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"Die Kämpfe sind ein Riesenrückschritt"

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen will trotz Verschärfung der Spannungen in Südsudan weiterarbeiten *


Ines Hake (34), ist Krankenschwester, kommt aus Berlin und koordiniert einen Teil der medizinischen Programme von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Südsudan. Mit ihr sprach in Berlin Roland Etzel.


Wann waren Sie zuletzt in Südsudan?

Ich bin gerade auf Kurzurlaub in Berlin, arbeite ansonsten seit September 2010 in Südsudan.

Erst am Sonntag wurde gemeldet, dass der vor Kurzem in Addis Abeba vereinbarte Waffenstillstand nicht hält. Werden Sie trotzdem fahren?

Ja. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen arbeitet nun mal in den schwierigsten Gebieten, und die medizinische Versorgung hat für uns Priorität. Deshalb werde ich auch wieder zurückgehen.

Was ist diesmal Ihr Ziel im Land?

Ich bin medizinische Koordinatorin, das heißt ich arrangiere, dass andere Projekte auf der medizinischen Ebene funktionieren. Stationiert bin ich normalerweise in Juba. Von dort gehe ich in die Projekte, um die Mitarbeiter zu unterstützen oder wenn Not am Mann ist, selbst mit Hand anzulegen.

Sie bleiben also im Land selbst und gehen nicht in eines der Flüchtlingslager hinter der Grenze?

Die meisten Flüchtlingslager außerhalb Südsudans sind in Kenia und Äthiopien. Dafür sind die Mitarbeiter in diesen Ländern zuständig. Dort haben wir ebenfalls Projekte. Der allergrößte Teil der Vertriebenen lebt aber im Land selbst: In Südsudan arbeiten wir zum Beispiel in einem Flüchtlingslager in Awerial, einer 10 000-Einwohner-Stadt am Westufer des Nils, mit etwa 75 000 sogenannten »internally displaced persons« – Inlandsflüchtlingen.

Wer bestimmt denn, wo Sie hingehen können, um zu helfen? Und unter wessen Schutz oder Aufsicht stehen Sie dort?

MSF ist eine unabhängige Organisation, das heißt wir haben keinen militärischen Schutz und wollen den auch nicht. Unser Schutz ist, dass wir medizinische Versorgung für jeden leisten und daher von beiden Seiten eines Konflikts akzeptiert sind. Natürlich haben wir regulären Kontakt zu Ämtern, zu den Autoritäten beider Seiten, um zu erfahren, ob wir dorthin fliegen können, wo wir hinwollen. Wir haben unsere eigenen Flugzeuge, so dass wir organisatorisch nicht abhängig sind.

Im Dezember wurden von den Bürgerkriegsparteien sogar die UNO-Truppen angegriffen. Haben Sie Befürchtungen, dass man auch Ihren neutralen Status als medizinische Helfer nicht mehr respektiert?

Die Gefahr besteht immer. Bis jetzt wurden wir nicht gewalttätig angegriffen, wir mussten aber zur Sicherheit unseres Personals schon mehrmals Projekte kurzzeitig evakuieren. Und Einrichtungen von uns wurden auch schon ausgeraubt.

Was erwarten Sie, wenn Sie hören, dass immer mehr Menschen in die Flüchtlingslager strömen, wie jetzt nach Uganda?

Viele Flüchtlinge kommen in nicht sehr gutem Zustand an. Dann wird es schwierig, unserer Aufgabe gerecht zu werden. Wir verstärken unsere Teams. Das Problem ist, dass die Gesundheitsversorgung schon vorher nicht gut war in Südsudan. Wir greifen deshalb zu präventiven Maßnahmen, zum Beispiel impfen wir in jedem Flüchtlingslager gegen Masern, die in Südsudan seit drei Jahre wieder verstärkt auftreten. Um Epidemien zu verhindern, haben wir alle Kinder unter 15 Jahren in den Camps geimpft.

Kann in einem Flüchtlingslager jeder zu Ihnen kommen, um behandelt zu werden? Dokumentieren Sie eigentlich die Fälle?

Wir haben unsere Registrierung, jeder kriegt eine Karte, wo alles medizinische Notwendige aufgeschrieben wird. Weil die Behandlung umsonst ist, sind unsere Stützpunkte sehr gut besucht. Als MSF werden wir sehr respektiert. Wir behandeln jeden, der krank ist; egal ob er Schusswunden hat, ein kleines Kind mit Durchfall bringt oder ob eine schwangere Frau entbinden muss.

Wem sind Sie als medizinische Helfer vor Ort rechenschaftspflichtig? Welche staatliche Kontrolle gibt es?

Das Gesundheitsministerium Südsudans erwartet, dass man Daten über übertragbare Krankheiten jede Woche übermittelt genauso wie über Kriegsverletzte. Wir sind bereit unsere Daten an die Behörden weiterzugeben, aber ohne Namen. Wir versuchen schon so kooperativ wie möglich zu sein, zum Beispiel indem wir mitteilen, wo es Fälle von Durchfallerkrankungen, Lungenentzündungen oder Malaria gibt.

Sie sind schon viele Jahre aktiv sind in der internationalen Hilfe in Afrika, welche Entwicklungen beobachten Sie, was die Gesundheit der Menschen betrifft?

In Südsudan hatte man, bevor die Gewalt wieder ausbrach, Strukturen erarbeitet, um die medizinische Versorgung vorwärts zu bringen. Aber noch werden mehr als 80 Prozent der Gesundheitsversorgung von internationalen oder nationalen Hilfsorganisationen erbracht. Die jetzige Kämpfe bewirken aber, dass Hilfsorganisationen häufig nicht mehr vor Ort arbeiten können – ein Riesenrückschritt.

Was sind denn Ihre größten Sorgen, wenn Sie morgens in Ihrem Camp aufwachen?

Ich hoffe dann immer, dass es all meinen Mitarbeitern, nationale und internationale, gut geht, dass sie die Möglichkeit haben, ihre Arbeit zu verrichten, ohne angegriffen oder bedroht zu werden. Ich hoffe auch , dass es in den von uns betreuten Flüchtlingslagern nicht zum Ausbruch von Gewalt oder Krankheiten kommt. Wichtig für uns ist, dass für alle eine Gesundheitsversorgung da ist und dass alle auch die Möglichkeit haben, diese Versorgung in Anspruch zu nehmen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 29. Januar 2014


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