und daß künftige Aktionen mit der breiten Strategie unserer Befreiungsbewegung verknüpft werden müssen. Die unmittelbare Aufgabe ist es nun, den bewaffneten Kampf durch Umkhonto we Sizwe aufzunehmen. […]

Aus einem ANC-Flugblatt vom Juni 1977; Übersetzung Simon Loidl.



* Aus: junge Welt, 11. Juni 2011


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