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Der ANC sieht sich auf der Siegerstraße

Opposition hofft allenfalls, Zweidrittelmehrheit verhindern zu können

Von Hans-Georg Schleicher * Wochenlang wurde die allgegenwärtige Werbung für die Fußballweltmeisterschaft 2010 in den Hintergrund gedrängt. Stattdessen bestimmten Politikerporträts und Parteienwerbung das Straßenbild in Johannesburg und Kapstadt. Denn heute werden in Südafrika Nationalversammlung und Provinzparlamente gewählt.

Wahltag ist Feiertag im Land am Kap. Wahlen haftet dort immer noch die Aura des Besonderen an. Zumal die diesjährige Abstimmung als spannend gilt. Zwar besteht am Sieg des bisher dominierenden ANC kein Zweifel, aber wie hoch fällt er diesmal aus? Welche Chancen hat die Opposition in den Provinzen?

Gewählt werden 400 Abgeordnete des nationalen Parlaments, die ihrerseits den Staatspräsidenten wählen. Trotz politisch aufgeheizter Atmosphäre verlief der Wahlkampf erstaunlich friedlich, ein Verhaltenskodex der Parteien wurde weitgehend eingehalten. Auch die im Gefolge der Konfrontation zwischen ANC und COPE befürchtete politische Gewalt blieb aus. Vor wenigen Tagen trat sogar Südafrikas politischer Übervater Nelson Mandela, der sich - auch aus gesundheitlichen Gründen - weitgehend aus dem Wahlkampf herausgehalten hatte, auf der Abschlusskundgebung des ANC auf.

Geprägt wurde der Wahlkampf stärker durch Personen als durch Sachfragen. Die globale Krise, auch in Südafrika zunehmend spürbar, spielte kaum eine Rolle. Ungewöhnlich war ein gemeinsamer Aufruf von Oppositionsparteien, eine neuerliche Zweidrittelmehrheit des ANC zu verhindern. Das klang schon wie ein Eingeständnis der eigenen Grenzen.

In der Vergangenheit überzeugte die Opposition weder programmatisch noch politisch-taktisch. Ihre Hoffnung auf potenzielle Koalitionspartner erhielt jedoch Nahrung mit der neuen Partei COPE, einer Abspaltung des ANC. Die Erwartung, aus COPE könnte eine starke Alternative zum ANC werden, ist jedoch zumindest für diese Wahlen geschwunden. Lediglich die Provinz West-Kap könnte zum Testfall oppositioneller Zusammenarbeit gegen den ANC werden.

Laut Umfrage hat die ANC-Regierung nach 15 Jahren trotz sozialer Probleme und über 40-prozentiger Arbeitslosigkeit immer noch das Vertrauen von 59 Prozent der Bevölkerung, nicht zuletzt wegen tatsächlicher Erfolge im sozialen Bereich. Vor allem innerhalb der schwarzen Bevölkerung ist die Loyalität gegenüber dem ANC groß. Viele sehen bisher keine echte Alternative zur ehemaligen Befreiungsorganisation. Und ANC-Präsident Jacob Zuma sieht seine Partei als einzige in der Lage, große gesellschaftliche Kreise für Wiederaufbau und Entwicklung Südafrikas zu mobilisieren.

ANC-Schatzmeister Matthew Phosa, ein enger Vertrauter Zumas, gestand allerdings in ungewöhnlicher Offenheit Fehler bei der Besetzung des öffentlichen Dienstes, der bewussten Förderung Schwarzer und bei der Landreform ein. Die neue Regierung, versprach er, werde Abhilfe schaffen und sich zudem stärker um die Armen kümmern. Mit dieser Selbstkritik reagierte Phosa offensiv auf Vorwürfe von COPE - eine schon in der Vergangenheit erfolgreiche Taktik.

Nach einem ANC-Wahlsieg wird Jacob Zuma mit hoher Wahrscheinlichkeit Staatspräsident. Anwürfe von Opposition und Medien wegen Korruption und mehrere Gerichtsverfahren, die gegen ihn angestrengt, aber niedergeschlagen wurden, beeindruckten die Masse der Wähler kaum. Im ANC gab es eher eine solidarisierende Trotzreaktion. Zuma selbst trat im Wahlkampf betont besonnen und zurückhaltend auf -- eben staatsmännisch. Er bezeichnete Einheit, Aussöhnung und den Aufbau der Nation als Eckpunkte seiner künftigen Politik. In der Wirtschaftspolitik wird unter ihm kein grundsätzlicher Wandel erwartet.

Die Parteienlandschaft ist jedenfalls in Bewegung geraten, die Demokratie in Südafrika ist durchaus lebendig. Anzeichen von Politikmüdigkeit scheinen wie weggeblasen zu sein. Mehr als 23 Millionen Wähler haben sich registrieren lassen, gegenüber 1999 eine Steigerung um 30 Prozent.

Zahlen und Fakten - Südafrikas Parteien

Von 117 Parteien Südafrikas stehen 42 zur Wahl, 26 davon auf nationaler Ebene. Im Parlament sind bisher 15 Parteien vertreten, viele nur mit einzelnen Abgeordneten - aufgrund eines Verhältniswahlrechts ohne prozentuale Hürden.
  • Der Afrikanische Nationalkongress (ANC), mit 97 Jahren Afrikas älteste politische Partei, gewann vor fünf Jahren 69,7 Prozent der Stimmen. Ehemals führend im Befreiungskampf, ist der ANC mit 750 000 Mitgliedern stärkste Partei und regiert in Allianz mit dem Gewerkschaftsdachverband COSATU und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP). Deren Vertreter kandidieren auf der ANC-Liste.
  • Die Demokratische Allianz (DA), die zuletzt 12,4 Prozent erreichte, macht keine Angaben zu ihrer Mitgliederstärke, stützt sich stark auf Weiße und Farbige (Coloureds) und gilt bei vielen immer noch als »weiße Partei«. Ihre Chefin Helen Zille bemüht sich jedoch um Unterstützung in der schwarzen Bevölkerung. Die DA könnte führende Oppositionspartei bleiben.
  • Die sozialkonservative Inkatha Freiheitspartei (IFP), die 2004 auf 7 Prozent kam, bleibt weitgehend eine Regionalpartei der Zulus, hat aber selbst in ihrer Hochburg KwaZulu Natal keine Mehrheit mehr.
  • Der im Dezember 2008 von ANC-Dissidenten gegründete Volkskongress (COPE) mit angeblich 500 000 Mitgliedern sieht sich als »moderne sozialdemokratische Partei«, ist aber programmatisch noch nicht endgültig festgelegt. Der erhoffte Zulauf enttäuschter ANC-Mitglieder hält sich in Grenzen. Umfragen zu den Wahlchancen schwanken stark, Beobachter rechnen mit 8 bis 12 Prozent.
  • Als eine der kleinen Parteien könnten die Unabhängigen Demokraten (ID) -- zuletzt 1,7 Prozent - der charismatischen Patricia de Lille in der Provinz Western Cape eine Rolle spielen. hgs


* Aus: Neues Deutschland, 22. April 2009


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