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Großer Krieg ist nicht vom Tisch

Wolf-Christian Paes über Südsudan *


Südsudan begeht heute sein erstes Jahr der Unabhängigkeit. Die Schlagzeilen, die Afrikas jüngster Staat macht, sind besorgniserregend. Konflikte zwischen Ethnien im Süden und kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Norden sorgen für interne Flüchtlingswellen. Der Weltsicherheitsrat hat das Mandat für die Friedensmission verlängert.
Wolf-Christian Paes arbeitet beim Internationalen Konversionszentrum in Bonn (BICC). Das BICC arbeitet in Südsudan am Aufbau von Institutionen, die Frieden und Sicherheit stärken sollen. Über die Lage Südsudans ein Jahr nach der Staatsgründung sprach mit ihm für »nd« Martin Ling.



nd: Südsudan hat im ersten Jahr seiner Unabhängigkeit viele Negativschlagzeilen gemacht: Allen voran kriegerische Konflikte im Land und mit dem Norden sowie die Einstellung der Ölförderung. Was steht nach einem Jahr auf der Positivseite?

Paes: Licht im Schatten zu sehen, ist derzeit in der Tat schwierig. Dennoch: Auf der Positivseite steht selbstverständlich, dass das südsudanesische Volk seinen Willen bekommen hat. Die Südsudanesen wollten die Unabhängigkeit und wollen sie aller Probleme zum Trotz immer noch mit einer überwältigenden Mehrheit. Auch die Regierung unter Präsident Salva Kiir hat erstaunlicherweise weiterhin einen großen Zuspruch unter der Bevölkerung für ihre Politik. Das gilt sogar in den Bereichen, wo der Westen mit dem Kopf schüttelt, wie die Einstellung der Ölförderung oder die Grenzkonflikte mit dem Norden.

Die Sicht von außen ist kritischer?

Auf alle Fälle. Leider haben sich viele der Sorgen, die vor der Unabhängigkeit geäußert worden sind, bewahrheitet. Das betrifft vor allem den Geburtsfehler dieses neuen Staates: Viele Klauseln des umfassenden Friedensabkommens CPA wurden nur selektiv umgesetzt. Umgesetzt worden sind die Aspekte Wahlen und Referendum sowie die Unabhängigkeit des Südsudans. Forderungen wie die nach einer tief greifenden Demokratisierung in Nord- und Südsudan, nach Minderheitenrechten, religiöser Freiheit, einer Demobilisierung von großen Teilen der Sicherheitskräfte und die Grenzziehung in den umstrittenen Regionen Abyei, Blauer Nil und Südkordofan harren ihrer Umsetzung. Exakt aus diesen nicht umgesetzten Punkten speisen sich die Probleme, die den Südsudan nicht aus den Negativschlagzeilen herauskommen lassen.

Wie lassen sich diese Konflikte potenziell lösen? Nord und Süd haben doch beide ein großes finanzielles Interesse an der Ölförderung, eine Kompromissformel muss doch in beiderseitigem Interesse liegen. Woran scheitert das?

Politik funktioniert hier mit einer anderen Rationalität. Neben Kosten-Nutzen-Kalkülen in Bezug auf die Ölförderung kommen noch ganz andere Faktoren ins Spiel. Ein Kompromissvorschlag liegt bereits vor, den der ehemalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki als Vermittler im Auftrag der Afrikanischen Union erarbeitet hat. Dieser Schiedsspruch erscheint den meisten Beobachtern plausibel - er liegt weder bei den 36 Dollar pro Barrel als Durchleitungsgebühr, die Khartum fordert, noch unter einem Dollar, was der Süden für »angemessen« hält. Doch beide Seiten weigern sich, zu unterschreiben.

Mit welcher Begründung?

Es gibt keine offizielle. Der Südsudan schneidet sich selbst von seiner Haupteinnahmequelle ab und hofft offenbar, dass er den Norden, den Feind aus langen Bürgerkriegszeiten, mit ins Verderben reißt. Auf beiden Seiten gibt es Einflussgruppen, die keine Verständigung mit der jeweils anderen Seite wollen und auf Krieg setzen. Ein Kalkül im Süden ist, dass die ökonomische Schwächung des Nordens dort zu einem Sturz der Regierung von Omar al-Baschir beitragen könnte, denn Gegner hat Baschir jede Menge: die Rebellen am Blauen Nil, in Südkordofan und in Darfur zum Beispiel. Aber dabei wird übersehen, dass der Stopp der Ölförderung kurzfristig den Südsudan härter trifft als den Norden, Khartum verfügt über eine deutlich diversifiziertere Wirtschaft und hat über das Öl hinaus andere Einnahmequellen. Der südsudanesischen Regierung wird eher früher als später das Geld ausgehen und dann könnte auch die Regierung unter Druck kommen.

Die Internationale Gemeinschaft hat die Unabhängigkeit Südsudans ermöglicht. Wie stark wird nun der Staatsaufbau begleitet und mäßigend auf die Konflikte eingewirkt?

Die Internationale Gemeinschaft schaut seit dem Frühjahr wieder vermehrt auf Südsudan, insbesondere der UN-Sicherheitsrat. Doch das Kind ist schon fast in den Brunnen gefallen. Das CPA ist formal ausgelaufen und entfällt damit als Druckmittel. Der Sudan und Südsudan sind nun souveräne Staaten, die im Prinzip machen können, was sie wollen. Die direkten Einflussmöglichkeiten halten sich in Grenzen. Auf dem Gebiet des Südsudans gibt es eine UN-Friedenstruppe, aber deren Mandat zielt auf die Stabilisierung nach innen. Die Grenzkonflikte sind weder im Mandat enthalten noch ist die Truppe für einen robusten Einsatz ausgestattet.

Wo ist das Licht im Schatten?

Die UN-Resolution im Sicherheitsrat von vor zwei Monaten, die den beiden Staaten eine Dreimonatsfrist bis Anfang August einräumt, um zentrale Probleme, vor allem die Frage des Grenzkonflikts, auf dem Verhandlungswege zu lösen, ist positiv zu sehen. Ansonsten drohen beiden Seiten Sanktionen. Bislang gab es Sanktionsdrohungen nur gegen den Norden. Den Süden bei der Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen mit ins Boot zu nehmen, ist ein positives Signal.

Zeichnet sich eine Verhandlungslösung ab oder droht gar ein »Großer Krieg«?

Eine Verhandlungslösung ist leider noch nicht in Sicht. Die Konflikte haben das Potenzial, einen großen Krieg zwischen Nord und Süd auszulösen.

Die Krise rund um das Ölfeld in Heglig, das im April von der südsudanesischen SPLA besetzt wurde und erst auf internationalen Druck wieder geräumt wurde, hatte Sudan an den Rand des Bürgerkrieges gebracht. Verglichen mit der Situation, haben die Streithähne einen großen Schritt zurück vom Abgrund gemacht. Doch die Kriegsgefahr bleibt latent.

* Aus: neues deutschland, Montag, 9. Juli 2012


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