Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ruhe vor dem nächsten Sturm

Südafrikas Berg- und Farmarbeiter beenden Streiks

Von Christian Selz, Kapstadt *

Südafrikas Gewerkschaftsbund COSATU hat auf den Farmen des Landes traditionell wenig Einfluß. Als die entrechteten Farmarbeiter nun für gut zwei Wochen gegen ihre sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen aufstanden, hofften auch die Gewerkschaften. Tatsächlich hörten die Farmarbeiter den scheinbar für sie verhandelnden Funktionären zu. Am Donnerstag vergangener Woche endete die junge Beziehung. COSATU, Bündnispartner des regierenden African National Congress (ANC), hatte auf dessen Druck den Streik für beendet erklärt, die Farmarbeiter ignorierten die Anweisung aber. Nach Verhandlungen kehrten die wütenden Arbeiter am Montag zwar auf die Felder zurück, doch der Vertrauensverlust bleibt.

Für die einstige Befreiungsbewegung aus ANC, COSATU und der während der gesamten Streiks nicht wahrnehmbaren Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) setzt sich damit eine Entwicklung fort, die seit August zum Zerfall der einst größten Einzelgewerkschaft des Landes, der National Union of Mineworkers (NUM), geführt hatte.

Die Regierungsallianz hat den Kontakt zu den Arbeitern verloren. So sind bereits jetzt neue wilde Streiks absehbar. »Der Ausstand ist eine Initiative der Farmarbeiter, und daher kann ihn auch niemand anders als die Arbeiter selbst für beendet erklären«, stellte deren Koalition in der Resolution ihres Treffens vom Sonntag klar.

Weiter kämpferisch zeigten sich auch die Bergleute bei einer Demonstration am Samstag. Der weltgrößte Platinproduzent Anglo American Platinum konnte den Streik Zehntausender Kumpel in der vergangenen Woche nach fast zwei Monaten mit einer Einmalzahlung von umgerechnet 400 Euro beenden. Man habe zwar das Angebot akzeptiert, die Arbeiter hofften allerdings auf Neuverhandlungen, so ein Sprecher des Streikkomitees.

Die 400 Euro, zu denen lediglich eine minimale Gehaltserhöhung von knapp 40 Euro monatlich kommt, wiegen die Verluste der Kumpel durch den Streik nicht auf. Für die Farmarbeiter, die nun provisorisch 80 statt der bisherigen 69,39 Rand am Tag – und damit umgerechnet einen Euro mehr – erhalten sollen, ergibt sich eine ähnliche Rechnung. Doch sie sind finanziell ausgeblutet, es fehlt schlicht am Brot auf dem Tisch, um weiter zu streiken.

Aber auch die Unternehmer haben verloren. Allein Anglo American berichtet von Produktionsausfällen im Wert von 2,4 Milliarden Rand (215 Millionen Euro) in der Platinförderung. Dazu kommt die politische Instabilität, die mit dem Kontrollverlust der investorenfreundlichen ANC-Machthaber einhergeht. Da Südafrika 80 Prozent der weltweiten Platinvorkommen besitzt und das Gros der restlichen Ressourcen in Simbabwe liegt, dürften die Folgen allerdings zumindest für den Sektor selbst überschaubar sein.

Schwerwiegender ist der Ansehensverlust für den ANC selbst. Kurzfristig muß der im Dezember zur Wiederwahl stehende Präsident Jacob Zuma zwar nicht um seine Macht bangen, weil ihn parteiintern ein weitläufiges System politischer Loyalitäten schützt. Auch von der stärksten Oppositionspartei, der neoliberalen Democratic Alliance, droht vor den Präsidentschaftswahlen 2014 keine Gefahr, weil sie für die Arbeiter als Partei der Bosse und des Freihandels nicht wählbar ist. Doch auf lange Sicht droht der ANC sich selbst zu entkernen. Der Aufstand der Machtlosen gegen die neuen Herren hat längst begonnen. »Wir geben der Regierung Zeit bis zum 4. Dezember, um den Mindestlohn auf 150 Rand festzusetzen«, formulieren die Farmarbeiter in ihrer Resolution klipp und klar. »Wenn sie das nicht tut, werden wir die Intensivierung der Protestaktionen sehen, im Ausmaß und in der Militanz.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. November 2012


Zurück zur Südafrika-Seite

Zurück zur Homepage