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Die Stammeskonflikte sind ein Kriegserbe

Nhial Bol über die gesellschaftliche Entwicklung in Südsudan, dem jüngsten Staat Afrikas *

In Juba, der jüngsten Hauptstadt Afrikas, ist die Zeitung »The Citizen« mit dem Motto »Täglich im Kampf gegen Korruption und Diktatur« überall präsent. Chefredakteur Nhial Bol kritisiert darin die Regierung in aller Schärfe. Offiziell gibt es Pressefreiheit in Südsudan, aber nach besonders kritischen Artikeln verbringt Bol auch schon mal eine Nacht im Gefängnis - wegen Verkehrsdelikten. Mit dem 43-Jährigen sprach Leila Dregger.


nd: Gibt es Pressefreiheit in Südsudan?

Nhial Bol: Wir kämpfen nicht für Freiheit, sondern für unser Überleben als Journalisten. Es gibt ja noch gar kein System, kein Pressegesetz, auf die wir uns beziehen könnten. Wir wollten als Journalisten Teil des Übergangs zu einem demokratischen Staat sein. 2005, als die Unabhängigkeit absehbar war, gründeten wir den »Citizen« - zunächst in Khartum, der Hauptstadt Sudans, denn im Süden waren damals noch keine Zeitungen erlaubt. Aber gleich danach kamen wir nach Juba, unserer Hauptstadt. Uns werden viele Hürden in den Weg gestellt. Klagen gegen Artikel sind keine Seltenheit.

Zum Beispiel?

Im Oktober hatten wir berichtet, dass die Regierung mehrere Landrover für ihre Minister angeschafft hat, für 75 000 Dollar. Und kurz darauf wurden sie an Verwandte verkauft, für 25 000 Dollar. Da fragt man sich natürlich, wer für die Differenz von 50 000 Dollar aufkommt. Dafür wurden wir mit der Behauptung angezeigt, wir hätten keine Beweise. Das Gericht hat die Quellen geprüft und die Klage abgewiesen. Mit solchen Dingen haben wir ständig zu tun. Politiker sind in Korruptionsfälle verwickelt und wollen verhindern, dass wir unsere Arbeit tun. Im vergangenen Jahr wurde ich in einer Verkehrskontrolle festgenommen und habe die ganze Nacht im Gefängnis verbracht - nicht das erste Mal.

Das klingt nach einem autoritären Regime.

Wenn wir nicht aufpassen, werden wir zu einem zweiten Eritrea (das sich 1993 von Äthiopien abspaltete - d. Red.). Zuerst vertraut man den Machthabern, weil sie gegen den Norden und die Diktatur dort gekämpft haben. Aber am Ende tun sie genau dasselbe wie diese. Der einzige Unterschied zum Norden ist, dass unsere Regierung keine gemeinsame Ideologie hat und nicht an einem Strang zieht. Im Norden ist die Diktatur gesetzlich etabliert, aber auch bei uns haben wir keine wirkliche Freiheit. Ein weiteres Problem ist, dass uns vieles fehlt, um eine Zeitung herauszugeben. Der technische Standard ist sehr niedrig.

Wie kann »The Citizen« ökonomisch überleben?

Es ist nicht einfach, aber man lernt, auch mit einfachen Mitteln zurecht zu kommen. Fast ein Jahr lang konnten wir die Druckerei nicht bezahlen. Die Regierung unterstützt Zeitungen nicht, denn ohne freie Presse hätte sie weniger Probleme. Sie hat sogar mehrmals versucht, eine eigene Zeitung auf den Markt zu bringen. Aber es fehlten ihr professionelle Journalisten, und so gab sie es wieder auf. Wir schaffen es zu überleben, weil wir überzeugt sind von dem, was wir erreichen wollen.

Vor welchen Herausforderungen steht Südsudan?

Eine Million Menschen haben Arbeit, der Rest der zwölf Millionen nicht. Es sind Menschen, die nie etwas anderes gelernt haben, als zu kämpfen und im Krieg zu sein. Diese Situation wird den Staat noch lange prägen. Wir haben die Unabhängigkeit erreicht, aber ich bin nicht sicher, ob diese Nation Bestand haben wird. Die meisten der internationalen Akteure sehen nicht, dass es eine Sache ist, die Menschen darin zu unterstützen, eine Nation aufzubauen, und eine andere, dauerhaften Frieden zu erzeugen. Was ist wichtiger? Ohne innere Sicherheit werden keine Investoren kommen.

In Jonglei wurden 3000 Menschen in Stammeskonflikten zwischen Dinka und Murrle getötet, darunter viele Kinder und alte Leute. Sie schrieben, der eigentliche Grund dafür sei die Armut.

Die Murrle, einer der Stämme in Südsudan, haben einen Punkt erreicht, wo sie buchstäblich Schlamm essen. Jeder, der so arm ist, wird sich verhalten wie die Murrle. Bevor man nicht die Armut angeht, gibt es keine Lösung für die Gewalt. Uganda hat in seiner Karamojong-Region gezeigt, wie das gehen kann. Unsere Regierung aber will nicht ein einziges Pfund bei den Murrle investieren. Und warum? Weil es heißt, die Murrle seien Kriminelle. Wie kann ein ganzer Stamm aus Kriminellen bestehen? Man könnte dort Straßen bauen, um den Handel zu fördern und den Murrle Perspektiven zu eröffnen. Aber die Regierung hat sich nicht gerührt.

Warum?

Mir scheint, die Regierung ist gar nicht daran interessiert, das Problem zu lösen. Die Murrle haben im Bürgerkrieg den Norden unterstützt. Jetzt ist die Regierung nicht in der Lage, das Leben der Murrle zu schützen. Die Stammeskonflikte sind ein Erbe des Krieges. Das muss der internationalen Gemeinschaft klar gemacht werden: Nahrung für Frieden - so muss man vorgehen. Sonst werden sogar die Soldaten anfangen zu plündern, weil sie kein Essen mehr haben.

Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?

Nicht viel. Sie kann nicht unsere Probleme lösen, das muss schon unsere Regierung tun. Aber ich denke, dass wir in Südsudan Standards dafür setzen sollten, wie internationale Organisationen ihre Gelder verwenden. Das Missmanagement ist massiv. Wer in Juba für eine internationale Organisation arbeitet, verdient etwa 3000 Dollar, aber dazu kommen eine Wohnung für 7000 Dollar, Sicherheitsangestellte, ein Auto und mehr. Wir können ihnen nichts vorwerfen, das wird sich erst ändern, wenn wir klare Strukturen im Land schaffen.

Gäbe es bessere Regierende für Südsudan?

Die Regierung ist erst neun Monate alt. Sie wird aus Schwierigkeiten lernen und sich weiter entwickeln.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. April 2012


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