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"Wir patrouillieren Tag und Nacht durch die Lager"

Die "Nonviolent Peaceforce" versucht, bei zahlreichen Konflikten im Südsudan zu vermitteln. Ein Gespräch mit Tiffany Eastham *


Die Kanadierin Tiffany Eastham ist im Süden des Sudan als Koordinatorin der »Nonviolent Peaceforce« (NP, deutsch: Gewaltfreie Friedensstreitmacht) tätig. NP ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die sich in Konfliktregionen für den Schutz der Zivilbevölkerung und den Abbau von Gewalt einsetzt.


Seit dem 15. Dezember wird im Süden des Sudan wieder heftig gekämpft, es soll 400000 Flüchtlinge geben. Was tut Ihre »Nonviolent Peaceforce« (NP), um den Menschen dort zu helfen?

Seit vier Jahren sind wir dort mit etwa 100 Helfern aus vielen Ländern im Einsatz. Wir haben neun Teams gebildet, die in sechs Regionen lokale Gruppen dabei unterstützen, für ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien zu sorgen. Unsere Teams haben immer wieder vermittelnd in bewaffnete Konflikte eingegriffen und es damit ermöglicht, daß zum Beispiel Viehzüchter und Farmer ihre Konflikte untereinander lösen. In solchen Fällen haben wir größeres Blutvergießen verhindern können.

Nach dem 15. Dezember haben wir zunächst unsere Mitarbeiter in die Hauptstadt Juba geholt, bevor sie wieder aufs Land gingen. Unsere Leute leben ununterbrochen in den Lagern, wir lassen die Flüchtlinge nicht alleine. Diese Lager sind überfüllt, oft ohne Licht, es gibt Kämpfe um Wasser, Lebensmittel und andere Hilfsgüter.

Um für mehr Sicherheit zu sorgen, patrouillieren wir dort Tag und Nacht. Wenn es Spannungen gibt oder gar offene Konflikte ausbrechen, versuchen wir zu schlichten oder weisen die UN-Polizei darauf hin. Wir sind unbewaffnet, können also auch keine Zwangsmittel einsetzen. Statt dessen haben wir aber gute Kontakte zu allen Gruppen; wir versuchen zu vermitteln, so daß sie ihre Konflikte friedlich miteinander lösen können.

Sie haben auch reine Frauenteams gebildet. Was machen die?

Wir sorgen mit ihnen dafür, daß Frauen und Mädchen gleichberechtigten Zugang zu allen Ressourcen haben, so daß sie nicht gezwungen werden können, mit Sex für Wasser oder Lebensmittel zu bezahlen. Ein weiterer Schwerpunkt sind die versprengten Kinder, um deren Versorgung wir uns kümmern. Wir versuchen auch, ihre Verwandten zu finden.

In vielen Medien ist von Stammeskämpfen die Rede – stimmt das?

Es geht letztlich nicht um Stammeszugehörigkeit, sondern darum, daß eine sehr kleine Gruppe von Leuten Macht und Ressourcen für sich beansprucht. Die einzelnen Stämme überschneiden sich vielfach – es gibt gemischte Paare, auch in Dörfern leben sie friedlich zusammen, wollen auch, daß das so bleibt. Unter dem Schock der Gewalt­erfahrung aber halten sich die Menschen eher an die eigene Gruppe.

Kämpfen nur bewaffnete Gruppen oder beteiligt sich auch die normale Bevölkerung an der Gewalt?

In erster Linie bewaffnete Gruppen. Sorgen macht uns vor allem, daß immer mehr Milizen als lokale Verteidigung aufgestellt werden. Je mehr solcher Kampfverbände es gibt und je mehr Waffen sie haben, desto instabiler wird die Lage.

Im Südsudan gab es schon viele bewaffnete Aufstände. Ist das der normale Weg dort, um Konflikte zu lösen?

Normalerweise wird ein bewaffneter Aufstand hierzulande damit beendet, daß die Rebellenführer einen guten Job im Staatsapparat bekommen und ihre Kämpfer in die südsudanesche Armee eingegliedert werden. Es wird jedoch nicht darüber diskutiert, was der usprüngliche Anlaß für den Aufstand war. In der Armee zum Beispiel sieht es so aus: Die Soldaten tragen zwar alle dieselbe Uniform und bekommen auch das gleiche Gehalt – ihre Loyalität gehört aber ihren jeweiligen Heimatregionen, nicht dem Staat. Das führt dazu, daß sich einzelne Fraktionen gegenseitig bekriegen, bevor sie dann in der Armee wieder vereinigt werden. Das alles ist extrem gefährlich.

Viele Entwicklungshelfer haben das Land verlassen. Warum ist NP noch da, und wie schützen Sie sich?

Die Sicherheit unserer Leute hat natürlich oberste Priorität, doch wir wollen auf jeden Fall im Land bleiben. Die Lage ist auch von Ort zu Ort unterschiedlich, in Juba etwa ist es tagsüber ziemlich sicher.

Allerdings finde ich es sehr bedauerlich, daß viele Organisationen ihre Mitarbeiter evakuiert haben. So signalisiert man, daß das Leben von Ausländern wichtiger ist als das von Einheimischen. Ich habe Verständnis für die Vorsicht dieser Organisationen, ich möchte aber dennoch an sie appellieren, ihre Leute wieder zurückzuholen.

Interview: Björn Kunter

* Aus: junge Welt, Freitag, 31. Januar 2014


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